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Italien versucht sich an einer Bildungsreform

Sie treffen sich wieder. Dozenten und Studierende der Universität La Sapienza in Rom. Wie vor Wochen schon mal, als es wegen des beschlossenen Sparkurses des italienischen Bildungsministeriums zu Versammlungen, Kundgebungen und Protesten kam.

Von Thomas Migge | 22.02.2010
    Gegenstand der Versammlungen: die neue La Sapienza. Italiens größte Hochschule mit rund 250.000 Studierenden wird neu organisiert. Komplett und ohne Wenn und Aber, wie Bildungsministerin Maria Grazia Gelmini bei einer Pressekonferenz erklärte:

    "Unsere Universitäten produzieren weniger Hochschulabgänger als Chile. Dabei haben wir 94 Hochschulen mit 320 Nebenniederlassungen. Wir haben 27 Studiengänge mit jeweils nur einem Studierenden. Das sind nur einige wenige Zahlen und deshalb muss das ganze System umgebaut werden. Das sind schlimme Zahlen."

    La Sapienza beginnt heute mit dem von Ministerin Gelmini eingeforderten "Umbau". 23 Fakultäten werden zu 15 zusammengeschmolzen. Anstelle von 105 Studiengängen werden ab dem kommenden Studienjahr nur noch 55 angeboten. Verschiedene Studiengänge werden mit anderen zusammengelegt: zum Beispiel Informatik mit Ingenieurwissenschaften, Kunstgeschichte mit Literaturwissenschaften. Wie diese Zusammenlegungen genau aussehen werden, was sie für Professoren und Studierende bedeuten, ist noch unklar. Die Rede ist von "überschüssigem Lehrpersonal": Das heißt, mit Entlassungen wird gerechnet. Das befürchtet auch Massimo Croce, Dozent für politische Wissenschaften:
    "Das ist doch wohl logisch. Wenn hier Studienbereiche zusammengelegt werden und ein Dozentenlimit vorgegeben wird, nun, dann müssen einige doch wohl gehen. Wer weiß wer? Dass jeder von uns einen wissenschaftlichen Auftrag erfüllt, scheint niemanden zu interessieren."
    Auch die Studierenden sehen mit Sorgen in die Zukunft. Sie befürchten, dass eine so gravierende Reform von La Sapienza zu einem großen Verwaltungschaos führen könnte. Dazu Matteo Cisternini. Er studiert Mathematik:

    "Drei Punkte kritisieren wir: Zum einen hätte man die bestehenden Probleme beseitigen sollen. Jetzt schafft man neue, in dem ganze Fachbereiche zusammengelegt werden. Zweitens: Welche Professoren bleiben, welche nicht? Wer wird in Zukunft unser Ansprechpartner sein? Und drittens: Was bedeutet dieser Umbau für unsere Studiengänge? Und: Wie passt dieser Umbau mit der Kürzung von 500 Millionen Euro Staatsgeldern, auf drei Jahre verteilt, zusammen."

    Die Studierenden befürchten vor allem einen Einschnitt in die Studienqualität – und nicht wenige suchen bereits das Weite:

    "Ich weiss nicht, ob hier noch Studienqualität garantiert werden kann. Ich studiere politische Wissenschaften, weil dieser Studiengang an La Sapienza einen ausgezeichneten Ruf genießt. Da ich nicht weiß, was aus diesem Studiengang wird, versuche ich, nach Florenz zu wechseln. Ich befürchte hier eine Verwässerung des Umfangs der Unterrichtsqualität und das ist ein Thema, das große Aufmerksamkeit verdient",

    meint Federico Castagnetti, der im dritten Jahr an La Sapienza studiert. Auch Carlotta De Benedetti, sie studiert im vierten Jahr Kunstgeschichte, hat bereits Schritte in die Wege geleitet, um an die Uni Mailand zu wechseln:

    "Wissenschaft ist ein Gemeingut, etwas sehr wichtiges, das man nicht wie Unternehmenszweige zusammenlegen und auseinanderreißen kann. Ich weiß nicht, wie es mit der Kunstgeschichte in La Sapienza weitergeht. Ich habe mich für diese Uni wegen ihres guten Rufs in diesem Fach entschieden. Ich will wechseln, weil ich nicht weiß, was mich erwartet und ich auf Nummer sicher gehen will in puncto akademischer Ausbildung. Ich finde die Situation alarmierend."

    Das sehen auch viele andere Studierende so. Einer aktuellen Umfrage der Tageszeitung "la Repubblica” zufolge sind zehn Prozent aller Studierenden auf der Suche nach einer alternativen Hochschule. Weitere zehn Prozent überlegen sich, ob sie an La Sapienza bleiben sollen oder nicht. Carlotta De Benedetti spricht von "studentischem Aderlass":
    "Die Qualität einer Hochschule wird doch auch daran gemessen, wie viele Studierende dort studieren wollen. Ich habe den Eindruck, dass man hier unseren Weggang bewusst provoziert. Man will ja alles, wie es heißt, 'schlanker' machen. Weniger Studierende, weniger Personal, komprimiertes Studienangebot. Ich bezweifle, dass dadurch alles besser wird."