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Prozess im Eilverfahren

Mailänder Staatsanwaltschaft macht ernst und will Silvio Berlusconi so schnell wie möglich vor Gericht bringen. Dem italienischen Ministerpräsidenten werden Amtsmissbrauch und der Umgang mit einer minderjährigen Prostituierten vorgeworfen.

Von Kirstin Hausen | 10.02.2011
    Die Mailänder Staatsanwälte machen ernst. Ilda Boccassini, die leitende Ermittlungsrichterin, nennt die Beweislage gegen Silvio Berlusconi "erdrückend". So erdrückend, dass es keine weiteren Belege mehr brauche, um Berlusconis Schuld vor Gericht zu belegen. Statt also den normalen Weg der italienischen Justiz zu gehen, der nach den Vor-Ermittlungen die Eröffnung eines zweiten monatelangen Ermittlungsverfahrens vorsieht, will Boccassini mit ihren gesammelten Unterlagen direkt vor Gericht ziehen. Ob dem Wunsch der Staatsanwältin entsprochen wird, entscheidet die Richterin Cristina di Censo. Sie muss sich nun die mehr als 1000 Seiten lange Akte durchlesen. Darin enthalten sind auch Protokolle von abgehörten Telefongesprächen, in denen Silvio Berlusconi als der Angerufene spricht. Diese sind der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt und werden auch nicht in einem Prozess gegen den Regierungschef benutzt werden können. Sein Amt garantiert ihm das Recht, nicht abgehört zu werden. Sollte Richterin Di Censo ebenfalls der Auffassung sein, dass das Berlusconi belastende Material für die Eröffnung eines Prozesses ausreicht, könnte es jetzt wirklich schnell gehen. Dann müsste der Ministerpräsident bereits im März vor Gericht erschienen. Sein Verteidiger, der Abgeordnete Nicolò Ghedini, zeigt sich nicht überrascht.
    Die Staatsanwälte verstoßen gegen ihre Kompetenzen, murmelt er, bevor er hastig ins Auto steigt und den Fragen der Journalisten entkommt. Silvio Berlusconi stößt ins gleiche Horn. Die Mailänder Staatsanwälte müssten für ihr Vorgehen bestraft werden, hatte er bereits gefordert, als die Ermittlungen gegen ihn bekannt wurden. Zunächst sah es so aus, als wolle er seine Anhänger zu einer Demonstration gegen die Staatsanwälte aufrufen, doch inzwischen scheint er davon wieder Abstand genommen zu haben. Zu viele Parlamentarier des rechten Spektrums würden bei einer solchen Aktion nicht mitmachen. Carmelo Bruguglio von der politischen Gruppe FLI rund um Parlamentspräsident Gianfranco Fini:

    "Wer denkt, er könnte gegen die Richter auf die Straße gehen, fordert die Demokratie heraus. Diese bizarre Idee ist glücklicherweise bereits wieder verworfen worden."

    Stattdessen fährt Silvio Berlusconi nun ein Heer an Anwälten auf, geleitet von Nicolò Ghedini. Seine Verteidigung stützt sich auf die Behauptung, der Ministerpräsident habe in jener Nacht, als er die Marokkanerin Karima El-Mahroug durch einen Anruf beim Polizeichef aus dem Polizeigewahrsam befreite, tatsächlich geglaubt, es handle sich um die Nichte des ägyptischen Präsidenten Mubarak. Das hatte er als Begründung für die sofortige Freilassung angeführt. Der Regierungschef habe deshalb sein Amt nicht für private Zwecke missbraucht, sondern habe im Bewusstsein seines Amtes eine diplomatische Krise verhindern wollen. Berlusconi hatte in jener Nacht aber weder den italienischen Botschafter in Kairo informiert noch den ägyptischen Botschafter in Rom noch sonst irgendeinen Diplomaten. Was die Staatsanwältin Ilda Boccassini vom amtierenden Ministerpräsidenten hält, hat sie bereits in einem früheren Prozess gegen Berlusconi gesagt.

    "Das ist eine Person, die das italienische Volk belügt. Die genaue Rekonstruktion der Ereignisse hat bestätigt, dass nichts von dem, was Berlusconi uns gesagt hat, der Wahrheit entspricht."

    Damals hatte Ilda Boccassini als Vertreterin der Anklage neun Jahre Gefängnis für Silvio Berlusconi gefordert. Welches Strafmaß sie diesmal für angemessen hält, wird sie wie gewohnt erst bei ihrem Abschlussplädoyer im Gericht sagen. Vorausgesetzt, es kommt zum Prozess. Die nächsten Tage sind entscheidend für das weitere Schicksal des italienischen Ministerpräsidenten.