
"Jetzt hab ich mich bei der Arbeit direkt schicken müssen! Naja, wie's halt immer so ist!"
Wenn Barbara Rottengruber Spätschicht hat - Feierabend nachmittags um halb drei -, dann muss sie danach Gas geben.
"Wild ist ja meistens dämmerungsaktiv. In der Morgendämmerung, aber besonders in der Abenddämmerung sieht man dann was."
Und dämmern tut es im Dezember bereits ab 16 Uhr. Also genau jetzt. Barbara ist 32 und arbeitet eigentlich als Disponentin in einem Entsorgungsbetrieb. Jetzt heizt sie in einem schwarzen Jeep über nebelige Feldwege, vorbei an den Hopfenfeldern ihrer Heimat, der Hallertau, durch kleine Dörfer mit lustigen Namen wie "Öd", mit Hund im Gepäck, Gewehr und einem Outfit, das sie auch auf einem Snowboard gut kleiden würde - Outdoor-Hose, Windbreaker, Beanie-Mütze - alles in tarngrün. Barbara ist Jägerin, seit zehn Jahren schon, und jagen, das will sie:
"So oft wie's geht!"
Und das heißt: Immer wenn sie es wie heute schafft, verbringt Barbara ihren Feierabend in der "Kanzel": mindestens zwei Stunden lang, alleine in einer etwa anderthalb Quadratmeter großen und vier Meter hohen Holzkabine am Waldesrand, ausgekleidet mit altem Teppich, und Panorama-Ausblick über die Felder:
"Das ist einer meiner Lieblingsplätze, man sieht da eigentlich ganz weit. Parken wir da hinten rein, damit das Auto weg ist, damit das Wild das nicht sieht. Die sind ja nicht doof."
Feierabend auf der Pirsch
Manchmal fürchtet sich Barbara, wenn sie im Dunkeln im Wald vom Auto zum Hochsitz läuft. Und neulich, als sie einen fast 50 Kilo schweren Bock geschossen hatte, musste sie den eigenhändig zum Auto schleppen. Jagen ist ja auch nichts für Mädchen, könnte man jetzt sagen. Oder doch?
Für die inzwischen gut 30.000 Jägerinnen in Deutschland bieten Ausstatter extra leichte Lady-Gewehre an. Sie verkaufen figurbetonte Softshell-Kleidung, Farbe: Camouflage/Orange, Typ: Shooterking. Es gibt Jagd-Accessoires wie Horn-Ketten, Fasanfeder-Hütchen und Halstücher mit springenden Hirschen. Und offensichtlich eine gestiegene Nachfrage von Frauen an der Jagd.
Barbara freut sich, dass Jagen nicht mehr so uncool ist wie früher. Dass sie selbst bei den schon eher brutalen Drückjagden nicht mehr die einzige Frau ist. Und dass sie immer wieder Jäger aus der Stadt trifft, die am Wochenende ins Revier gehen - anstatt in den Wellnessbereich.
"Bei mir war's am Anfang, als ich den Jagdschein gemacht habe, auch nur etwas Besonderes, Außergewöhnliches, und wenn man etwas hippes darstellen möchte, dann macht man etwas Besonderes. Das war schon cool und vielleicht möchten es deswegen manche machen, weil es etwas Besonderes ist."
Oben in der Kanzel lädt der Blick durch die schmalen, offenen Klappfenster über die nebelige Wiese zum Sinnieren ein.
"Da hab ich schon mehrere Probleme gelöst!"
Und Barbara lädt ihr Gewehr. Kugelpatronen mit Bleifüllung. Blattschuss-Munition. Damit muss man genauer zielen als mit Schrot, aber: Schwer ist das nicht, sagt Barbara und zuckt mit den Schultern als meinte sie: Jagen, das ist eben dieses ständige Pendeln zwischen Natur-Romantik und Beute-Machen, zwischen entspannen und Adrenalin. Barbara hat das zum ersten Mal gespürt, als sie mit Anfang zwanzig Gast war bei einer Jagd. Ihre Aufgabe: eine Lichtung beobachten.
"Winter, eiskalt, Schnee, Mond, man hat da ein bisschen was gesehen und ich warte da und höre langsam ok, jetzt kommt was. Das werden wohl Wildschweine sein. Hinter der Kanzel hab ich sie dann gehört. Da haben sie vorher geschaut, ist die Luft rein. Und dann sind die auf einmal alle vor mir auf der Markierung gestanden. Dann ist es da drunter und drüber gegangen, miteinander gespielt, das war faszinierend zum zuschauen, Familienverband."
Mehr als ein Hobby: Jagen als sinnvolle Aufgabe
Wie im Film. Und Barbara?
"Also ich glaube, ich hätte, wenn ich da schon den Jagdschein gehabt hätte, schon auch geschossen. Es ist schön, das Ganze zu beobachten, aber es ist auch schön, Beute zu machen wenn's passt."
Weil Jäger streng nach Abschussplan den Wild-Bestand in Schuss halten. Und weil Barbara eigentlich kein Fleisch mehr essen möchte - außer eben Wild. Für sie hat Jagen Sinn, ist mehr eine Aufgabe, weniger ein Hobby. Deswegen glaubt Barbara auch nicht, dass Jagen das neue Yoga werden kann. Zu viele Neu-Jäger hat sie schon getroffen, die plötzlich keine Zeit mehr hatten, um auf die Pirsch zu gehen. Oder irgendwann einfach einen neuen Lifestyle gefunden haben.
Am Ende, als sich die Dämmerung über die Wiese vor Barbaras Kanzel legt, ist immer noch kein Wild zu sehen. Die Sicht ist heute zu schlecht zum Jagen. Doch der Nebel gibt alles, um diesem Moment die Stimmung eines David Lynch-Films zu geben. Bevor wir gehen, blickt Barbara noch mal auf die Felder und sagt:
"Das ist immer wieder etwas Neues. Ganz schön in der Früh auch, Morgenansitz und dann Sonnenaufgang, wenn dann alles so wach wird. Das hat wirklich etwas von Yoga, Entspannung. Das ist dann so, das hat man nur für sich alleine, den Morgen, das kann man gut genießen."
Vielleicht ist es ja genau das, was die Hipster-Jäger suchen.