Sicherheitsstrategie der USA
Eine zweite Zeitenwende für Europa?

Als „Scheidungspapier“ wird die neue US-Sicherheitsstrategie bezeichnet – denn Europa wird darin scharf angegriffen und eine „America First“-Politik festgeschrieben. Auf Deutschland, die EU und die europäischen NATO-Staaten kommen große Herausforderungen zu.

    Zwei Soldaten der US National Guard stehen in Washington unter zwei US-Flaggen
    Auf nur drei Seiten behandelt das US-Sicherheitspapier Europa – diese drei Seiten haben viel Unruhe hervorgerufen (picture alliance / Middle East Images / Bryan Dozier)
    In ihrer neuen nationalen Sicherheitsstrategie kündigt die US-Regierung unter Präsident Donald Trump eine umfassende außenpolitische Neuausrichtung an. Die europäischen Verbündeten werden in dem Papier teils harsch kritisiert. In Europa hat dies teils besorgte Reaktionen hervorgerufen; teilweise wird die Kritik empört zurückgewiesen.

    Inhalt

    Die neue US-Sicherheitsstrategie – was steht drin?
    Was bedeutet das für Europa?
    Gibt es einen positiven Aspekt für Europa?

    Die neue US-Sicherheitsstrategie – was steht drin?

    Die nationale Sicherheitsstrategie ist ein Dokument, das in regelmäßigen Abständen von der US-Regierung veröffentlicht wird. Es umreißt die außenpolitische Vision eines Präsidenten und dient als Leitfaden für Regierungsentscheidungen. Die US-Regierung stellt im neuen Papier klar, dass sie in erster Linie nationale Interessen verfolgt.

    Niedergang Europas

    Das Papier umfasst etwa 29 Seiten, allein ein kleiner Teil davon befasst sich mit Europa – nämlich drei Seiten. Darin wird Europa als ein Kontinent beschrieben, der sich im wirtschaftlichen Niedergang befinde. Zu den weiteren Problemen zählen angeblich die „Zensur der freien Meinungsäußerung und die Unterdrückung der politischen Opposition, abstürzende Geburtenraten sowie der Verlust nationaler Identitäten und des Selbstvertrauens".

    Europa und die Einwanderungspolitik

    In dem Papier ist von einer „zivilisatorischen Auslöschung” Europas die Rede. Dies bezieht sich auf die europäische Migrationspolitik: „Es ist mehr als plausibel, dass spätestens innerhalb weniger Jahrzehnte bestimmte NATO-Mitglieder mehrheitlich nicht europäisch werden”, heißt es. Dazu betonen die USA in ihrer Strategie: „Die Ära der Masseneinwanderung muss enden.”

    “Zensur” und Meinungsfreiheit in Europa

    Die US-Regierung kritisiert auch eine angebliche „Zensur der Meinungsfreiheit und Unterdrückung der politischen Opposition" in Europa. Gemeint sind damit auch EU-Auflagen für amerikanische Internetkonzerne gemeint, beispielsweise die jüngst verkündete Geldbuße von 120 Millionen Euro für die Plattform X von Tech-Milliardär Elon Musk. Damit werde die Meinungsfreiheit eingeschränkt.
    Gerade die Passagen zur angeblich schwindenden Meinungsfreiheit in Europa ähneln Äußerungen, wie sie beispielsweise US-Außenminister JD Vance bereits im Februar bei der Sicherheitskonferenz in München vorgebracht hat, sagt Christoph Heusgen, ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Er erinnert sich daran, dass er das Münchner Publikum bei der Konferenz selten so schockiert gesehen habe wie nach dieser Rede. Nun bekämen die Europäer diesen Bruch Amerikas noch einmal schriftlich bestätigt. 

    Russland

    Russland wird in der neuen US-Strategie kaum erwähnt, jedenfalls nicht als Bedrohung. Das ist ein großer Unterschied zur Sicherheitsstrategie der Trump-Administration von 2017, in der Russland noch als Bedrohung charakterisiert wurde. Damals hieß es, Russland versuche, die US-amerikanische Sicherheit zu untergraben und die USA und Europa zu entzweien. 
    In dem neuen Papier heißt es dagegen, mit Russland müsse eine „strategische Stabilität" hergestellt werden. Es sei das Interesse Washingtons, den Krieg in der Ukraine zu beenden. 
    Russlands Führung nahm das US-Papier positiv auf. Die erfolgten Änderungen in der US-Strategie stünden „weitgehend in Übereinstimmung" mit der Sichtweise Russlands, hieß es. Es sei fast physisch schmerzhaft, diese Reaktion Russlands zusammen mit diesen Passagen zu lesen, meint Heusgen dazu. 
    Russland wird zudem als ein Sinnbild der europäischen Schwäche dargestellt. Dabei heißt es in dem Papier, den Europäern fehle Selbstvertrauen. Ihre Vorstellungen und Erwartungen im Hinblick auf einen möglichen Ausgang des Ukraine-Krieges seien unrealistisch. 

    “America First”

    Das Papier bekräftigt damit also abermals die bereits bekannte Position des “America First”. Die Ankündigung, das militärische Engagement der USA in der Welt zu verringern – auch in Europa – passt in dieses Bild.
    Einmischung wird allein dann befürwortet, wenn sie ausschließlich US-amerikanischen Zwecken dient. 
    Dabei verschiebt sich der US-Fokus auf die westliche Hemisphäre, beispielsweise auf den Kampf gegen südamerikanische Drogenkartelle. Dafür will die US-Administration die sogenannte Monroe-Doktrin wieder geltend machen – ein strategischer Ansatz der amerikanischen Außenpolitik aus dem 19. Jahrhundert, der besagt, dass die USA die Einflüsse ausländischer Mächte in der westlichen Hemisphäre nicht dulden. 
    Trumps Vorgänger, Präsident Joe Biden, hatte dagegen in seinem Strategiepapier den Schwerpunkt der Auseinandersetzungen auf China und Russland gelegt.

    Was bedeutet das für Europa?

    Das Papier verdeutlicht die Konfrontation zwischen Washington und der Europäischen Union. Europa und USA zeigen sich als zwei geteilte Welten. Eine vergleichbare Bruchlinie zieht sich durch die NATO.
    Europa befindet sich dadurch in einer schwierigen Lage. Denn es ist weiterhin stark von der militärischen Unterstützung der USA abhängig.
    Ein Vorschlag: der Weg zu einer europäischen NATO. Das meint vor allem, dass die europäischen NATO-Staaten im Hinblick auf die Verteidigung selbstständiger werden sollen.
    Um ein ähnliches Ziel für die EU zu erreichen, haben die 27 EU-Mitgliedsländer die Schuldenvorgaben für Militärausgaben gelockert und das neue Kreditprogramm „Security Action for Europe“ im Umfang von 150 Milliarden Euro aufgelegt.
    Doch die Lücke auszufüllen, die in den vergangenen Jahrzehnten die USA mit ihrem gewaltigen Militärapparat ausgefüllt haben, braucht Zeit. Leistungsfähige militärische Strukturen der EU und der europäischen NATO-Staaten müssen aufgebaut, militärische Bestände erneuert oder umgestellt werden – das kann viele Jahre dauern. Der Aufbau der Kapazitäten gehe viel zu langsam, heißt es dazu in Brüssel. Nach wie vor sei Europa in der Sicherheitspolitik in vielen Bereichen auf die Amerikaner angewiesen, so Christoph Heusgen. Es sei daher unumgänglich, mit ihnen zusammenzuarbeiten, aber gleichzeitig an einer Stärkung der europäischen Sicherheit zu arbeiten.
    Dazu müssen auch strukturelle und politische Hürden überwunden werden. Eine neue Kultur der verteidigungspolitischen Kooperation und der Rüstungskooperation muss heranwachsen, die die Europäer bislang nicht gelernt haben. Außerdem fehlt in den einzelnen Ländern teilweise ein gesellschaftliches Bewusstsein für den notwendigen Wandel. Ein Beispiel dafür ist die Debatte über den Wehrdienst in Deutschland.
    Ein weiteres Beispiel für die mangelnde Entschlussfähigkeit der Europäer ist der seit Wochen andauernde Streit darüber, eingefrorenes russisches Vermögen für Kredite an die Ukraine zu nutzen.

    Gibt es einen positiven Aspekt für Europa?

    Europa bleibe strategisch und kulturell für die USA von zentraler Bedeutung, heißt es in dem Papier. Der transatlantische Handel sei weiterhin eine der tragenden Säulen der Weltwirtschaft. Die USA könnten es sich aus verschiedenen Gründen nicht leisten, Europa „abzuschreiben“.
    Doch diese Passagen werden von der herben Kritik an Europa überschattet. Im Ganzen zeige das Papier, dass die USA kein verlässlicher Partner mehr für Europa seien, so die Einschätzung von Hannah Neuman aus dem Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments. 

    csh