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Italiens Schulen in der Krise

Das deutsche Bildungssystem muss trotz aller Reformbemühungen gegen seinen schlechten Ruf ankämpfen. In Italien ist die Situation noch um einiges schlimmer: Jeder vierte Italiener unter 25 ist arbeitslos gemeldet. Die Ursachen dafür liegen in den Versäumnissen des Schulsystems. Karl Hoffmann über die Sorgen italienischer Schüler und Lehrer.

    Zwei Jugendliche stapfen durch eine völlig verkommene Bauruine. Hier hätten sie eigentlich zur Schule gehen sollen, aber korrupte Politiker haben das vereitelt, meint Marco:

    "Diese Gebäude sind verlassen und verfallen. Das hier hätte die Grundschule von Boscoreale werden sollen. Nun schaut euch das an. Es stellt sich die Frage, wer die Gelder unterschlagen hat, mit denen diese Schule eigentlich hätte fertiggebaut werden sollen. Wer ist dafür verantwortlich?”"

    Miserabel ausgestattete Schulen, veraltete Gebäude, nie beendete Neubauten, auch das gehört zur traurigen Realität des immer wieder heftig umstrittenen italienischen Schulsystems. Es war nach dem letzten Krieg durchaus modern konzipiert worden: als eine Art Gesamtschulsystem, in dem alle Kinder bis zur 8. Klasse dieselbe Schule besuchen sollten, um sich erst mit 15 zwischen Berufs- und Universitätsausbildung entscheiden zu müssen. Ein Ansporn für die Nachzügler, eine Schule der Solidarität für die Klassenbesseren und damit eine Erleichterung für die Lehrer. Doch davon kann heute überhaupt nicht mehr die Rede sein.

    Alessandro Beltrami ist 19 Jahre alt, die Schule kennt er nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus der Sicht seiner Mutter, die Hauptschullehrerin ist:

    ""Vor zehn Jahren kam meine Mutter noch sehr viel weniger gestresst nach Hause als heute. Meiner Meinung ist ein wichtiger Grund dafür die Ungezogenheit der Schüler und natürlich ihrer Eltern. Denn wenn ein Kind sich schlecht benimmt, dann ist das im wesentlichen die Schuld der Eltern. Ein unflätiges Kind, das den Lehrern nicht gehorcht, ist ein großes Problem und ein Zeichen dafür, daß es mit der Gesellschaft bergab geht."

    Eben gegenüber den auch in anderen Ländern bekannten Problemen – höhere Schülerzahlen, Einsparungen beim Lehrpersonal, immer umfangreichere Lehrpläne – ist die schrumpfende Autorität der Lehrer ein entscheidender Faktor bei den abnehmenden Leistungen der Schüler aller Schultypen, von der Grundschule bis zum Gymnasium. Ein eklatantes Beispiel ist der Fall einer Hauptschullehrerin in Palermo, die einen Schüler hundert Mal "Ich bin ein Dummkopf" schreiben ließ, weil er einen Mitschüler als Schwulen beschimpft hatte.

    Die Eltern behaupteten, ihr Sohn sei Opfer einer moralischen Misshandlung geworden und verlangten Schadensersatz von der Lehrerin. Ein Gericht entschied schließlich die Rechtmäßigkeit der Strafe, aber trotzdem war der Fall ein Alarmzeichen. Immer mehr müssen sie die Lehrer künftig vor ungezogenen Schülern und ihren streitbaren Eltern in Acht nehmen. Auf der Strecke bleibt das Ziel der Schule, nämlich die Schüler zu motivieren, sich Wissen anzueignen, um ihre Berufschancen zu verbessern.

    Alessandro hatte sich nach der 8. Klasse zunächst fürs Gymnasium entschieden, altsprachlich. Eigentlich wollte er Journalist werden, aber dann war ihm die Schule zu viel und er ist nun stattdessen Verkäufer in einem Supermarkt.

    "Ich habe die Schule geschmissen, inzwischen weiß ich, dass man nur wenn man studiert und die Uni mit guten Noten abschließt, auch Aussicht hat auf einen guten Job. Aber selbst dann nicht immer: Ein Freund von mir hat sehr gute Noten und trotzdem findet er keine Arbeit. Es gibt einfach nicht genug Arbeitsplätze für Neulinge. Überall heißt es: Wir brauchen Personal mit Berufserfahrung."

    Schulabgänger haben es überall schwer und das wirkt sich nicht gerade positiv auf die Noten aus nach dem Motto: "Mich nimmt sowieso keiner, also brauche ich auch nicht zu lernen." Um diesem Trend Einhalt zu gebieten, hat der italienische Erziehungsminister Giuseppe Fiorani 30 Millionen Euro lockergemacht, mit denen schwache Schüler während der dreimonatigen Sommerferien aufs neue Schuljahr mit Nachhilfeunterricht vorbereitet werden sollen. Die Unione degli Studenti, eine Art Schülergewerkschaft, ist skeptisch, dass damit etwas Sinnvolles erreicht wird: Zu lernen bei derzeit 35-40 Grad im Schatten ist nicht jedermanns Sache. Und bei 13.000 Schulen im Land ist der Nachhilfeetat bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.