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Italien und die Kraft des Wassers

In der italienischen Volksabstimmung über die Nutzung der Atomenergie und zur Privatisierung der Wasserwerke hat die Regierung Berlusconi eine Niederlage eingesteckt. Darin zeige sich auch "eine neue Form von Öffentlichkeit über die neuen Medien", sagt Michael Matheus, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

Michael Matheus im Gespräch Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Feindbild der italienischen Linksintellektuellen hat einen Namen: Silvio Berlusconi. Gegen den Ministerpräsidenten wird in allen Kunst- und Ausdrucksformen gezetert und gekämpft; bloß das italienische Volk hat ihn bis jetzt immer wieder gewählt. - Bis gestern. - Es gab nämlich zu Pfingsten eine Volksabstimmung über die Regierungspläne zur Nutzung der Atomenergie und zur Privatisierung der Wasserwerke, bei der die Stimmberechtigten Berlusconi regelrecht abstraften.

    Im Deutschen Historischen Institut in Rom sind wir jetzt mit dessen Direktor, Professor Michael Matheus, verbunden. Herr Matheus, ist diese politische Wende jetzt ein Erfolg der Literaten und Liedermacher oder tun die bloß so?

    Michael Matheus: Ja ich denke, es waren ja nicht nur die Linksintellektuellen, die ja durch die Bank, ob Sie nun an Benini denken, oder an Berto Eco denken, Gegner von Berlusconi sind, erklärte Gegner von Herrn Berlusconi und seiner Regierung. Diesmal hat meinem Eindruck nach die Bewegung, wenn sie denn so wollen, das intellektuelle Spektrum ist sehr viel breiter ausgefallen. Also etwa gerade auch in der katholischen Intelligenz hat es doch ganz erhebliche Widerstände gegeben. Mir ist das hier in Rom ganz konkret vor Augen getreten etwa an den Aktionen, die die Laiengemeinschaft Sant'Egidio unternommen hat, die sich auch ganz klar in Fragen des Referendums positioniert hat. Also ich denke, man wird diesmal den Protest nicht nur auf die linke Intelligenz begrenzen können, sondern schon sehen, dass sich hier in breiteren gesellschaftlichen Kreisen der Protest mobilisiert hat.

    Das weitere, was hinzu kommt: Es sind sehr, sehr viele Jugendliche diesmal aktiv geworden, die sich auch in den Wochen vor dem Referendum mobilisiert haben, auf die Plätze gegangen sind, sich an Veranstaltungen beteiligt haben, Feste gefeiert haben, Konzerte organisiert haben. Das ist in dieser Massenbewegung in den letzten Jahren nicht geschehen und insofern in der Tat etwas Neues.

    Müller-Ullrich: Wie kommt denn der Umschwung zu Stande? Ist es die alte These vom Krug, der so lange zum Wasser geht, bis sich irgendwas tut?

    Matheus: Ich glaube, da kommen eine ganze Reihe von Faktoren zusammen. Man darf ja nicht vergessen, dass in einer der vier Fragen, die zur Entscheidung anstanden, also in der Frage der Atomenergie, die Italiener 1987 schon einmal im Referendum sich klar gegen diese Energieform ausgesprochen haben. 1990 ist der letzte von vier Meilern abgeschaltet worden und 2009 hat Berlusconi dann angekündigt, wieder auf Kernenergie zu setzen, und hat damit eben doch sehr, sehr viele Widerstände mobilisiert.

    Das zweite: In Italien spielt die Frage des Wassers und des Umgangs mit diesem kostbaren öffentlichen Gut eine ganz besondere Rolle und ich habe auch bei vielen, mit denen ich gesprochen habe in den letzten Tagen, immer wieder den Eindruck gehabt, dass der Versuch, Wasser nun als Ware zu sehen, ganz alte Besorgnisse hier in Italien erweckt hat.

    Müller-Ullrich: Kommen wir noch mal kurz zurück zur Wirksamkeit der Intellektuellen. Wie hoch ist die denn generell in Italien, wenn man sie mal zum Beispiel mit Frankreich vergleicht?

    Matheus: Bekannte Leute wie die eben genannten, die sind natürlich präsent, und ein Roberto Benigni beispielsweise, Oscar-Preisträger, Schauspieler, Regisseur, der hat, wenn er Veranstaltungen macht, Tausende, bisweilen Zehn-, Hunderttausende, die sich dort dann einfinden. Aber Sie haben eingangs zurecht selbst gesagt, das hat nicht dazu geführt, dass sich dieses auch in Wahlergebnissen niedergeschlagen hat. Mein Eindruck geht dahin, dass sich hier doch eine neue Tendenz gegen Berlusconi gerichtet durchsetzen könnte.

    Und es kommt noch ein weiteres hinzu. Der jetzige Ministerpräsident kontrolliert ja nicht nur die wichtigen privaten Fernsehsender, sondern hat unter Kontrolle auch wichtige staatliche Fernsehsender. In diesen ist im Vorfeld des Referendums kaum über das Referendum berichtet worden. Aber was sich schon in neuer Dimension nun bemerkbar gemacht hat, ist eine neue Form von Öffentlichkeit über die neuen Medien, vor allen Dingen übers Internet, über Facebook und alle diese Möglichkeiten, die unterdessen existieren. Ich schließe auch gar nicht aus, dass hier gerade unter den jungen Italienern so Vorbilder, wie wir sie in den arabischen Ländern jetzt sehen, auch in anderen Ländern der Welt, dass das aufgegriffen worden ist und dass man eben sich auch über diese neuen Medien ganz bewusst nun zu engagieren bereit ist, und diese Vielzahl von Faktoren hat meiner Wahrnehmung nach dazu geführt, dass dieses Ergebnis am Montag zu Stande gekommen ist, was man ja schon als sensationell bezeichnen muss, wenn man bedenkt, dass es seit 16 Jahren nicht mehr gelungen ist, hier in Italien die 50-Prozent-Hürde, die ein erfolgreiches Referendum zu absolvieren hat, zu nehmen.

    Müller-Ullrich: Italien und die Kraft des Wassers. Der Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Professor Michael Matheus, war das. Danke für die Auskünfte.