Dienstag, 16. April 2024

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Ivor Bolton dirigiert Sinfonieorchester Basel
Der unbekannte Fauré

Es gibt Komponisten, deren Bekanntheit nur mit sehr wenigen Werken verknüpft ist. Gabriel Fauré ist einer von ihnen. Doch abseits von "Pavane" und "Requiem" gibt es bei Fauré jede Menge Unbekanntes zu entdecken. Das Sinfonieorchester Basel geht mit seiner neuen CD auf eine spannende Entdeckungsreise.

Am Mikrofon: Christoph Vratz | 12.08.2018
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    Das Sinfonieorchester Basel hat kaum bekannte Werke von Gabriel Fauré eingespielt (Matthias Willi)
    Musik: Gabriel Fauré, Pavane
    Seine "Pavane" kennt man aus fast jedem Wunschkonzert, und auch sein ungewöhnlich lichtes "Requiem" hat Gabriel Fauré eine gewisse Popularität eingebracht. Doch darüber hinaus ist seine Musik relativ wenig bekannt oder war, sollte man vielleicht sagen. Denn kaum ein Komponist hat in den vergangenen rund zehn Jahren eine zwar sanfte, aber dennoch so intensive Renaissance erfahren wie Fauré. Pianisten wie Hannes Minnaar oder Michael Endres haben seine Klaviermusik in den Fokus genommen, vor allem die Nocturnes und Barcarolles. Das Trio Wanderer und andere haben die Kammermusik neu erschlossen, und nun präsentieren Ivor Bolton und das Sinfonieorchester aus Basel beim Label Sony eine CD mit wenig bekannten Orchesterwerken.
    Musik: Gabriel Fauré, Caligula
    "Caligula" ist so eine Entdeckung, Faurés Konzertsuite nach einer Bühnenmusik zu dem gleichnamigen Drama von Alexandre Dumas d.Ä., den man heute vor allem als Verfasser der "Drei Musketiere" und des "Grafen von Monte Christo" kennt. Dumas war zu seiner Zeit auch ein erfolgreicher Autor von Dramen. 1837 verfasste er eine Tragödie über den als brutalen Gewaltherrscher bekannt gewordenen römischen Kaiser Caligula. Rund 50 Jahre nach der Uraufführung von Dumas' Schauspiel nahm der Direktor der Pariser Opéra-Comique das Stück wieder ins Programm und bat Fauré um eine Bühnenmusik. Der sagte zu und bearbeitete sein neues Werk unmittelbar danach als Suite für den Konzertsaal.
    Musik: Gabriel Fauré, Caligula
    Mit einer Fanfare, die die Ankunft des Kaisers verkündet, und mit einem Marsch als Ehrenparade eröffnet Fauré seine "Caligula"-Suite. Ivor Bolton staffelt die einzelnen Gruppen des Sinfonieorchesters aus Basel mit großer Umsicht. Die Trompeten klingen hell und feierlich, aber nicht dröhnend. Den Streichern verleiht er ausreichend Gewicht, um sich gegen die Kraft des Blechs zu behaupten.
    Musik zwischen Idylle und Grauen
    Fünf Sätze umfasst diese Suite, die so gut wie nie im Konzert zu hören ist, wohl auch, weil sie einen Chor erfordert, genauer einen Frauenchor. "L’hiver s’enfuit", der Winter entflieht – eine ahnungsvolle Vision von Frühling, fernab der Gräuel des römischen Potentaten, hier gesungen von den Frauen des Balthasar-Neumann-Chores.
    Musik: Gabriel Fauré, Caligula
    Gabriel Fauré war ein Meister der "Moderato"-Abstufungen. Seine Musik hat oft etwas Fließendes, frei von Hektik, aber immer noch so zügig, dass es nicht behäbig klingt und sich eine Form von Eleganz einstellt. Genau dieser Spagat gelingt auch Ivor Bolton in der "Caligula"-Suite. Etwa in der Schluss-Nummer, die kurz vor der Ermordung des Kaisers wie ein retardierendes Moment wirkt. Bolton geht behutsam mit der Tempovorgabe "Andante molto moderato" um. Über einem sehr leisen, ganze 14 Takte gehaltenen Ton der Streicher melden sich abwechselnd zwei Harfen sowie Klarinetten und Fagotte zu Wort, bevor die übrigen Holzbläser vorsichtig hinzutreten. Bolton und sein Orchester gestalten das halb idyllisch, halb unheimlich, auf jeden Fall zweideutig. Erst wenn nach über einer Minute der Chor einsetzt, löst sich vorübergehend die Spannung.
    Musik: Gabriel Fauré, Caligula
    1889, nur ein Jahr nach "Caligula", komponierte Gabriel Fauré die Bühnenmusik zu "Shylock" nach Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig". Auch in diesem Fall arrangierte Fauré das Material nachträglich zu einer Orchestersuite, allerdings mit deutlichen Eingriffen. Die Abfolge der Sätze wurde geändert, einige Zwischenspiele hat er gestrichen und im Finale die Besetzung vergrößert. Das "Chanson" zu Beginn erhielt eine kurze Orchestereinleitung.
    Musik: Gabriel Fauré, Shylock
    Solist ist der junge Tenor Benjamin Bruns, der u.a. schon in Wagner-Produktionen mit Simon Rattle und in Bayreuth unter Christian Thielemann mitgewirkt hat. Er beherrscht das französische Idiom mit großer Sicherheit. Die Vokale formt er, wo erforderlich, nasal und lässt sie am Wort- oder Silbenende elegant nachklingen, so auch im "Madrigal", dem Morgenständchen, das in Shakespeares Dramenvorlage der Prinz von Aragon singt. Später erlangte dieses kurze "Madrigal" in Faurés eigener Fassung als Klavierlied eine größere Bekanntheit.
    Musik: Gabriel Fauré, Shylock
    Um in der Finalszene des "Shylock" die entsprechende Jubel-Atmosphäre abzubilden, verlangt Fauré eine Reihe von Pizzicato-, Staccato- und Spiccato-Effekten. Dadurch entwickelt die Musik einen zunächst kecken Charakter und gewinnt mehr und mehr an Kraft. Ivor Bolton und das Sinfonieorchester Basel nutzen die vielen kurzen Rhythmen als Grundierung, um darüber die wechselnden gebundenen Motive deutlich hörbar zu platzieren. So entsteht ein farbiges Gesamttableau, das jedoch nicht großsinfonisch bombastisch erscheint, sondern all seine Transparenz bewahrt.
    Musik: Gabriel Fauré, Shylock
    Neben dem Vorspiel zu "Pénélope" haben Ivor Bolton und das Sinfonieorchester Basel auch die Orchestersuite "Pelléas et Mélisande" aufgenommen. Die originale Bühnenmusik entstand 1898, drei Jahre nach Debussys gleichnamiger Oper, unter großem Zeitdruck und teils mit Hilfe von Faurés Schüler Charles Koechlin. 1901 wurde die daraus abgeleitete Suite erfolgreich uraufgeführt. Das einleitende Prélude ist sicher einer von Faurés tiefsinnigsten, ausdrucksstärksten Sätzen. Es beginnt wie eine Traummusik. Die Streicher spielen seidig und fangen so die Zartheit von Mélisande ein.
    Musik: Gabriel Fauré, Pelléas et Mélisande
    Wenn dann Flöte, Fagott und Cello ein zweites Thema anstimmen, erzeugt Ivor Bolton einen fast unheimlichen Gestus. Er lässt dieses Motiv nicht idyllisch aufblühen, sondern deutet es wie eine Art Schicksalsthema.
    Olga Peretyatko ist "Tüpfelchen auf dem i"
    Bolton gelingt es eindrucksvoll, sentiment (Gefühl), couleur (Farbe) und clair obscur (hell-dunkel) miteinander zu vereinen, und zwar ohne dass diese Musik post-wagnerisch schwül klingt. Die Spannung, die Bolton hier mehr und mehr aufbaut, gipfelt schließlich in einem Fortissimo und einer chromatisch absteigenden Bewegung, die sofort ins ganz Leise überleitet bis zu einem Hornsignal, das den Jäger Golaud symbolisiert. Diese Übergänge klingen äußerst organisch und genau geprobt.
    Schließlich enthält diese mit viel Bedacht konzipierte CD auch vier Orchesterlieder, gesungen von der Sopranistin Olga Peretyatko. Sie bilden sozusagen das Tüpfelchen auf dem i und runden die klare Empfehlung dieser Aufnahme ab. Stimme und Orchester bilden wie hier in "Die Rosen von Isfahan" eine Einheit. Jede dynamische Veränderung erwächst wie selbstverständlich aus dem Vorherigen. Nie wirken Peretyatkos Spitzentöne forciert oder grell. Ihr gleichmäßig schwingendes Vibrato passt zu Faurés Linienbildung exzellent.
    Musik: Gabriel Fauré, Les roses d'Ispahan
    Das war "Die neue Platte" im Deutschlandfunk. Heute mit einer Aufnahme des Sinfonieorchesters Basel unter Ivor Bolton. "The Secret Fauré", der geheime Fauré, lautet der Titel. Die CD umfasst Orchesterlieder und mehrere Suiten nach Bühnenmusiken. Erschienen ist sie bei Sony Classical.
    "The Secret Fauré"
    Olga Peretyatko, Sopran
    Benjamin Bruns, Tenor
    Balthasar-Neumann-Chor
    Sinfonieorchester Basel
    Leitung: Ivor Bolton
    Sony (LC 06868) 19075818582