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Italienischer Politikwissenschaftler rechnet nicht mit Wahlsieg Berlusconis

Vor der Parlamentswahl in Italien rechnet der Politologe Angelo Bolaffi nicht mit einem erneuten Sieg von Ministerpräsident Berlusconi. Dieser habe nichts gegen die miserable Wirtschaftslage des Landes gemacht. Berlusconis Wähler seien eine "komische Mischung aus ehemaligen Christdemokraten, ehemaligen Sozialisten, ehemaligen Konservativen". Diese anarchistischen Konservativen wollten keine Steuer zahlen, keine Justiz und keinen funktionierenden Staat haben, so Bolaffi.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich hatte es klar danach ausgesehen, dass Silvio Berlusconi seine Sachen packen könnte, zu schlecht ist seine Bilanz in der Wirtschaftspolitik, zu sehr hat er sich in den Augen vieler Wähler der Lächerlichkeit preisgegeben und damit sein Land dazu. Doch der italienische Ministerpräsident hat in den vergangenen Wochen noch einmal kräftig aufgedreht und so sieht alles nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus, bei der Parlamentswahl, die entscheiden soll, wer in Zukunft das Land führen soll. Berlusconi oder sein Herausforderer Romano Prodi. Am Telefon begrüße ich Angelo Bolaffi, er ist Professor für Politische Philosophie an der Universität in La Sapienza in Rom. Guten Morgen!

    Angelo Bolaffi: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Bolaffi, was würde es für Italien bedeuten, wenn Berlusconi siegen und was, wenn er verlieren sollte?

    Bolaffi: Ja, wenn Berlusconi noch einmal gewählt wird, es wird, ich glaube es ist eine, ganz klar gesagt, eine Katastrophe für das Land. Für Italien und für Europa.

    Heckmann: Weshalb?

    Bolaffi: Das heißt, Italien könnte das Land sein, das mit Deutschland wieder die Bewegung in Europa zur Verfassung mitgestalten könnte. Aber Berlusconi ist ein ganz offener Gegner von Europa. Stattdessen, Romano Prodi ist ein überzeugter Europäer, wie Angela Merkel. Ich glaube, trotzdem, dass Berlusconi nicht gewählt wird. Ich hoffe das, aber ich glaube, die Wähler sind zu sehr enttäuscht worden. Und obwohl Berlusconi durch und mit seiner medialen Macht, sozusagen, in der letzten Woche, wie Sie gesagt haben, kräftig, etwas dazu gewonnen hat an Zustimmung. Trotzdem, ich glaube, die Wirtschaftslage, die miserable Wirtschaftslage des Landes, ich sage dass er kein Versprechen eingehalten hat, das er vor fünf Jahren gemacht hat. Wegen dieser Lage, ich glaube, dass Berlusconi nicht gewählt wird. Aber trotzdem, das neue Wahlgesetz, das in den letzten Monaten Berlusconi verabschiedet hat, wird die Arbeit der nächsten Regierung sehr erschweren.

    Heckmann: Inwiefern?

    Bolaffi: Weil es ein Gesetz, das Wahlgesetz, macht eine deutliche Mehrheit im Parlament sehr, sehr schwierig. Das heißt, es wird sozusagen dieses Wahlgesetz so organisiert - das ist wirklich sehr kompliziert zu erklären am Telefon, aber so gemacht - dass sozusagen die Gegner, die Mitte-Links-Koalition, die numerisch, rechnerisch die Mehrheit hat, trotzdem könnte es sein, dass diese rechnerische Mehrheit nicht eine Mehrheit an Sitzen produziert.

    Heckmann: Sie befürchten also eine Phase der Destabilität nach fünf Jahren Berlusconi, möglicherweise. Aber, ich möchte noch einmal auf die Medien zu sprechen kommen, die Sie gerade selber angesprochen haben. Die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung hat geschrieben, dass sich die Medien unter Berlusconi verändert hätten, wie Rumänien zu Zeiten Ceausescus. Ist Italien eine Demokratie nur noch dem Namen nach?

    Bolaffi: Was wir in den letzten Tagen erlebt haben. Es war wirklich schrecklich. Und wenn das politische Leben, ich glaube, das war keine Normalität, aber wenn dieses Modell des politischen Lebens die Normalität werden sollte, dann ist sozusagen die Demokratie ernst in Gefahr.

    Heckmann: Wie kommt es denn, dass die Italiener Berlusconi, diese ganzen Skandale, die er erlebt hat, haben durchgehen lassen? Spielt da auch ein Stück weit Bewunderung mit, für jemanden der es geschafft hat, sozusagen?

    Bolaffi: Ja, diese Frage wurde mir mehrmals gestellt. Und die Antwort ist sehr schwer. Die Hälfte der Italiener sind dagegen, das ist klar. Die andere Hälfte sind geteilt, die sind nicht alle Berlusconianhänger, da sind auch andere Parteien mit dabei. Die rechte Partei, die nicht unbedingt für Berlusconi sind, aber durch Berlusconi an die Macht gekommen sind. Und nur durch Berlusconi, oder mit Berlusconi an der Macht bleiben könnten. Sie haben also 20 Prozent der Bevölkerung, der Wähler für Berlusconi. Und diese Leute, das ist eine komische Mischung aus ehemaligen Christdemokraten, ehemaligen Sozialisten, ehemaligen Konservativen. Diese Leute sind sozusagen politisch nur von einer Kraft bestimmt: Antikommunistisch. Und Berlusconi ist, sozusagen, der Mann der gegen die Linke aufgetreten ist. Und wirtschaftlich gesehen, oder soziologisch gesehen, diese 20 Prozent des Landes will keine Steuer zahlen, keine Justiz sozusagen haben, die gut arbeitet und keinen funktionierenden Staat haben. Dieses soll eine anarchistischer Konservatismus.

    Heckmann: Wir haben jetzt viel, Herr Professor Bolaffi, gesprochen über Berlusconi. Auf der anderen Seite Romano Prodi. Was macht Sie so sicher, dass er wirklich eine sinnvolle Alternative anbieten kann, denn er ist ja schon einmal als Regierungschef gescheitert?

    Bolaffi: Gescheitert ist er nicht. Er ist abgewählt worden, weil eine Partei der Koalition gegen ihn gestimmt hat. Aber, wenn wir die Arbeit von Romano Prodi und der gesamten Mitte-Links-Regierung betrachten, er ist nicht gescheitert. Wir sind durch und mit Romano Prodi, und damals war auch Ciampi mit dabei, Wirtschaftsminister, wir sind in Europa gekommen, wir haben eine riesige Anstrengung gemacht, damit die Staatsschulden abgebaut werden, wir haben die Wirtschaft saniert und so weiter und so fort. Ich glaube, Romano Prodi, man kann viel gegen Romano Prodi sagen. Er hat kein Charisma, ist kein medialer Politiker, aber als Wirtschaftsmann, als Berufspolitiker, als Mann, der sich gut auskennt, ich glaube, er ist der beste Mann im Moment.

    Heckmann: Italien steht vor den Wahlen. Das war der Politikwissenschaftler Angelo Bolaffi von der Universität in La Sapienza in Rom. Ich danke Ihnen für das Gespräch.