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Italien
Wie ein Einzelhändler der 'Ndrangheta trotzt

Sechs Anschläge hat er überlebt, mehrmals haben sie seine Lager und sein Geschäft zerstört - alles weil er sich geweigert hat, dem 'Ndrangheta-Clan Schutzgeld zu zahlen. Aber aufgeben kommt nicht infrage: Gerade hat Tiberio Bentivoglio in Reggio Calabria wieder seinen Laden für Kleinkindbedarf eröffnet.

Von Jan-Christoph Kitzler | 12.09.2016
    Einen schicken Laden hat Tiberio Bentivoglio. Im Zentrum von Reggio Calabria, nahe der Promenade am Meer. Groß, frisch renoviert. Auffällig nur, dass davor rund um die Uhr schwer bewaffnete Soldaten stehen. Und wenn Tiberio Bentivoglio kommt, dann mit einem gepanzerten Auto, bewacht von zwei Carabinieri. Das ist bitter nötig, sagt er:
    "Sieben Mal wurde ein Anschlag auf mich verübt. Sechs auf den Laden: Einbrüche, Bomben, Brandanschläge. Sie haben den Laden mehrmals zerstört, ob mit Sprengstoff oder Feuer. Wir haben immer versucht, wieder aufzustehen. Das wieder aufzubauen, von Null zu starten. Wir haben es immer geschafft. Mit tausenden Opfern und vielen Schulden."
    Dass es diesen neuen Laden gibt, ist eigentlich ein Wunder. Tiberio Bentivoglio hat Hilfe bekommen von Antimafia-Organisationen, von der Politik und der Justiz. Spenden haben Sie im ganzen Land für ihn gesammelt. Als er das neue Geschäft vor ein paar Monaten eröffnet hat, kamen 5.600 Menschen aus Solidarität. Denn Tiberio Bentivoglio hat etwas getan, was sich in Kalabrien nicht viele trauen: Er hat sich gegen die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia gewehrt. Doch ein Sieger ist er nicht, er hat einen hohen Preis bezahlt. Nach seiner Anzeige, dem ersten Prozess, der ersten Verurteilung von drei Mafiosi, wäre es fast aus mit ihm gewesen:
    "Ein Jahr danach haben mich mehrere Schüsse im Rücken getroffen. Sie haben auf mich sechs Mal mit einer Pistole, Kaliber 7,65, geschossen. Und nur durch ein Wunder habe ich überlebt. Eine Kugel geht durch mein rechtes Bein. Eine andere streift meine Schulter, und nach der Operation im Krankenhaus habe ich erfahren, dass es ein Mordversuch war. Denn eine Kugel steckte im Portemonnaie, dass ich an der Schulter trug. Sie haben hoch gezielt, um mich umzubringen."
    Anschläge auf Geschäft und Lager
    Die Leidensgeschichte von Tiberio Bentivoglio dauert jetzt schon über 14 Jahre. Seit Ende der 70er-Jahre hatte er einen Laden für Kleinkindbedarf im Westen von Reggio Calabria, verkaufte Kinderbetten, Babykleidung, Windeln. Ab 1992 wurde es ungemütlich, als der Clan des Viertels die Schutzgelderpresser zu ihm schickte. Er hat sie damals fortgejagt, und was folgte waren die Anschläge auf sein Geschäft und sein Lager. Und leider auch die Einsamkeit:
    "In dem Viertel, wo mein Geschäft war, habe ich die 'Ndrangheta angezeigt, aber auch Leute von der Kirche, von der Politik. Danach war ich in der Wüste. Eine Isolation zum Pleite gehen. Keiner kam mehr in den Laden, wir waren verzweifelt. Die einzige Lösung war, wegzugehen."
    Aber lange hat er es noch dort ausgehalten, immer wieder den Laden eröffnet, seine Waren vor dem ausgebrannten Geschäft verkauft. Immer wieder ist Tiberio Bentivoglio aufgestanden - bis zum Mordanschlag 2011: Seitdem humpelt er. Aber sein Geschäft hat er an anderer Stelle wieder aufgemacht, trotz aller Bitterkeit:
    "Fünfeinhalb Jahre voller Leiden, denn mit Leibwächtern zu leben ist nicht leicht für einen normalen Menschen. Wir wollten einfach nur Händler sein und sind so geendet. Mit einem Laden, den Soldaten bewachen. Der Staat hat es so gewollt, der Laden ist eine militärische Einrichtung."
    Der schöne Laden, in dem er jetzt seine Kindersachen verkauft, gehörte früher einem Mitglied der `Ndrangheta. Das soll ein Zeichen sein in einer Stadt wie Reggio Calabria, wo weit über die Hälfte der Ladenbesitzer das Schutzgeld an die Clans zahlen. Viel Ware hat er nicht – nachdem sie sein Lager in Brand gesteckt haben, mit 600.000 Euro Schaden. Aber das kommt schon noch, wenn er die Schulden bezahlt hat.
    Bentivoglio, der mit seiner Frau und seiner Tochter im Laden steht, sieht älter aus als seine 63 Jahre, und er ist sichtbar angeschlagen und müde. Denn in den letzten Jahren musste er sich nicht nur mit der wohl gefährlichsten Verbrecherorganisation Italiens auseinandersetzen.
    "Wir sind müde und etwas mutlos. Die ganze Familie. Und wir haben viel Wut im Bauch. Wir haben unsere Pflicht getan und sind überzeugt es richtig gemacht zu haben. So werden wir es wieder machen. Aber der Staat! Wenn ein Verfahren drei Jahre auf einem Schreibtisch liegt. Wenn es darum geht, Hilfsmaßnahmen zu bewilligen, und, trotz der Gesetze, dauert das Jahre, dann schaffen wir das nicht. dann strecken wir die Waffen. Wir können nicht auch noch einen Staat bekämpfen, der nicht funktioniert."
    "Wir haben Angst, viel Angst"
    Aber dass der Laden läuft, dass Tiberio Bentivoglio lebt ist auch für ihn ein kleines Wunder:
    "Wir haben Angst, viel Angst. Mehr als alle anderen. Aber die Frage ist nicht, ob man Angst hat, oder nicht. Egal ob man Angst hat oder nicht, man muss weitermachen."
    Er und sein Laden sind ein Zeichen. Dass man den Kampf gegen die 'Ndrangheta angehen kann, auch wenn er schwer ist.
    Und gleichzeitig zeigt seine Geschichte, dass dieser Kampf noch ein sehr weiter Weg ist. Aber Tiberio Bentivoglio sagt, Kalabrien und Italien sind viel zu schön, um sie der Mafia zu überlassen.