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Jahrelange Fehlbehandlung

Verhaltensforschung. - Frischgeborene Fohlen sollen zu umgänglicheren Pferden werden, wenn sie abgerieben und überall betastet werden, so postulierte in den 70er-Jahren der amerikanische Tierarzt Robert Miller. Eine Studie des Labors für tierische und menschliche Verhaltensforschung an der Universität Rennes zieht diese Theorie jetzt in Zweifel.

Von Suzanne Krause |
    Manche Eindrücke, denen ein Fohlen direkt nach der Geburt ausgesetzt wird, prägen nachhaltig das Verhalten des erwachsenen Pferdes. In negativer Weise, belegte schon vor fünf Jahren ein Team vom Labor für tierische und menschliche Verhaltensforschung an der Universität in Rennes. Und hielt fest: ein Fohlen, das gleich nach der Geburt von Menschenhand kräftig abgerieben wird, bleibt länger an der Seite seiner Mutter und ist ängstlicher gegenüber Mensch und Artgenossen als ein Fohlen, das in Ruhe gelassen wurde. Auch Virginie Durier arbeitet im Labor in Rennes. Und spezifizierte nun die Ergebnisse ihrer Kollegen in einer neuen Studie. Getestet wurde die Verhaltensentwicklung von 28 Fohlen, Vollblut-Arabern. Zwei Drittel der Tiere wurden unmittelbar nach der Geburt eine Stunde lang systematisch und mit Nachdruck abgerieben: die eine Hälfte nur auf der rechten Körperseite, die andere Hälfte lediglich linksseitig. Die restlichen Fohlen, die Vergleichsgruppe, liessen die CNRS-Forscher in Ruhe. Virginie Durier:

    "Wir wollten untersuchen, ob die emotionale Entwicklung eines Fohlens anders verläuft, je nachdem auf welcher Seite es abgerieben wird. Denn man weiss, dass, sowohl bei den Tieren als auch beim Menschenbaby, die rechte und die linke Körperhälfte unterschiedlich sensibel ist. Das war der Ausgangspunkt unserer Arbeit. Wir haben also die Fohlen einseitig abgerieben und zehn Tage später mit einem standardisierten Verfahren getestet, inwieweit wir uns den Fohlen nähern konnten."

    Dabei zeigte sich: die Tiere, die nach der Geburt auf der rechten Seite abgerieben wurden, mieden den Kontakt mit dem Menschen weit mehr als die anderen. Sie suchten weitaus öfter die Flucht. Die Tiere hingegen, die auf der linken Seite abgerieben wurden, zeigten keine nennenswerte Menschenscheu, genau wie die Fohlen, die gar nicht angefasst wurden. Erkenntnisse, die sich auf die menschliche Intervention beschränken. Bei der natürlichen Nachgeburtsversorgung wird das Fohlen von der Stute nur geleckt, es behält seine Bewegungsfreiheit und der direkte Kontakt zur Mutter wirkt beruhigend. Reibt jedoch der Mensch nur die rechte Körperhälfte ab, wird damit die linke Hemisphäre stimuliert. Durier:

    "Jede Hemisphäre im Gehirn ist spezialisiert auf ganz bestimmte Aufgaben. Dies erklärt die Unterschiede bei den Sinneswahrnehmungen. Damit verfügt die rechte Hemisphäre potentiell über andere Verbindungen im Hirn als die linke Hemisphäre."

    Das einseitige Abreiben der rechten Körperseite führte bei den Jungtieren zu Stress, zu einer Verhaltensänderung. Und könnte sich auch auf die Entwicklung der damit stimulierten Hirnhälfte, der linken Hemisphäre, auswirken. Was da allerdings auf neurologischer Ebene genau passiert, bleibt noch zu klären.