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Jäger und Gejagter

Viel ist nicht geblieben von den Vorwürfen gegen den ehemaligen Bundespräsidenten. Nun geht es noch um ein Hotel-Upgrade und weitere Annehmlichkeiten in München in Höhe von 754 Euro. Im Rückblick fragt sich mancher, ob Medien und Justiz bei ihrer Verfolgungsjagd nicht übers Ziel hinausgeschossen sind.

Von Christoph Sterz |
    Ein grauer Morgen im Regierungsviertel. Ein Mann in blauem Overall bearbeitet mit seinem Hochdruckreiniger die steinernen Treppen vor dem Reichstagsgebäude, während sich Besuchergruppen in Warteschlangen einreihen.

    Ihr Thema an diesem Morgen: Christian Wulff will es auf einen Prozess ankommen lassen. Das haben sie zuvor in der Zeitung gelesen. Als er vor gut einem Jahr als Bundespräsident zurücktrat, war die Liste der Vorwürfe noch lang: sein Hauskredit, seine Urlaube, sein Krisenmanagement - nun ein Prozess wegen eines Hotel-Upgrades und weiterer Annehmlichkeiten in München in Höhe von exakt 754 Euro. Mancher der Hauptstadttouristen schüttelt mit dem Kopf. Besonders interessant für sie: die Rolle der Medien.

    "Die sollen überall genau hinschauen, genau wie jetzt bei den Finanzskandalen, bei dem, was da alles sonst so ans Licht gefiltert wird. Ich sehe das schon als Aufgabe der Medien mit, verantwortliche Pressearbeit zu leisten."

    Sagt ein Mann aus dem Ruhrgebiet und schließt sich seiner Reisegruppe an, auf dem Weg zur Reichstagskuppel. Ob die Medien über Wulff wirklich fair berichtet haben? Nein, sagt eine Mitreisende.

    "Einiges war, etliches war lächerlich. Klar, die Maßstäbe sollte man ja auch hoch ansetzen, dass sie eben sich nicht beeinflussen lassen durch solche Sachen. Aber ich denke, so Kleinigkeiten wie ein Bobbycar wird wohl nicht auf seine Politik einen Einfluss gehabt haben."

    Etwas entfernt vom Touristentrubel das Berliner Büro der Süddeutschen Zeitung. Nico Fried, der Leiter der Parlamentsredaktion, zeigt Verständnis für den Eindruck der Berlinbesucher. Er räumt ein, dass die Medien fleißig mitgemischt haben im Fall Wulff.

    "Das kann schon sein, dass es da eine Wahrnehmung gibt, dass die Medien wahnsinnig übertrieben haben. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass es in erster Linie damit zusammenhängt, dass alle Medien so lange und so viel über diesen Fall berichtet haben. Da entsteht so ein Eindruck auf jeden Fall."

    Falsch verhalten habe sich die Mehrheit der Journalisten aber nicht, sagt Fried. Und auch jetzt handle zumindest seine Zeitung richtig. Obwohl ihr vorgeworfen werden könnte, eine 180-Grad-Wende vollzogen zu haben. Denn die SZ bewegt sich in ihren Berichten weg von den Wulffs und stürzt sich seit Tagen munter auf die ermittelnden Behörden. Anfang der Woche schob die Zeitung Staatsanwaltschaft und Polizei in Hannover den Schwarzen Peter zu. Ausführlich beschrieben die Kollegen von Fried die Auswüchse der Ermittlungen. So war zu lesen, dass viele abstruse und sehr private Fragen gestellt worden seien, etwa zu Massagevorlieben von Bettina Wulff. Der Eindruck aber, dass Christian Wulff jetzt vom Täter zum Opfer werden soll, geplagt von übereifrigen Beamten, die ihm zu sehr auf die Pelle rückten – dieser Eindruck sei nicht ganz richtig, betont Nico Fried. Wulff sei zu Recht zurückgetreten – jetzt aber werde eben in Richtung Justiz recherchiert.

    "Jetzt gibt es eine juristische Aufarbeitung, und die wird mit der gleichen Akribie von der Öffentlichkeit, auch von der Süddeutschen Zeitung verfolgt, wie die stattfindet, und da kann man jetzt durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass da mit einem gewaltigen Aufwand eine juristische Aufarbeitung stattfindet, die dem, was wirklich an Vorwürfen da ist, im Ergebnis offenbar nicht gerecht zu werden scheint."

    Ähnliches kann man auch den Medien vorwerfen. Denn auch die Recherchen der Journalisten sind zumindest aus juristischer Sicht wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Sagt Michael Götschenberg, Hörfunkkorrespondent vom MDR und Autor des Buchs "Der böse Wulff?" Er beobachtet zwar eine Kehrtwende in der Berichterstattung, aber ihm fehlt ein wichtiger Punkt:

    "Was ich eigentlich noch angezeigt fände, wenn die Medien ihre Rolle, die sie in der Affäre Wulff hatten, noch einmal selbstkritisch reflektieren würden. Das ist meines Erachtens noch nicht passiert. Aber jetzt, da wir wissen, dass von den Vorwürfen so sehr viel nicht übrig geblieben ist, wäre der Zeitpunkt meines Erachtens da."

    Ist es also Zeit für Selbstkritik, vor allem vonseiten der Zeitungen, Fernseh- und Hörfunkjournalisten, die den Stein ins Rollen gebracht hatten? Die Bild hat als Erste über Wulffs Hauskredit berichtet, über seinen erbosten Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann und über viele weitere Details. Jetzt hält sich die Bild auffallend zurück, veröffentlichte nur wenige Artikel zum Thema Wulff, nur einen kurzen Kommentar. Ein Interview mit Bild-Redakteuren lehnt die Pressestelle des Springer-Verlages aber ab. Hans-Martin Tillack vom Stern ist dagegen bereit, sich zu äußern, auch er hat früh und viel geschrieben zum Thema Wulff. Von einer selbstkritischen Mediendebatte hält Tillack gar nichts.

    "Es ging ja nicht um irgendeinen Beigeordneten im Bezirksparlament Berlin-Schöneberg, sondern es ging um den Bundespräsidenten. Es ging also um den höchsten Amtsträger dieser Republik. Und dass man da jeden Stein umdreht, wenn man den Eindruck hat, da könnte noch was verborgen sein, das finde ich, das ist unser Job. Und deswegen haben wir unsere Recherchearbeit damals auch zu Recht gemacht, würde ich sagen. Auch in der Intensität, in der wir sie gemacht haben."

    Tillack hat den Fall Wulff als Rechercheur hinter sich gelassen. Er sucht längst nach neuen politischen Aufreger-Themen. Wulff ist für ihn Schnee von gestern.