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Italienischer Faschismus im Musiktheater

Der Faschismus in Italien war auch schon vor Mussolinis Marsch auf Rom 1922 gedanklich lange vorbereitet, etwa von dem deutschen Soziologen Robert Michels, dem Philosophen Giovanni Gentile oder dem Politikwissenschaftler Sergio Panunzio, Vordenker einer faschistischen Staatslehre. Vor diesem Hintergrund muss die Debatte um den "Faschismusvorwurf" gegen die Oper "Sakuntala" von Franco Alfano von 1921 gesehen werden, die derzeit an der Oper in Rom gegeben wird.

Von Thomas Migge |
    Sakùntala ist tot. Die Schamanen und das Volk des Königs können es noch nicht fassen, dass die Hohepriesterin gestorben ist.

    Die Menschen irren ziellos durch die Welt. Sie haben ihren guten Stern verloren. Das Chaos bedroht das Volk und die Welt.

    Dann leert sich die Bühne. Die indischen Tempel und Paläste verschwinden wie durch Zauberhand. Es wird dunkel. Plötzlich öffnet sich im Bühnenhintergrund eine unsichtbare Pforte und ein starkes weißes Licht blendet die Zuschauer.
    Aus der Lichtquelle entsteigt ein Kind. Der Begründer der arinischen Rasse, des neuen Volkes, das unter seiner Führung die Welt erobern und sich untertan machen wird. Der neue Führer ist geboren.

    Mit diesem musikalisch pompösen und bedeutungsschwangeren Finale endet die umstrittenste Oper der Saison der römischen Nationaloper. 1921 wurde "La legenda di Sakùntala" von Franco Alfano in Rom uraufgeführt: Erzählt wird die Geschichte einer indischen Hohepriesterin, die sich in einen König verliebt, der allerdings verzaubert wird und seine Geliebte nicht mehr erkennt. Er wird von dem Zauber befreit, aber zu spät, die Geliebte ist bereits tot, schenkt ihm aber, als auferstandener Geist, einen Sohn. Alfanos Oper - nach einem indischen Drama des Dichters Kälidasa - brachte die Erwartungen vieler Italiener jener Jahre auf einen politischen Führer zum Ausdruck, der das Land eint. Ein heute vergessenes Werk, das der römische Generalmusikdirektor Gianluigi Gelmetti zur Wiederaufführung brachte:

    "Es ist ein großer Fehler sofort zu einer Art Taliban der politically correctness zu werden. Wir haben hier ein Werk, in dem ein Komponist versucht hat, mit Erfolg meine ich, die musikalische Dominanz des italienischen Verismus mit Hilfe der Einflüsse von Richard Strauss, von Strawinsky und Debussy zu überwinden, um zu einer neuen Musikform zu gelangen. Man muss diese Oper aus ihrem historischen Kontext verstehen. "

    Und der war ein eindeutig vorfaschistischer. Schon Jahre vor der Diktatur des Duce gefielen sich italienische Intellektuelle im Beschwören einer arischen Rasse, die durch einen wie auch immer gearteten Führer entstehen werde. Der Antisemitismus wie auch die Vorstellung, wonach die eigentliche arische Rasse irgendwo in Indien leben würde, war schon vor Mussolinis Marsch auf Rom 1922 weit verbreitet. Der Komponist Franco Alfano, der heute vor allem deshalb bekannt ist, weil er das Finale der unvollendeten Puccinioper "Turandot" schrieb, schwamm auf dem geistigen Mainstream seiner Zeit. Nur: Lässt sich das heute noch vermitteln? Sollte man eine Oper aufführen, die indirekt faschistische Ideale verbreitet? Gianluigi Gelmetti, der die Oper "La Legenda di Sakuntala" nicht nur meisterhaft dirigiert, sondern auch die in ihrer Gestaltung und Farbgebung an Gemälde von Gustave Moraeu erinnernden Bühnenbilder schuf, ist davon überzeugt, dass die Italiener die Kunst jener Epoche nicht verdrängen sollten:

    "Diese melodische Musik kommt dem heutigen Bedürfnis nach musikalischer Verständlichkeit entgegen. Warum diese Oper also nicht aufführen? Und: Vor und während des italienischen Faschismus wurde große Kunst geschaffen. De Chirico, Sironi, Respighi und andere Künstler schufen in dieser Zeit Meisterwerke. Jahrzehnte nach dieser Epoche kann man die Dinge entspannter sehen. Wer weiß, wie man in 50 Jahren über unsere Ideen heute denkt!"
    Gianluigi Gelmetti plädiert für eine umfassende musikalische Aufarbeitung der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts - vor allem der vorfaschistischen und faschistischen Zeit. Jahrzehnte, die kulturell, musikalisch und ideenpolitisch in Italien immer noch verdrängt werden. Gelmetti setzt sich damit viel Kritik aus. Das von ihm geführte Opernhaus in Rom ist das einzige Italiens, dass vergessene Werke jener Zeit wieder aufführt. Wie zuletzt die antirevolutionäre Oper "Marie Victoire" von Respighi, in der die französische Revolution als unmenschliches Experiment scharf verurteilt wird.