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Italiens Ministerpräsident vor Gericht

Der italienische Premierminister Silvio Berlusconi ist wegen Amtsmissbrauchs und bezahltem Sex mit einer Minderjährigen angeklagt. Der Prozess spaltet das Land - und wird die Italiener voraussichtlich noch lange beschäftigen.

Von Kirstin Hausen | 06.04.2011
    "Was für ein Mistkerl, Berlusconi."

    Sagt der ehemalige Polizeipräfekt von Neapel Carlo Ferrigno am Telefon zu einem Freund. Das Gespräch wird von der Staatsanwaltschaft mitgeschnitten:

    "Berlusconi, der singt und Witze reißt, umringt von 28 Mädchen, die am Ende halbnackt da stehen, nur noch in Unterhosen, eine schöne Geschichte."

    Die schöne Geschichte kommt heute vor Gericht. Und Italien ist gespalten: in Berlusconi-Befürworter und Berlusconi-Gegner:
    "Ich heiße Ilaria Ramoni. Ich bin 32 Jahre alt und arbeite als Anwältin in Mailand. Ich schätze Berlusconi weder als Regierungschef noch als Mensch. Er steht für die Verbreitung der schlechten Sitten in unserem Land."
    "Ich heiße Angela und ich bin für Berlusconi, weil er mich zum Lachen bringt. In Krisenzeiten wie diesen ist er es, dem ich meine gute Laune verdanke, er ist ein Optimist und ein Verführer, nicht nur von Frauen."
    "Ich heiße Giuseppe Teri, bin Lehrer - und ich bin gegen Berlusconi, weil sich dieser Mann sein Imperium aufgebaut hat, ohne die Gesetze allzu genau zu nehmen."

    Italiens Ministerpräsident ist wegen Amtsmissbrauchs und bezahltem Sex mit einer Minderjährigen angeklagt. Berlusconis Gegner hoffen auf einen Schuldspruch. Auch wenn es bis zum Urteil - sollte es denn dazu kommen - noch ein weiter Weg ist. Denn noch ist nicht klar, ob die Mailänder Staatsanwaltschaft den "Fall Berlusconi" überhaupt weiterverfolgen darf oder ob er ihr entzogen und einem sogenannten "Ministergericht" übertragen wird. Ein solches "Ministergericht" ist für Politiker zuständig, die sich eines "Vergehens im Amt" angeklagt sehen. Auch dieses Gericht besteht aus unabhängigen Justizvertretern, allerdings kann es nur dann aktiv werden, wenn es dazu von einer parlamentarischen Mehrheit autorisiert wird. Und die Mehrheit der Abgeordneten steht immer noch auf Berlusconis Seite. Damit wäre der Prozess schnell zu Ende, und zwar ohne Urteil.
    "Es geht immer nur um ihn statt um die Probleme des Landes. Die Abgeordneten stimmen über Gesetze ab, die seine Reputation, sein Geld und ihn selbst retten sollen oder seine Freunde. Denn die maßgeschneiderten Gesetze nutzen ihm und seinen Freunden, aber sicher nicht dem Land."

    Diese Studentin wünscht sich einen raschen Verlauf des Prozesses, aber der Zuständigkeitsstreit kann das Verfahren hinziehen. Die Frage, ob die Mailänder Staatsanwaltschaft oder das spezielle Ministergericht das Verfahren übernimmt, muss das Verfassungsgericht beantworten. Entscheidend ist dabei, ob Berlusconi die ihm vorgeworfenen Straftaten in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident begangen hat oder als privater Bürger. Vorgeworfen werden ihm sexuelle Kontakte zur damals minderjährigen Marokkanerin Ruby gegen Bezahlung, was nach dem italienischen Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann. Noch schwerer wiegt allerdings der Vorwurf, Berlusconi habe seine Amtsgewalt missbraucht, um Ruby aus den Händen der Polizei zu befreien. Der Mailänder Journalist Gianni Barbacetto über die Geschehnisse auf dem Polizeipräsidium in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai 2010:
    "Ruby wird in Mailand von der Polizei aufgegriffen, weil sie jemand des Diebstahls beschuldigt, und es stellt sich heraus, dass sie aus einer Betreuungseinrichtung für Minderjährige geflohen ist und keine Papiere bei sich trägt."

    Die zuständige Jugendrichterin verlangt in jener Nacht, dass Ruby in ein Aufnahmezentrum für Minderjährige überstellt wird. Doch es kommt anders. Noch vor dem Morgengrauen ist die Marokkanerin wieder auf freiem Fuß:
    "Sie wird nur deshalb aus dem Polizeipräsidium entlassen, weil Silvio Berlusconi sich persönlich am Telefon für sie einsetzt. Er hat die Polizisten unter Druck gesetzt und von ihnen verlangt, das Mädchen gehen zu lassen."

    Silvio Berlusconi bestreitet seinen nächtlichen Anruf nicht. Er habe das getan, weil er einem Menschen in Not habe helfen wollen und gedacht habe, dass Karima El-Mahroug die Nichte des früheren ägyptischen Präsidenten Mubarak sei. So habe sie sich ihm bei ihrer ersten Begegnung in seiner Villa in Arcore vorgestellt. Die Marokkanerin hat das nicht bestätigt. Dass sie mehrere Nächte bei Berlusconi übernachtet hat, geht aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft hervor. Denn sie hatte ihr Handy dabei, und das haben die Ermittler geortet. Doch Berlusconi bestreitet, Ruby körperlich nahe gekommen zu sein. Weil nach dem italienischen Gesetz Zeugenaussagen vor Gericht wiederholt werden müssen, will Staatsanwältin Ilda Boccassini die weiblichen Partygäste des Ministerpräsidenten der Reihe nach in den Zeugenstand rufen. Das ist ein gefundenes Fressen für die internationale Klatschpresse. Mehrere Hundert Journalisten aus der ganzen Welt beobachten den Prozessbeginn heute. Silvio Berlusconi hat bereits vorgesorgt und eine Truppe applaudierender Fans zusammengestellt. Sie sollen seine Version von der Hetzjagd der roten Richter auf ihn in jedes Mikrofon sprechen.