Welteke: Ja. In Europa haben wir eine etwas andere Situation. Wir beginnen am 1.1.1999 mit der Europäischen Währungsunion, und wir müssen bis dahin einen einheitlichen Zinssatz haben. Wir haben aber in den Mitgliedstaaten, in den elf Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterschiedliche konjunkturelle Stände, wenn Sie nach Irland einerseits schauen mit einem hohen Wachstum und wenn Sie auf die Kernländer nach Deutschland und nach Frankreich schauen mit eher geringerem Wachstum und mit großen Beschäftigungsproblemen. Wenn Sie sich die Zinsen anschauen, dann haben wir in etwa sieben Ländern einen Zinssatz, der um 3,3 Prozent schwankt, während er in Irland, in Spanien, Portugal und Italien deutlich darüber liegt. Wenn es nun zu einheitlichen Zinsen kommt, so wird das automatisch zu einer Senkung der Zinsen in Europa führen und damit auch einen konjunkturellen Impuls auslösen. Es ist verständlich, daß Oskar Lafontaine mit Blick auf die Konjunktur insbesondere in der Bundesrepublik schauend und auf die Auswirkungen der Krisen in Asien, Russland und Südamerika darauf hinweist, daß es vielleicht notwendig wäre, auch in Europa die Zinsen noch weiter zu senken. Aber auch in Amerika war das nur ein kleiner kurzer Schritt, und man muß die weitere Entwicklung abwarten.
Engels: Nun hat auch der IWF gestern noch einmal deutlich gemacht, die Zinsen gerade auch in Europa, in den stärkeren Industrienationen müßten gesenkt werden, damit es nicht zu einer Weltrezession komme.
Welteke: Ich weiß nicht, was der IWF gestern gesagt hat. Wir stehen ja kurz vor dem Treffen des IWF und der Weltbank in Washington an diesem Wochenende, und dort wird sicherlich auch darüber im einzelnen diskutiert werden. Wir müssen aber auf der anderen Seite auch sehen, daß die Zinssenkung alleine kein Allheilmittel ist für eine weitere Beschäftigungszunahme oder für einen konjunkturellen Aufschwung. Wir haben in Japan jetzt schon seit Jahren das Phänomen, daß die Zinsen so niedrig sind wie noch nie und die Konjunktur gleichwohl nicht anspringt. Auch in Deutschland, um hier im Lande zu bleiben, hat es ja in den vergangenen Monaten ständige Rückgänge der langfristigen Zinsen gegeben, und eigentlich sind dies die Zinsen, auf die die Investoren schauen sollten, wenn sie Kredite aufnehmen, um damit Infestitionen zu finanzieren. Es ist gar nicht sicher, daß eine weitere Senkung der Geldmarktsätze dazu führt, daß die langfristigen Zinsen noch weiter nach unten gehen.
Engels: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Zinssenkung jetzt in Deutschland wäre ein falsches Signal?
Welteke: Nein, das will ich so unbedingt nicht sagen. Wir haben genügend Turbolenzen an den Märkten, daß es nicht notwendig ist, daß wir auch noch jetzt hektisch als Notenbänker reagieren. Wir müssen die Entwicklung sorgfältig beobachten und müssen vor allen Dingen darauf achten, daß das im europäischen Gleichschritt geschieht.
Engels: Welche Finanzpolitik erwarten Sie denn von einer rot/grünen Regierung?
Welteke: Welche Finanzpolitik? - Zunächst einmal geht es darum, eine Bestandsaufnahme zu machen. Das ist auch immer wieder von den Sozialdemokraten im Vorfeld der Wahlen erklärt worden. Sie müssen dann sehr sorgfältig sehen, daß der Anstieg der Verschuldung gebremst wird, damit die Belastungen für die späteren Generationen nicht noch größer werden.
Engels: Nun weiß jeder, daß die Haushaltskassen so gut wie leer sind, wenn nicht ganz leer. Sehen Sie dort überhaupt noch finanzpolitischen Spielraum für zusätzliche sozialpolitische Ausgaben?
Welteke: Es geht ja auf der einen Seite nicht nur um zusätzliche sozialpolitische Ausgaben, sondern es geht auf der anderen Seite ja auch darum, daß bisher in der Bundesrepublik eine Erwartungshaltung besteht, als könnten die Steuern gesenkt werden und damit für alle mehr in den Taschen bleiben. Ich glaube, auch das wird schwierig sein zu verwirklichen.
Engels: Der Ausgang der Bundestagswahlen, Herr Welteke, so gestern die Investmentbank Merrill Lynch, habe gravierenden Einfluß auf die zukünftige Leitung der Bundesbank. Der Waigel-Vertraute Jürgen Stark sollte im nächsten Jahr eigentlich den jetzigen Bundesbankpräsidenten Tietmeyer ablösen. Nun seien Sie im Gespräch, Bundesbankpräsident und damit auch Deutscher im europäischen Zentralbankrat zu werden. Sehen Sie sich als Favorit einer rot/grünen Regierung?
Welteke: Solche Spekulationen ehren mich, aber es ist noch längst nicht die Zeit, darüber ernsthaft zu reden. Die neue Bundesregierung wird sicherlich wichtigere Aufgaben zunächst zu lösen haben, und solche Spekulationen will ich meinerseits nicht kommentieren.
Engels: Werden Sie denn ein entsprechendes Angebot annehmen, so Sie gefragt werden?
Welteke: Das werde ich mir überlegen, wenn es so weit ist!
Engels: Die Wirtschafts- und Finanzpolitik muß Veränderungen in der Weltwirtschaft berücksichtigen, siehe Asien-Krise und die Krise in Russland. Sie kommen gerade von einer Reise aus Russland zurück. Wie schätzen Sie die jetzige Entwicklung ein: optimistisch oder eher pessimistisch?
Welteke: Insgesamt eher pessimistisch. Die Inflationsraten sind von einem Monat auf den anderen von einer eigentlich befriedigenden Situation knapp unter 10 Prozent auf über 60 Prozent gestiegen. Die Löhne und Gehälter, wenn sie denn überhaupt gezahlt worden sind, sind nicht gestiegen. Das hat zu einer dramatischen, man kann durchaus sagen Verarmung großer Teile der Bevölkerung geführt. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten "neuen Russen", die offensichtlich über sehr viel Geld verfügen und leider dieses Geld nicht in Russland investieren, sondern in Immobilien an Mittelmeerküsten ausgeben. Hier kann man nur sagen, man muß die russische Bevölkerung bewundern, daß sie immer wieder so viel aushält.
Engels: IWF und Weltbank werden sich in den nächsten Tagen auch mit dem Thema Russland beschäftigen. Mitte Oktober soll über eine zweite Geldrate entschieden werden, die Russland bereits zugesagt war, bisher aber nicht ausgezahlt wurde. Wird der IWF unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt zahlen können?
Welteke: Das muß der IWF selbst entscheiden, aber ich würde darauf Wert legen, daß auf jeden Fall kontrolliert werden muß, daß die Gelder auch wirklich ins Land kommen und im Land für beschäftigungschaffende Maßnahmen oder für Strukturveränderungen ausgegeben werden. Das muß nicht nur verbal erklärt werden von der russischen Seite, sondern muß auch kontrolliert werden, daß das so ist.
Engels: Noch-Finanzminister Theo Waigel wird nicht zur Jahrestagung des IWF nach Washington fahren. Ist das Ihrer Meinung nach ein Fehler, denn es geht bei dieser Sitzung ja auch um die Reform des IWF?
Welteke: Wissen Sie, jemand der nur noch wenige Tage im Amt ist, ob der wirkungsvoll eine bestimmte Position vertreten kann, weiß ich nicht. Es werden aus der Bundesrepublik aber auch genügend Fachleute dort sein, um die Interessen der Bundesrepublik zu vertreten.
Engels: Es gab bereits jetzt enttäuschte Stimmen aus Washington.
Welteke: Ja, nun, da müssen Sie Herrn Waigel selber fragen, was ihn bewogen hat, nicht hinzufahren.
Engels: Deutschland, Herr Welteke, ist wie in vielen internationalen Organisationen so auch beim IWF eher unterrepräsentiert. Wäre ein stärkeres Engagement besser?
Welteke: Das ist ja etwas, was in der Bundesrepublik immer wieder beklagt worden ist, daß wir in internationalen Organisationen nicht immer hinreichend gut vertreten sind. Das gilt nicht nur für den IWF; das galt auch lange Zeit für andere internationale Organisationen. Man sollte in Anbetracht der weltweiten Verflechtung die besten Köpfe in solche Gremien entsenden.
Engels: Ist das die jeweilige nationale Regierung, die so etwas verhindert, oder liegt es an den Strukturen internationaler Organisationen?
Welteke: Das sind sehr unterschiedliche Gremien und sehr unterschiedliche Faktoren, die dort wirken. Es muß sich die Regierung vor allen Dingen dafür stark machen, daß die Positionen gewahrt bleiben und daß aus Deutschland ausreichend Positionen besetzt werden. Dazu braucht es aber eine langfristige Hand. Das kann man nicht von heute auf morgen erreichen.
Engels: Das war im Interview des Deutschlandfunk Ernst Welteke, Präsident der Landeszentralbank in Hessen und Mitglied des Zentralbankrates der Bundesbank.
Engels: Nun hat auch der IWF gestern noch einmal deutlich gemacht, die Zinsen gerade auch in Europa, in den stärkeren Industrienationen müßten gesenkt werden, damit es nicht zu einer Weltrezession komme.
Welteke: Ich weiß nicht, was der IWF gestern gesagt hat. Wir stehen ja kurz vor dem Treffen des IWF und der Weltbank in Washington an diesem Wochenende, und dort wird sicherlich auch darüber im einzelnen diskutiert werden. Wir müssen aber auf der anderen Seite auch sehen, daß die Zinssenkung alleine kein Allheilmittel ist für eine weitere Beschäftigungszunahme oder für einen konjunkturellen Aufschwung. Wir haben in Japan jetzt schon seit Jahren das Phänomen, daß die Zinsen so niedrig sind wie noch nie und die Konjunktur gleichwohl nicht anspringt. Auch in Deutschland, um hier im Lande zu bleiben, hat es ja in den vergangenen Monaten ständige Rückgänge der langfristigen Zinsen gegeben, und eigentlich sind dies die Zinsen, auf die die Investoren schauen sollten, wenn sie Kredite aufnehmen, um damit Infestitionen zu finanzieren. Es ist gar nicht sicher, daß eine weitere Senkung der Geldmarktsätze dazu führt, daß die langfristigen Zinsen noch weiter nach unten gehen.
Engels: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Zinssenkung jetzt in Deutschland wäre ein falsches Signal?
Welteke: Nein, das will ich so unbedingt nicht sagen. Wir haben genügend Turbolenzen an den Märkten, daß es nicht notwendig ist, daß wir auch noch jetzt hektisch als Notenbänker reagieren. Wir müssen die Entwicklung sorgfältig beobachten und müssen vor allen Dingen darauf achten, daß das im europäischen Gleichschritt geschieht.
Engels: Welche Finanzpolitik erwarten Sie denn von einer rot/grünen Regierung?
Welteke: Welche Finanzpolitik? - Zunächst einmal geht es darum, eine Bestandsaufnahme zu machen. Das ist auch immer wieder von den Sozialdemokraten im Vorfeld der Wahlen erklärt worden. Sie müssen dann sehr sorgfältig sehen, daß der Anstieg der Verschuldung gebremst wird, damit die Belastungen für die späteren Generationen nicht noch größer werden.
Engels: Nun weiß jeder, daß die Haushaltskassen so gut wie leer sind, wenn nicht ganz leer. Sehen Sie dort überhaupt noch finanzpolitischen Spielraum für zusätzliche sozialpolitische Ausgaben?
Welteke: Es geht ja auf der einen Seite nicht nur um zusätzliche sozialpolitische Ausgaben, sondern es geht auf der anderen Seite ja auch darum, daß bisher in der Bundesrepublik eine Erwartungshaltung besteht, als könnten die Steuern gesenkt werden und damit für alle mehr in den Taschen bleiben. Ich glaube, auch das wird schwierig sein zu verwirklichen.
Engels: Der Ausgang der Bundestagswahlen, Herr Welteke, so gestern die Investmentbank Merrill Lynch, habe gravierenden Einfluß auf die zukünftige Leitung der Bundesbank. Der Waigel-Vertraute Jürgen Stark sollte im nächsten Jahr eigentlich den jetzigen Bundesbankpräsidenten Tietmeyer ablösen. Nun seien Sie im Gespräch, Bundesbankpräsident und damit auch Deutscher im europäischen Zentralbankrat zu werden. Sehen Sie sich als Favorit einer rot/grünen Regierung?
Welteke: Solche Spekulationen ehren mich, aber es ist noch längst nicht die Zeit, darüber ernsthaft zu reden. Die neue Bundesregierung wird sicherlich wichtigere Aufgaben zunächst zu lösen haben, und solche Spekulationen will ich meinerseits nicht kommentieren.
Engels: Werden Sie denn ein entsprechendes Angebot annehmen, so Sie gefragt werden?
Welteke: Das werde ich mir überlegen, wenn es so weit ist!
Engels: Die Wirtschafts- und Finanzpolitik muß Veränderungen in der Weltwirtschaft berücksichtigen, siehe Asien-Krise und die Krise in Russland. Sie kommen gerade von einer Reise aus Russland zurück. Wie schätzen Sie die jetzige Entwicklung ein: optimistisch oder eher pessimistisch?
Welteke: Insgesamt eher pessimistisch. Die Inflationsraten sind von einem Monat auf den anderen von einer eigentlich befriedigenden Situation knapp unter 10 Prozent auf über 60 Prozent gestiegen. Die Löhne und Gehälter, wenn sie denn überhaupt gezahlt worden sind, sind nicht gestiegen. Das hat zu einer dramatischen, man kann durchaus sagen Verarmung großer Teile der Bevölkerung geführt. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten "neuen Russen", die offensichtlich über sehr viel Geld verfügen und leider dieses Geld nicht in Russland investieren, sondern in Immobilien an Mittelmeerküsten ausgeben. Hier kann man nur sagen, man muß die russische Bevölkerung bewundern, daß sie immer wieder so viel aushält.
Engels: IWF und Weltbank werden sich in den nächsten Tagen auch mit dem Thema Russland beschäftigen. Mitte Oktober soll über eine zweite Geldrate entschieden werden, die Russland bereits zugesagt war, bisher aber nicht ausgezahlt wurde. Wird der IWF unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt zahlen können?
Welteke: Das muß der IWF selbst entscheiden, aber ich würde darauf Wert legen, daß auf jeden Fall kontrolliert werden muß, daß die Gelder auch wirklich ins Land kommen und im Land für beschäftigungschaffende Maßnahmen oder für Strukturveränderungen ausgegeben werden. Das muß nicht nur verbal erklärt werden von der russischen Seite, sondern muß auch kontrolliert werden, daß das so ist.
Engels: Noch-Finanzminister Theo Waigel wird nicht zur Jahrestagung des IWF nach Washington fahren. Ist das Ihrer Meinung nach ein Fehler, denn es geht bei dieser Sitzung ja auch um die Reform des IWF?
Welteke: Wissen Sie, jemand der nur noch wenige Tage im Amt ist, ob der wirkungsvoll eine bestimmte Position vertreten kann, weiß ich nicht. Es werden aus der Bundesrepublik aber auch genügend Fachleute dort sein, um die Interessen der Bundesrepublik zu vertreten.
Engels: Es gab bereits jetzt enttäuschte Stimmen aus Washington.
Welteke: Ja, nun, da müssen Sie Herrn Waigel selber fragen, was ihn bewogen hat, nicht hinzufahren.
Engels: Deutschland, Herr Welteke, ist wie in vielen internationalen Organisationen so auch beim IWF eher unterrepräsentiert. Wäre ein stärkeres Engagement besser?
Welteke: Das ist ja etwas, was in der Bundesrepublik immer wieder beklagt worden ist, daß wir in internationalen Organisationen nicht immer hinreichend gut vertreten sind. Das gilt nicht nur für den IWF; das galt auch lange Zeit für andere internationale Organisationen. Man sollte in Anbetracht der weltweiten Verflechtung die besten Köpfe in solche Gremien entsenden.
Engels: Ist das die jeweilige nationale Regierung, die so etwas verhindert, oder liegt es an den Strukturen internationaler Organisationen?
Welteke: Das sind sehr unterschiedliche Gremien und sehr unterschiedliche Faktoren, die dort wirken. Es muß sich die Regierung vor allen Dingen dafür stark machen, daß die Positionen gewahrt bleiben und daß aus Deutschland ausreichend Positionen besetzt werden. Dazu braucht es aber eine langfristige Hand. Das kann man nicht von heute auf morgen erreichen.
Engels: Das war im Interview des Deutschlandfunk Ernst Welteke, Präsident der Landeszentralbank in Hessen und Mitglied des Zentralbankrates der Bundesbank.