"Italien sehen und sterben" - der leicht ironische Ausstellungstitel hat einen bitteren Beigeschmack bekommen nach dem Erdbeben in den Abruzzen. Die verheerenden Auswirkungen einer anderen, historischen Naturkatastrophe sind jetzt im Musée d'Orsay zu besichtigen: Die gekrümmten, zu Boden geworfenen Körper der Menschen und Tiere, die im Jahr 79 in Pompeji vom Ausbruch des Vesuv überrascht wurden. Archäologen machten diese Körper im 19. Jahrhundert sichtbar. Sie entdeckten Hohlräume, die die Leichen im erhärteten Lavagestein hinterlassen hatten. Von diesen Hohlräumen machten sie Gipsabgüsse, die der Fotograf Giorgio Sommer in einer Bilderserie festgehalten hat. Nüchtern dokumentieren diese Fotografien im Todeskampf erstarrte oder scheinbar friedlich eingeschlafene Körper. Kurator Ulrich Pohlmann:
"Wie eine Typologie des Schmerzes - ein sehr berührendes Tableau, und es hat natürlich etwas Ur-Fotografisches, letztlich macht ja die Fotografie Erinnerung, sie macht Spuren des Vergangenen sichtbar, und in diesem Fall tut sie das auf eine besonders eindringliche Art und Weise."
Der französische Fotograf Gustave Le Gray wiederum interessierte sich für die Spuren der unmittelbaren Vergangenheit in Italien.
Italien im 19. Jahrhundert - das ist die Zeit des Risorgimento: Der italienischen Unabhängigkeitskriege gegen die Herrschaft Österreichs und der spanischen Bourbonen. 1860 erobert der spätere Nationalheld Guiseppe Garibaldi mit seinen Truppen Sizilien und Neapel. Begeistert von diesem nationalen Befreiungsmarsch, dem sogenannten "Zug der Tausend" reist Gustave Le Gray nach Süditalien, um Garibaldi zu portraitieren und in Palermo die Spuren der Kämpfe zu fotografieren: Zerstörte Gebäude, Geröll, Barrikaden auf menschenleeren Straßen.
Doch die große Mehrheit der Italienreisenden interessierte sich kaum für das aktuelle politische Geschehen. Die Touristen des 19. Jahrhunderts wussten schon vor der Abreise nach Arkadien ziemlich genau, was sie sehen wollten - aus Reiseführern:
"Der berühmte Baedeker zum Beispiel. Oder ein heute längst vergessener Ernst Förster, der ein Reisebuch für deutsche Italienreisende geschrieben hat. Diese gaben natürlich die Routen vor und haben auch den Weg so präkonditioniert und natürlich auch die Wahrnehmung von Reisenden präkonditioniert, dass viele Fotografien, aber auch Gemälde dann diese Erwartung nur noch zu erfüllen hatten."
Es beginnt mit Malern wie Camille Corot oder Thomas Jones - Künstler, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Italien entdeckten: Ihre Gemälde des Kolosseums in Rom oder der Felsen bei Neapel sind der Prolog der Ausstellung im Musée d'Orsay - der Einstieg in eine Bilderwelt, die eine zunehmend romantische Vision der italienischen Landschaft und Architektur zelebriert. Venedig im Mondschein zum Beispiel war das bevorzugte Motiv des deutschen Malers Friedrich Nerly: Silbern schimmerndes Mondlicht auf dem spiegelglatten Meer, davor die Piazetta mit der Markuslöwen-Säule. Italienische Mondschein-Atmosphäre nach dem Vorbild der Malerei zeigen auch viele Fotografien, die ab den 1860er-Jahren entstanden und Touristen als Souvenirs verkauft wurden: Ansichten von Monumenten in Rom, Venedig oder Neapel - Bilder eines Italien ohne Italiener. Ulrich Pohlmann:
"Als wenn Italien vor allem für Reisen interessant war ohne Bevölkerung Italiens. Das heißt, die Einwohner hat man häufig auch in den Reiseberichten als störende Elemente wahrgenommen. Aus dem Grund haben wir jetzt auch ein Kapitel über das italienische Volk mit dem etwas ironischen Untertitel 'Entre madones et diables', also 'Zwischen Madonna und Teufel', weil genau zwischen diesen beiden Polen die Wahrnehmung des italienischen Volkes sich abgespielt hat."
Auf meist sehr sorgfältig inszenierten Fotografien sind da italienische Stereotypen zu sehen: Musizierende Hirten und rassige Italienerinnen, Analphabeten beim Stadtschreiber und ungewaschene Makkaroni-Esser ...
"Italien sehen und sterben" ist eine schrecklich schöne Ausstellung - eine Ausstellung, die erschreckend deutlich macht, wie sehr das Italienbild des 19. Jahrhunderts von Klischees geprägt ist, und: Wie schön wir dieses imaginäre Italien noch immer finden.
"Wie eine Typologie des Schmerzes - ein sehr berührendes Tableau, und es hat natürlich etwas Ur-Fotografisches, letztlich macht ja die Fotografie Erinnerung, sie macht Spuren des Vergangenen sichtbar, und in diesem Fall tut sie das auf eine besonders eindringliche Art und Weise."
Der französische Fotograf Gustave Le Gray wiederum interessierte sich für die Spuren der unmittelbaren Vergangenheit in Italien.
Italien im 19. Jahrhundert - das ist die Zeit des Risorgimento: Der italienischen Unabhängigkeitskriege gegen die Herrschaft Österreichs und der spanischen Bourbonen. 1860 erobert der spätere Nationalheld Guiseppe Garibaldi mit seinen Truppen Sizilien und Neapel. Begeistert von diesem nationalen Befreiungsmarsch, dem sogenannten "Zug der Tausend" reist Gustave Le Gray nach Süditalien, um Garibaldi zu portraitieren und in Palermo die Spuren der Kämpfe zu fotografieren: Zerstörte Gebäude, Geröll, Barrikaden auf menschenleeren Straßen.
Doch die große Mehrheit der Italienreisenden interessierte sich kaum für das aktuelle politische Geschehen. Die Touristen des 19. Jahrhunderts wussten schon vor der Abreise nach Arkadien ziemlich genau, was sie sehen wollten - aus Reiseführern:
"Der berühmte Baedeker zum Beispiel. Oder ein heute längst vergessener Ernst Förster, der ein Reisebuch für deutsche Italienreisende geschrieben hat. Diese gaben natürlich die Routen vor und haben auch den Weg so präkonditioniert und natürlich auch die Wahrnehmung von Reisenden präkonditioniert, dass viele Fotografien, aber auch Gemälde dann diese Erwartung nur noch zu erfüllen hatten."
Es beginnt mit Malern wie Camille Corot oder Thomas Jones - Künstler, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert Italien entdeckten: Ihre Gemälde des Kolosseums in Rom oder der Felsen bei Neapel sind der Prolog der Ausstellung im Musée d'Orsay - der Einstieg in eine Bilderwelt, die eine zunehmend romantische Vision der italienischen Landschaft und Architektur zelebriert. Venedig im Mondschein zum Beispiel war das bevorzugte Motiv des deutschen Malers Friedrich Nerly: Silbern schimmerndes Mondlicht auf dem spiegelglatten Meer, davor die Piazetta mit der Markuslöwen-Säule. Italienische Mondschein-Atmosphäre nach dem Vorbild der Malerei zeigen auch viele Fotografien, die ab den 1860er-Jahren entstanden und Touristen als Souvenirs verkauft wurden: Ansichten von Monumenten in Rom, Venedig oder Neapel - Bilder eines Italien ohne Italiener. Ulrich Pohlmann:
"Als wenn Italien vor allem für Reisen interessant war ohne Bevölkerung Italiens. Das heißt, die Einwohner hat man häufig auch in den Reiseberichten als störende Elemente wahrgenommen. Aus dem Grund haben wir jetzt auch ein Kapitel über das italienische Volk mit dem etwas ironischen Untertitel 'Entre madones et diables', also 'Zwischen Madonna und Teufel', weil genau zwischen diesen beiden Polen die Wahrnehmung des italienischen Volkes sich abgespielt hat."
Auf meist sehr sorgfältig inszenierten Fotografien sind da italienische Stereotypen zu sehen: Musizierende Hirten und rassige Italienerinnen, Analphabeten beim Stadtschreiber und ungewaschene Makkaroni-Esser ...
"Italien sehen und sterben" ist eine schrecklich schöne Ausstellung - eine Ausstellung, die erschreckend deutlich macht, wie sehr das Italienbild des 19. Jahrhunderts von Klischees geprägt ist, und: Wie schön wir dieses imaginäre Italien noch immer finden.