Kommentar zu autoritären Machthabern
Die starken Männer und die starken Ideen

Internationale Politik wird zunehmend von Machthabern bestimmt, die die Verachtung des Rechts und Stammesdenken als Stärke feiern. In Deutschland und der EU wird immer klarer, dass es die Komfortzone der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr gibt.

Von Christiane Florin |
Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump posieren am 15. August 2025 in Anchorage, Alaska für ein Foto.
Roter Teppich für Putin: US-Präsident Trump empfing im August den Kremlchef zum Gipfeltreffen in Alaska (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Gavriil Grigorov)
Wer in den 1970er-Jahren mit westdeutschem Kinderfernsehen aufwuchs, staunte einmal in der Woche über einen kleinen Jungen aus dem Wikingerdorf Flake. Wobei: Man wusste nicht so recht, ob die Bezeichnung Junge passte. Das Kind aus Flake hatte lange Haare und trug einen Rock. Es prügelte sich nicht, sondern dachte lieber darüber nach, wie sich die Feinde des Dorfes mit guten Ideen in die Flucht schlagen ließen. „Wickie und die starken Männer“ hieß die Serie.
Angeleitet von einem Kind schafften es die Erwachsenen tatsächlich, besser bewaffnete Gegner zu besiegen. Sogar der schreckliche Sven, der mit einer stacheligen Kugel in der Hand stets die Folterinstrumente zeigte, musste sich geschlagen geben. Das mit den titelgebenden starken Männern war ironisch gemeint. Die wahre Stärke liegt im Kopf, das war die Moral der Wickie-Geschichte, damals vor 50 Jahren, kurz nachdem ein gewisser Willy Brandt die Vision hatte, in der Bundesrepublik mehr Demokratie zu wagen.
Die Serie gibt es noch immer, seit einigen Jahren in 3D-Qualität. Die Moral wirkt naiv angesichts all der autoritären Männer an der Macht und angesichts der weltweiten Tendenz, weniger liberale Demokratie zu wagen. Russlands Staatschef setzt seine imperialen Ansprüche brutal durch. In den USA regiert ein Präsident, der das Opfer des russischen Angriffs unter Druck setzt und nicht den schrecklichen Wladimir.
Unvergessen bleibt als eine der Szenen des Jahres 2025 die Demütigung des ukrainischen Präsidenten im Oval Office, der ruchlose Spott über die angeblich unangemessene Kleidung des Gastes. Der Aggressor trägt ja feinen Zwirn und Krawatte. Im Saal des Weißen Hauses sagte niemand: Mister President, was Sie tun, ist unethisch, ist niederträchtig. Eine gerechtigkeitssensible Moral ist für die Schwachen, starke Männer kehren Täter und Opfer nach Belieben um.

Gleichheit, Freiheit, Solidarität gelten als verweichlicht

Unvergessen bleibt auch das Treffen der beiden Weltmachthaber in Alaska, inszeniert wie eine Netflix-Serie. Trump und Putin sind irgendwie Gegner, aber einander auch irgendwie ähnlich. Sie verachten Menschenrechte und Völkerrecht, Gerichte sind nur gut, wenn sie die eigene Macht stützen. Tun sie es nicht, setzt sich der starke Stammesführer über Gerichtsurteile hinweg und wird anschließend noch stärker, wenn das keine Konsequenzen hat. Gleichheit, Freiheit, Solidarität gelten ihnen als verweichlicht, als links, als dekadent. Wozu Balance of Power, wenn man alles geballt haben kann? Das alte Zeug aus der Zeit der Aufklärung kann weg.
Disruptiv nennt man es vornehm, wenn die großen Ideen von der Sorte „All man are created equal“ dem Stammesdenken weichen müssen. Vor der UNO sprach Donald Trump über kaputte Rolltreppen und angeblich manipulierte Teleprompter, er inszenierte sich als Sabotage-Opfer und auch da sagte niemand laut und vernehmlich: Mister President, was reden Sie da? Einem der mächtigsten Männer der Welt gibt man keine Widerworte auf offener Bühne, so ist die Realpolitik.  

Die Willkür des Stärkeren

Deutschlands Bundeskanzler tritt eher traditionell jungenhaft auf, nicht disruptiv-männlich wie Trump. Manchmal aber blitzt bei deutschen Konservativen so etwas wie Bewunderung auf für diesen Kerl im Weißen Haus: Hat der nicht doch den Frieden für die Ukraine ein bisschen nähergebracht? Und hat der es nicht den Linken und Woken mal so richtig gezeigt? Es sieht so aus, als seien die Gegner der Menschenrechte und die Gegner des Völkerrechts auf der Siegerstraße, als hänge von ihren Launen die Weltpolitik ab. Es gilt nicht das Recht, es gilt die Willkür des Stärkeren.
Die deutsche Regierung kann nicht, wie der Junge in der Fernsehserie, mit dem Finger an der Nase reiben, kurz nachdenken und „Ich hab’s“ rufen. Die eine rettende Idee wird es nicht geben. Was es aber gibt, sind die guten Ideen von der Gleichheit aller Menschen, von der Unabhängigkeit der Gerichte und der Medien, von Mehrheitsentscheidungen und Minderheitenschutz, von Kooperation und Verständigung. Sie sind hart erkämpft und stets gefährdet. Sie gerade jetzt wach zu halten, ist kein Kinderspiel. Sie werden auch dadurch verwirklicht, dass Menschen in mächtigen Positionen sich zu ihnen bekennen, anstatt mit Stammesdenken zu flirten.
Es ist nicht gesagt, dass die Feinde der liberalen Demokratie vor diesen Ideen erzittern wie die aufgeplusterten Mannen vor Wickie. Aber wenn diese innere Stärke fehlt, haben die schrecklichen Svens schon gewonnen. 

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