
Der Boden, auf dem wir stehen, bröckelt unter unseren Füßen. So oder so ähnlich mögen manche die Lage in Deutschland und Europa empfinden, wenn sie an die geopolitische Gesamtsituation denken. Dass sich die seit vielen Jahrzehnten bestehende Weltordnung nach und nach auflöst, gilt nahezu als Konsens und ist keinesfalls erst seit 2025 bekannt. Doch wofür steht das alte Jahr politisch? Drei Thesen:
These 1: 2025 markiert einen Epochenbruch
In den Augen der Weltmacht USA verliert Europa stark an Bedeutung, und am Verhandlungstisch zur Zukunft der Ukraine spielt der alte Kontinent bislang nur eine kleine Rolle. Mit Blick auf die sich wandelnde Weltordnung sprach Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in der Regierungserklärung vom 17.12.25 gar von einem historischen „Epochenbruch“.
Auch Anne Will erkennt grundstürzende Veränderungen im politischen System.
Zum ersten Mal so richtig gefühlt habe die Fernsehmoderatorin und Podcasterin diesen Epochenbruch am 28. Februar 2025 – „als Wolodymyr Selenskyj im Oval Office ist und da in einer Weise gedemütigt wird, die ich schlimm fand.“
You’re gambling with World War three. (Du spielst mit dem Dritten Weltkrieg.)
US-Präsident Donald Trump zu Wolodymyr Selenskyj am 28. Februar 2025 im Oval Office
Angst gemacht habe Anne Will auch, dass Trump dem ukrainischen Präsidenten damals sagte, Selenskyj spiele mit dem Dritten Weltkrieg. Will: „Ich war sprachlos danach.“
Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“ und Co-Host des Podcasts „Machtwechsel“ ist besorgt angesichts der neuen Sicherheitsstrategie der USA. In dem Papier trete die Abwendung der US-Amerikaner von Europa und von einer regelbasierten Ordnung generell zutage.
In dem auch als Scheidungspapier bezeichneten Dokument kritisiert die US-Regierung die europäischen Verbündeten teilweise harsch – als einen Kontinent im wirtschaftlichen Niedergang, in dem die freie Meinungsäußerung zensiert und die politische Opposition unterdrückt werde.
In dem auch als Scheidungspapier bezeichneten Dokument kritisiert die US-Regierung die europäischen Verbündeten teilweise harsch – als einen Kontinent im wirtschaftlichen Niedergang, in dem die freie Meinungsäußerung zensiert und die politische Opposition unterdrückt werde.
Robin Alexander ist sich sicher: „Selbst wenn es in ein paar Jahren wieder einen demokratischen Präsidenten geben wird: Bis die Leute in der Welt in den Demokratien wieder glauben, dass die Amerikaner auf jeden Fall da sind – das wird mindestens eine Generation dauern.“
Katharina Hamberger, Journalistin aus dem Hauptstadtstudio des Deutschlandradios, sieht eine einschneidende Veränderung des Jahres 2025 darin, dass ein sogenannter hybrider Krieg nun auch in Deutschland spürbarer werde. „Wir hatten Drohnenüberflüge, wir haben Hackerangriffe“, sagt Hamberger. All das finde längst nicht mehr nur an der Frontlinie statt, sondern auch in ganz anderen Sphären.
These 2: Restriktive Sachpolitik alleine bremst nicht den Aufstieg des Rechtspopulismus
„Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre …“
In den regelmäßigen Sonntagsumfragen ist die AfD seit einiger Zeit konstant zweitstärkste Kraft und lässt, außer der Union, alle anderen deutlich hinter sich. Bei der Bundestagswahl 2025 erzielte die Partei zudem in fünf Ländern die meisten Stimmen.
In den regelmäßigen Sonntagsumfragen ist die AfD seit einiger Zeit konstant zweitstärkste Kraft und lässt, außer der Union, alle anderen deutlich hinter sich. Bei der Bundestagswahl 2025 erzielte die Partei zudem in fünf Ländern die meisten Stimmen.
„Wir haben seit Mai die Grenzkontrollen, teilweise auch mit Zurückweisungen. Es gibt die sinkende Zahl der Asyl-Erstanträge – und trotzdem haben wir die AfD auf einem Allzeithoch“, sagt Nadine Lindner, Journalistin im Deutschlandradio-Hauptstadtstudio. Aus diesem vermeintlichen Paradox zieht sie hauptsächlich einen Schluss: Die Hoffnung der etablierten Parteien, durch mehr Kontrolle in der Migrationspolitik wieder Wählerinnen und Wähler vom rechten Rand zurückzugewinnen, habe sich nicht bewahrheitet.
Der Jurist Ulf Buermeyer sieht das ähnlich. Ob mehr Härte gegen Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld oder maximale Härte gegenüber Geflüchteten: Das zentrale Ziel einer Politik der Entsolidarisierung und Ausgrenzung sei nicht erreicht worden. „Die AfD ist nicht geschwächt worden und es gibt natürlich auch keinen Wirtschaftsaufschwung“, betont Buermeyer.
Robin Alexander bewertet die Sache anders: „Es gibt Leute in der Union, die tatsächlich finden, dass wir zu viel illegitime Migration hatten – völlig egal, was die die AfD macht. Die finden das einfach sachlich.“ Ebenso ergehe es vielen Bürgerinnen und Bürgern, in deren Augen die Migration ein sachliches Problem ist, das bearbeitet werden müsse, so Alexander – „AfD hin oder her“.
Tina Hildebrandt, Co-Leiterin des Politikressorts der „Zeit“, spricht von einem politischen Kipppunkt, wenn sie das besorgniserregende Gefühl beschreibt, welches sie auf vielen Ebenen durch das Jahr begleitet hat: „Wenn man auf der Basis von dem, was gerade passiert, Hochrechnungen macht, dann scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die AfD in einem Bundesland regiert, vielleicht sogar auf der Bundesebene sich die Frage einer Mitregierung stellt.“
These 3: Schwindende Generationengerechtigkeit gefährdet den Zusammenhalt massiv
Mit 500 Milliarden Euro Schulden schlägt das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität zu Buche. Auch das Rentenpaket II, das eine staatlich geförderte Aktienrente einführt, erhöht die Staatsverschuldung erst einmal zusätzlich, ebenso potenziell die Tatsache, dass für Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit die Schuldenbremse ausgesetzt werden darf.
Nadine Lindner sieht darin ein mögliches Problem. Denn der Berg an zukünftigen Aufgaben und Belastungen werde zunehmend höher anstatt kleiner – zulasten der heute jungen Generation. „Und ich habe das Gefühl, dass 2025 ein sehr schlechtes Jahr für die Generationengerechtigkeit ist“, sagt sie.
Ob die Zukunft der Sozialsysteme mit Rente und Pflegekasse oder der Klima- und Umweltschutz bis hin zur Artenvielfalt: „All das sind Dinge, die ich im Moment eher als regressiv, als rückschrittlich erlebe“, so Lindner.
In der Rentendebatte kritisiert Ulf Buermeyer die Position der SPD als nicht durchfinanziert. „Die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt werden absehbar stark wachsen durch dieses hohe Rentenniveau, da hat mir zum Beispiel von der SPD ein klarer Vorschlag zur Gegenfinanzierung gefehlt“, sagt Buermeyer, der zusammen mit Philip Banse den Podcast „Lage der Nation“ moderiert.
Schlechte politische Rahmenbedingungen, etwa bei der Rente, könnten sich auch negativ auf die Verteidigungsbereitschaft auswirken, betont Buermeyer. In Diskussionen habe er von der jungen Generation immer wieder eine Frage gehört: „Warum soll ich für dieses Land kämpfen, wenn es diese Regierung nicht schafft, zum Beispiel einen Beitrag zu leisten für den Klimaschutz? Wenn dieses Land es nicht schafft, die Renten zukunftsfest aufzustellen?“
Online-Text: jma











