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Italien
Vorpreschen im Deal mit Libyen

Die EU will die Zusammenarbeit mit Libyen in der Flüchtlingspolitik verstärken, Italien nimmt hier eine Vorreiterfunktion ein. Hilfsorganisationen prangern allerdings inhumane Bedingungen in libyschen Lagern an. Die Verzweiflung der Menschen dort ist ohnehin so groß, dass sie weiter die gefährliche Flucht riskieren werden.

Von Jan-Christoph Kitzler | 06.02.2017
    Flüchtlinge, die von der libyschen Küstenwache gerettet wurden, sitzen in Tripoli.
    Flüchtlinge, die von der libyschen Küstenwache gerettet wurden, sitzen in Tripoli. (AFP / MAHMUD TURKIA)
    Für Italien ist Libyen schon immer ein Schlüsselstaat. Und auch, dass eine mögliche Lösung der Migrationskrise immer auch Libyen miteinschließen muss, hat man in Rom schon lange erkannt. Auch deshalb ist Paolo Gentiloni, Italiens Premierminister, vorgeprescht und hat, noch vor dem EU-Gipfel in Malta, eine Absichtserklärung mit der Regierung in Tripolis abgeschlossen.
    "Es geht in diesem Abkommen um die Organisation der Lager in Libyen und um die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen zur Rückführung der Migranten in ihr Heimatland. Es geht um Grenzschutzpolizei und Küstenwache. Da wird ein möglicher Weg aufgezeigt, um die Migrantenströme zu verringern und zu managen."
    Die EU will nachziehen und hat auf dem Malta-Gipfel eine Erklärung verabschiedet, in der die Stärkung Libyens eine zentrale Rolle spielt. Auch, damit der Grenzschutz besser funktioniert. Dennoch bleibt das Problem der Ansprechpartner: Das Abkommen Italiens wurde mit der Regierung in Tripolis geschlossen, die längst nicht die Kontrolle über das gesamte Land hat.
    Hilfsorganisationen kritisieren Deal mit Libyen
    Doch auch Bundeskanzlerin Merkel hatte schon öffentlich von einem Libyen-Deal geträumt. Schließlich hat ja auch das Abkommen mit der Türkei wesentlich dazu beigetragen, die Migrationsbewegungen über die Balkanroute einzudämmen. Doch so ein Deal mit Libyen sei Augenwischerei, sagen Hilfsorganisationen, zum Beispiel Charlotta Sami, vom UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, in Italien:
    "Zur Zeit kann jede Art von Abkommen, wie das zwischen Europa und der Türkei mit einem Land wie Libyen nicht einfach 1:1 übertragen werden. Der einzige Weg, wie in Libyen mit der Migration umgegangen wird, ist die massenhafte Unterbringung in Lagern. Nicht in Aufnahmezentren, sondern in Haftlagern. Es gibt etwa 24 und dort herrschen inhumane Lebensbedingungen."
    Und diese Bedingungen sind auch in Deutschland bekannt: Mehrere deutsche Medien hatten vor Kurzem einen Bericht des Auswärtigen Amtes zitiert, der von "allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen" und "KZ-ähnlichen Verhältnissen" in Libyen spricht.
    Der Großteil der über 180.000 Migranten, die Italien im letzten Jahr erreicht haben, sind in Libyen aufgebrochen, ebenso die fast 4.500, die auf der zentralen Mittelmeerroute 2016 gestorben sind. 40 Prozent Schutzbedürftige seien darunter, sagt das UNHCR. Aber auch die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge sind in Libyen in der Falle:
    "Wenn sie in Libyen ankommen, sind sie in einer ausweglosen Situation: Wenn sie dort bleiben, sterben sie, wenn sie umkehren, riskieren sie den Tod. Für sie ist die einzige Lösung, weiterzugehen."
    Verzweiflung der Menschen bleibt
    Italiens Regierung meint, besser ein Abkommen mit einer Regierung, die nur teilweise die Macht in Libyen hat, als gar kein Abkommen. Paolo Gentiloni fordert, dass auch Europa investieren muss, damit sich die Lage in Libyen verbessert.
    "Dadurch verschwindet nicht plötzlich ein Phänomen, das Dimensionen und Gründe hat, die man nicht mit einem Zauberstab beseitigt. Aber wenn wir es schaffen, dass die Zahlen geringer werden und wir das managen, dann geben wir der Öffentlichkeit eine Antwort. Und wir werden legale, kontrollierte Wege der Migration bekommen, humanitäre Korridore. Und wir vermeiden die Notlage und die Tragödien."
    Fragt man Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Die Hochsaison, in der sich besonders viele auf den Weg nach Europa machen, kommt erst noch. Und die Verzweiflung der Menschen, die in Libyen gestrandet sind, ist auf jeden Fall so groß, dass sie auch 2017 bereit sind, ihr Leben zu riskieren.