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Italien in Afrika

Wie so oft bei großen Projekten begann alles mit einem Zufall. Donata Pizzi, die eigentlich als Fotografin für internationale Zeitungen und Magazine arbeitet, hielt sich gerade für eine Reportage in Äthiopien auf. Doch als sie aus ihrem Hotelfenster in Adis Abeba auf einen Platz blickte, so erzählt sie, habe sie plötzlich das Gefühl gehabt, wieder in Italien zu sein. Denn die Gestaltung des Platzes und einiger Fassaden ähnelten denen, die man aus italienischen Städten kennt. Als sich später in anderen Städten im Land dieses Gefühl dann wiederholte und sogar noch verstärkte, beschloss sie, diesem zumindest doch erstaunlichen Umstand einmal nachzugehen. Heraus kam dabei eines der interessantesten Projekte internationaler Architekturfotografie der letzten Jahre.

Von Carsten Probst |
    Die Recherche ergab nämlich, dass es sich bei jenen italienischen Anmutungen, die Pizzi im fernen Afrika so plötzlich einholten, um Überbleibsel eines inzwischen in Italien fast totgeschwiegenen architektonischen Experiments handelt, das im wesentlichen in die dreißiger und vierziger Jahre, mithin die Mussolini-Ära fällt. Nicht, dass es sich dabei um faschistische Architektur im engeren Sinn handelt, wie etwa ein Albert Speer sie für Nazi-Deutschland ersann. Es geht nicht einmal um sonderlich große Bauten, oft sind es vor allem Wohnhäuser, Verwaltungs- oder Fabrikgebäude. Aber in jenen Jahren unter Mussolini hatte Italien einen durchaus aggressiven Drang nach Expansion, weshalb es ausgerechnet unter seiner Herrschaft eine besondere Blüte moderner Architektur in Italien gab. Wobei der Begriff "Moderne" in diesem Zusammenhang nicht dazu verleiten sollte, an Bauhaus-Stil oder ähnliches zu denken. Ganze Dörfer und Städte entstanden etwa zu jener Zeit in Afrika, aber auch in Italien unter hohem politischem und zeitlichem Druck, um neue Bevölkerungsgruppen oder militärische Besatzungszentren zu errichten. Involviert waren meist junge, aufstrebende Architekten, die noch im Geist des Esprit Nouveau ausgebildet waren, nun aber in vielen ihrer Entwürfe auf allzu modernistische Strenge verzichteten und statt dessen Zitate historischen Römertums und seiner schon einmal vor zwei Jahrtausenden expandierenden Architektur einfließen ließen, um der neuen italienischen Führungsclique zu schmeicheln. So entstanden Bauensembles von befremdlicher Monumentalität mitten im afrikanischen Hinterland, eine quasi koloniale Architektur, deren Spuren sich jedoch bis vor die Tore Roms zurückverfolgen lassen.

    Und eben dies hat Donata Pizzi getan. Sie folgt den Zeugnissen einer abgebrochenen italienischen Moderne durch die Wüstenstädte von Libyen und die kargen Landstriche Äthiopiens und Eritreas über einige griechische Inseln und Sizilien bis nach Latium, der Gegend um Rom Da die engagierte Römerin einerseits eine Ausbildung als professionelle Fotografin genossen, andererseits zuvor jedoch auch ein Geschichtsstudium absolviert hat, verbindet sich in ihren Bildern dokumentarische Sorgfalt, die kein Detail unbeachtet lässt, mit einer kritisch nüchternen Ästhetik, die diese Bauten in ihrer ganzen befremdlichen Unheimlichkeit entlarven will. Entweder als einsame, melancholische Solitäre oder als geradezu surreale Ensembles. Der Anspruch klassischer Architekturfotografie, Bauten und Ensembles stets menschenleer abzubilden, beflügelt hier unweigerlich Assoziationen mit Gemälden De Chiricos, gerade dann, wenn sich Versatzstücke römischer Antikiensehnsucht mit dem Maschinenglauben der dreißiger Jahre verschwistern. Dass der Ausstellungstitel "Metaphysical Cities" insofern einen leicht ironischen Unterton hat, liegt auf der Hand. Einige Ensembles, wie der Borgo Mezzanone in Foggia beispielsweise, strahlen noch immer die Kälte militärischer Raumordnung aus, während manche dörflichen Ensembles Siziliens wie Modellstädte wirken, in denen sich menschliches Leben nicht einmal vorstellen lässt. Mitten im eritreischen Asmara leuchtet einem ein Stadtturm entgegen, der direkt von Erich Mendelsohn inspiriert sein könnte. Manche der Fotografien sind in Farbe ausgeführt, weil, wie Pizzi erklärt, die Einheimischen die Fassaden der Gebäude oft nachträglich selber mit den in ihren Ländern gebräuchlichen Häuserfarben bemalt haben. Ein grandioses Beispiel dafür ist das so genannte Villagio D'Annunzio im Libyschen Bayada, ein Schulenensemble aus dem Jahr 1938, das in einem matten Orange-Rosa bemalt wurde. Pizzis Farbfotografien wirken hier selbst fast wie Gemälde, so stofflich und dabei so unwirklich, dass man einen Moment lang zweifelt, ob es sich nicht doch vielleicht um eine Nachbearbeitung à la Gerhard Richter handelt.

    Dass diese Ausstellung im Italienischen Kulturinstitut gezeigt wird, das seit einiger Zeit im riesigen Mussolini-Bau der Italienischen Botschaft in Berlin residiert, rundet diese Präsentation in unfreiwilliger Zuspitzung ab. In der niedrigen Ausstellungsetage, die eher wie ein langer Durchgang wirkt, können sich die großformatigen Fotoprints Donata Pizzis nicht entfalten. Dass die Italienische Botschaft diese Bilder offenbar eher mit Stolz präsentiert, weil sie den Nachweis einer tatsächlich existierenden italienischen Moderne führen, kann man indes nur zu den vielsagenden Missverständnissen zählen.