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J. William Fulbright: "Die Arroganz der Macht"
Abrechnung mit der amerikanischen Interventionspolitik

Als J. William Fulbrights Essay "Die Arroganz der Macht" erschien, war das Klima politisch aufgeheizt: Der Kalte Krieg war im vollen Gange. Die USA kämpften mit Bodentruppen und Kampfflugzeugen in Vietnam; in Berlin wurde der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien erschossen; in Amerika und Europa gingen Friedensaktivisten gegen den Imperialismus der USA und ihrer Verbündeten auf die Straße.

Von Katja Ridderbusch | 14.09.2015
    "When I was a young man, I worked for the Chairman of the Senate Foreign Relations Committee, Senator Fulbright ..."
    Als junger Mann, sagt der frühere US-Präsident Bill Clinton, habe er für den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Senat, William Fulbright, gearbeitet. Für Clinton war Fulbright Mentor und väterlicher Freund. Für Studenten und Forscher aus aller Welt ist er der Namensgeber jenes Stipendienprogramms, das zum Symbol für ein gutes, ein weltoffenes Amerika wurde.
    "And that program literally changed the whole direction of policy in country after country after country."
    Der Demokrat James William Fulbright, geboren 1905, gestorben 1995, vertrat 30 Jahre lang den Bundesstaat Arkansas im US-Senat und war maßgeblich am Entwurf der Charta der Vereinten Nationen beteiligt.
    Von seinen zahlreichen Büchern erlangte vor allem eins politischen Kultstatus unter Amerikakritikern und Friedensaktivisten weltweit: "Die Arroganz der Macht", 1966 in den USA und 1967 in Deutschland erschienen - auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Bereits der erste Satz gibt den Ton vor:
    "Es gibt zwei Amerikas: Das Amerika Lincolns (...) und das andere. Das eine ist großzügig und human, das andere ehrgeizig und egoistisch; das eine ist selbstkritisch, das andere ist selbstgerecht; (...) das eine hat Humor, das andere ist feierlich; (...) das eine ist einsichtig, das andere im Gebrauch großer Macht arrogant."
    Der Autor vertritt die Ansicht: Die USA mischen sich zu sehr in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein. Der 230 Seiten starke Essay widmet sich den Kriegs- und Krisenschauplätzen der 60er Jahre: Lateinamerika - insbesondere Kuba, Südostasien - vor allem Vietnam und China, ferner Osteuropa und Russland. Fulbright plädiert für internationales Recht und Multilateralismus - und warnt vor den Folgen von Kriegstreiberei für die amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft:
    "One of the principle reason of the disintegration and deterioration of our domestic economy is this preoccupation with warfare."
    Besonders vehement kritisierte Fulbrights die Vietnampolitik der US-Regierung. Das machte den Senator speziell bei Vertretern der Antikriegsbewegung populär. Auch verhalf er einem jungen Offizier, der in Südostasien zum Kriegsgegner geworden war, zu frühem Ruhm. Der Offizier war John Kerry, heute Außenminister der USA. Kerry sagte 1971 vor einem Senatskomitee über vermeintliche Kriegsverbrechen der Amerikaner aus. Fulbright hatte den Vorsitz.
    "Heute Morgen wird unser Komitee die Aussage von John Kerry hören. Er und seine Freunde haben in dem unseligen Krieg in Vietnam gekämpft, und sie haben ein Recht darauf, von der Öffentlichkeit gehört zu werden. Meiner Meinung nach hat keine andere Gruppe einen schärferen Blick auf die Auswirkungen dieses Krieges."
    Jahre später musste Kerry allerdings einräumen: Er war nie persönlich Zeuge jener Kriegsverbrechen, von denen er vor dem Ausschuss berichtete.
    Die Arroganz der Macht: William Fulbrights teils treffsichere, teils etwas naive, aber stets pointiert geschriebene Analyse amerikanischer Machtprojektion erwies sich auch in den Folgejahren immer wieder als aktuell, zum Beispiel während der Kriege in Afghanistan und im Irak. Bis heute liefert der Essay Steilvorlagen für eifriges Amerika-Bashing. Vor allem in Passagen wie dieser:
    "Einige unserer Superpatrioten sind der Ansicht, dass jeder Krieg, den die USA führen, ein gerechter Krieg, wenn nicht sogar ein heiliger Kreuzzug ist. Doch (...) kein maßgeblicher Historiker würde leugnen, dass die Vereinigten Staaten einige Kriege geführt haben, die ungerecht, unnötig oder beides waren."
    Allerdings beruht die Begeisterung vieler amerikakritischer Fulbright-Fans auf einer Reihe von Missverständnissen. Das wichtigste betrifft die Person des Autors selbst. Der war nämlich ein Mann der Widersprüche - liberal und weltoffen in der Außenpolitik, borniert und intolerant im Innern.
    So lehnte der Südstaatler Fulbright Zeit seines Lebens die Aufhebung der Rassentrennung ab, stimmte in den 60er Jahren gegen Bürgerrechtsgesetz und Wahlrechtsgesetz, die die Gleichstellung von Afroamerikanern im sozialen und politischen Leben sichern sollten.
    Dennoch: Fulbright war mit seinem Plädoyer für Verständigung und Annäherung seiner Zeit voraus: Er sprach sich als einer der wenigen US-Politiker von Beginn an gegen die Kommunistenhetze seines Senatskollegen Joseph McCarthy aus. Er regte an, die Beziehungen mit China und Russland zu normalisieren; Jahre bevor sein Parteifreund Henry Kissinger nach Peking und Moskau reiste. Und er schlug die Trommel für Kultur-, Bildungs- und Handelsaustausch - jene Instrumente einer Strategie, die heute als "Soft Power", weiche Macht, in den Jargon der globalen Diplomatie eingegangen ist.
    Bill Clinton fasst die politische Lebensleitung seines Mentors William Fulbright so zusammen:
    "Erinnern Sie sich an Senator Fulbright als einen Politiker aus Fleisch und Blut, einen illusionslosen Realisten und faszinierenden Mann, der einige verdammt gute Bücher geschrieben hat. Und wenn man liest, was er während des Kalten Krieges geschrieben hat, dann wird einem bewusst: Das ist heute noch relevanter als damals."
    J. William Fulbright: "Die Arroganz der Macht"
    Aus dem Amerikanischen von Reinhold Neumann-Hoditz
    Rowohlt, 236 Seiten
    Nur noch antiquarisch zu beziehen