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Jahresgutachten Forschung und Innovation
Digitalisierungspauschale für Hochschulen gefordert

An deutschen Hochschulen gebe es deutliches Potenzial für eine weitere Digitalisierung, sagte Dietmar Harhoff im Dlf. Der Chef der Kommission Forschung und Innovation forderte, dafür dauerhaft mehr Geld bereit zu stellen, zum Beispiel über eine Digitalisierungspauschale "proportional zur Zahl der Studierenden".

Dietmar Harhoff im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Die Expertenkommission Forschung und Innovation stellen zu Beginn einer Pressekonferenz das Jahresgutachten 2019 vor: Uschi Backes-Gellner (l-r), Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Universität München, Christoph Böhringer, Professor für Wirtschaftspolitik Universität Oldenburg, Dietmar Harhoff, Vorsitzender der Kommission, Katharina Hölzle, Lehrstuhl für Innovationsmanagement Universität Potsdam, Monika Schnitzer, Leiterin Seminar für Komparative Wirtschaftsforschung Universität München, und Uwe Canter, Professor für Volkswirtschaftslehre Universität Jena
Die Expertenkommission Forschung und Innovation stellt am 27.2.2019 das Jahresgutachten 2019 vor, darunter Dietmar Harhoff, Vorsitzender der Kommission (Mitte) (dpa / Wolfgang Kumm)
Benedikt Schulz: Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat heute ihr Jahresgutachten der Kanzlerin übergeben, und mit dem Chef der Kommission Forschung und Innovation, Dietmar Harhoff, habe ich vor der Sendung gesprochen.
Sich gelegentlich auf die Finger schauen zu lassen, das kann ja nicht schaden, hat sich die Bundesregierung vor gut zehn Jahren gedacht und einen neuen Sachverständigenrat eingerichtet: die Expertenkommission Forschung und Innovation – geht ja schließlich um Zukunftsthemen. Einmal im Jahr gibt es von diesen Wissenschaftsweisen einen Stapel Papier, und da steht dann drin, wie gut Deutschland sich so schlägt und natürlich auch, was die Politik dazu beiträgt oder eben auch nicht beiträgt.
Heute war es wieder soweit, und ein Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Digitalisierung der Hochschulen, und die Forderung, die die Experten aufstellen, ist interessant und die könnte den einen oder anderen Zwist ums liebe Geld auslösen.
Eine Digitalisierungspauschale soll her, also ein festgelegter Beitrag, den jede Hochschule pro Studentin beziehungsweise Student bekommen soll. Gerade eben wurde das Gutachten an die Bundeskanzlerin übergeben. Jetzt spreche ich mit dem Vorsitzenden der Expertenkommission Dietmar Harhoff. Herr Harhoff, ich grüße Sie, hallo!
Dietmar Harhoff: Hallo, ich grüße Sie auch!
"Deutliches Entwicklungspotenzial für die weitere Digitalisierung"
Schulz: Also beginnen wir mit der Digitalisierung im Hochschulbereich. Wo stehen denn jetzt mal grundsätzlich, was die Digitalisierung angeht, oder besser gesagt: Wo hakt es bislang?
Harhoff: Digitalisierung der Hochschulen ist seit mehreren Jahren bereits ein Thema, und die Hochschulen messen ihrer eigenen Digitalisierung auch eine relativ hohe Bedeutung bei. Wir wissen das, weil wir die Hochschulen befragt haben. Wir vergeben – das ist so Standardprozedere in unserer Vorgehensweise – Aufträge, lassen solche Erhebungen durchführen, damit wir nicht einfach vor uns hin fantasieren, sondern tatsächlich faktenbasiert Aussagen treffen können. Die Hochschulen sind nach ihrer eigenen Aussage in der Forschung relativ gut aufgestellt, aber es gibt unseres Erachtens deutliches Entwicklungspotenzial für die weitere Digitalisierung, vor allen Dingen in der Lehre und in der Verwaltung.
Schulz: Wie können die Potenziale aussehen in der Lehre, was kann passieren?
Harhoff: Beispielsweise in der weiteren Digitalisierung der Lehrangebote hin zu modularen Angeboten, hin zum Einsatz anderer didaktischer Verfahren. Ein Stichwort ist da zum Beispiel Flipped Classroom: Man bittet die Studierenden, sich zuvor mit elektronischen Medien vorzubereiten und hat dann eigentlich keine große Vorlesungsveranstaltung mehr in dem Sinne, sondern die Studierenden kommen mit ihren Fragen an die Dozentinnen und an die Dozenten heran, und es wird dann wieder diskutiert. Also das, was früher einmal an Hochschulen, als die Studierendenzahl noch nicht so hoch war, gang und gäbe war, kann dann durch die Nutzung der technologischen Mittel wiederhergestellt werden.
Schulz: Also Flipped Classroom, verzeihen Sie es mir, ist ja eigentlich ein alter Hut, aber offensichtlich in den Hochschulen noch nicht wirklich angekommen, oder?
Harhoff: In Teilen ist das angekommen, aber es ist nicht Standard. Auch die Nutzung von virtualisierten Medien ist noch nicht Standard. Ich glaube, an vielen Hochschulen wird sehr intensiv daran gearbeitet, aber Sie haben dann auch zum Beispiel Probleme. Nehmen Sie an, Sie haben eine Veranstaltung, die Sie jetzt in ein digitales Format bringen wollen. Das ist eine große Anstrengung. Das kann eine Hochschullehrerin, ein Hochschullehrer leicht ein ganzes Semester beschäftigt halten. Wie wird das dann im nächsten Semester, wenn die Vorlesung vorliegt, in digitalen Medien angerechnet. Muss ich dann zusätzlich immer noch meine zwei Semesterwochenstunden Vorlesung machen oder kann das in irgendeiner anderen Weise als Arbeitsleistung abgegolten werden. Wir müssen uns auch in der Art und Weise, wie wir jetzt Leistungserbringung an Hochschulen machen, auf neue Formate einstellen und auch auf eine neue Berechnung, was wir dann gemacht haben.
Digitalisierungspauschale "proportional zur Zahl der Studierenden"
Schulz: Sie fordern jetzt eine Digitalisierungspauschale. Also Hochschulen kriegen pro Studentin, Studentin einen Betrag – von wem, von Bund und Ländern? Sie haben es nicht ganz klar gesagt in Ihrem Gutachten, und ich kann mir auch vorstellen, dass das einen Grund hat.
Harhoff: Ja, der Grund ist, dass wir hier keine festen Vorschläge auf den Tisch des Hauses legen wollten. Die Kooperation zwischen Bund und Ländern ist – das wissen wir aus dem Digitalpakt Schule – eine relativ schwierige. Rein rechtlich ist es so, dass die Länder hierfür die Zuständigkeit haben. Wir sehen aber auch jetzt schon, dass bei der Finanzierung von solchen Digitalisierungsprojekten – das wird derzeit über Projektmittel gemacht, über Einzelprojekte, für die dann ein bestimmter Geldbetrag zur Verfügung gestellt wird – im Wesentlichen die Bundesländer aktiv sind. Wir glauben, dass diese Finanzierungskomponente nach wie vor eine Rolle spielt für Einmalaufwand, für einmalige Tätigkeiten, aber diese digitalen Systeme tatsächlich aufrechtzuerhalten, kostet etwas. Das heißt, diese Finanzierung ist nicht nachhaltig. Die nachhaltige Komponente könnte man in der Tat mit einer solchen Digitalisierungspauschale erstellen.
Schulz: Halten Sie das für umsetzbar? Also das ist ja nun nicht so, dass sich die Bundesländer besonders leicht damit tun würden, nachhaltig in digitale Ausstattung zu investieren bislang.
Harhoff: Das ist richtig, aber wir wissen auch, dass unsere Hochschulen im Vergleich zu anderen Hochschulen im Ausland strukturell unterfinanziert sind. Die Frage ist natürlich auch, wie lange sich die Bundesländer das leisten wollen, wenn gleichzeitig von den Hochschulen immer mehr verlangt wird, Beiträge zu leisten im Technologietransfer, bei der Gründung von Start-ups und dergleichen mehr. Das kann ja nicht einfach aus der dünnen Luft heraus passieren. Also irgendwo müssen dann die Bundesländer auch ihrer Verantwortung gerecht werden und sagen, jawohl, es ist eine Aufgabe, Digitalisierung, die die Hochschulen zu leisten haben, und wir sehen ein, dass das irgendwo einen laufenden Aufwand verursacht, der in erster Näherung – das ist unser Vorschlag – proportional zur Zahl der Studierenden an der Hochschule ist.
"Mehr Geld in die Einzelförderung von Projekten geben"
Schulz: Ein Teil Ihres Gutachtens ist natürlich auch, dass Sie die Forschungsförderung in Deutschland unter die Lupe nehmen, besser gesagt: die Deutsche Forschungsgemeinschaft, also die zentrale nicht private Fördereinrichtung in Deutschland, und da taucht eine Kritik auf, die hat es eigentlich ganz schön in sich. Da steht sinngemäß, betrachtet man die Qualität der Publikationen, die DFG-geförderten Projekten entstammen, dann ist diese Qualität niedriger als in den Vergleichsländern, also USA, Großbritannien, Niederlande und Schweiz. Das stellt doch das ganze Fördersystem der DFG infrage, oder?
Harhoff: Nein. Also ich glaube, so weit würden wir hier nicht gehen, würde ich persönlich auch nicht gehen. Die DFG ist eine im internationalen Maßstab sehr wohl anerkannte Förderinstitution. Die Frage, die wir stellen, ist, ob die Förderschwerpunkte, die die DFG hat - gibt ein sehr starkes Gewicht, das gelegt wird auf Forschungsprojekte, die kollaborativ angegangen werden beziehungsweise die eine Struktur bilden, eine Wirkung haben. Das sind zum Beispiel Sonderforschungsbereiche, bei denen sich viele Forscher zusammentun, Forscherinnen und Forscher zusammentun, um dann unter einem thematischen Titel gefördert zu werden. Wir sehen nicht, dass das in gleichem Umfang in anderen Ländern passiert, und unsere Anregung an der Stelle ist, doch einmal nachzuschauen, ob man nicht mehr Geld in die Einzelförderung geben sollte, vielleicht auch in größeren Paketen, also jetzt keine Förderung von 300.000 Euro für ein bestimmtes Projekt, das über drei Jahre läuft, sondern für den doppelten Betrag, um auch gutachterliche Tätigkeiten, Neubeantragung und dergleichen einsparen zu können. Da muss natürlich dann die Qualität der Arbeit noch gesichert sein. Das heißt, vielleicht muss man dann etwas stringentere Standards an die Vergabe dieser Einzelförderungen richten, und das kann natürlich auch beinhalten, dass man die Förderung dann stärker zuschneidet auf international erfolgreiche, international kooperierende beziehungsweise stärker zitierte Forscherinnen und Forscher.
Schulz: Das heißt, bis jetzt die Standards noch nicht stringent genug.
Harhoff: Der direkte Vergleich, den muss man vorsichtig angehen, weil wenn Sie sich beispielsweise einmal die Fördertöpfe, sagen wir, in der Schweiz anschauen, dann ist eine Professorin oder ein Professor an einer der großen eidgenössischen Hochschule, also EPFL Lausanne oder ETH Zürich, von vornherein mit einem Geldtopf ausgestattet, der größer ist als der, den eine deutsche Professorin oder ein deutscher Professor hat. Das heißt, wir wenden uns viel schneller auch für die ersten Forschungsprojekte, die ein Lehrstuhl dann unternimmt, an die DFG, wohingegen einige Projekte in anderen Ländern einfach aus dem Budget der Lehrstühle gestemmt werden können. Das macht dann natürlich auch einen Unterschied diesbezüglich, welche Forschungsprojekte bei der nationalen Förderagentur ankommen.
"Wir brauchen eine agilere Forschungspolitik"
Schulz: Sie äußern sich natürlich auch zur Forschungspolitik der Bundesregierung, das ist ja auch Ihr Job in diesem Expertengremium, und Sie fordern – das ist jetzt auch nicht so überraschend – durchaus mehr Anstrengungen. Was macht die Politik gut, und was macht sie noch zu wenig, was die Forschungspolitik angeht?
Harhoff: Also generell, glaube ich, sind wir gut darin, neue Konzepte zu entwickeln, Strategiepapiere, nehmen Sie die KI-Strategie der Bundesregierung. Diese Strategien verbinden ja in der Regel forschungspolitische Impulse mit innovationspolitischen Impulsen. Wir haben ja stets auch beides im Blick. Wo wir nicht so gut abschneiden ist bei der Umsetzung. Also es dauert sehr, sehr lange, um diese Konzepte dann tatsächlich umzusetzen. Wir haben heute Morgen im Kanzleramt angemerkt, dass wir dringend eine agilere Forschungs- und Innovationspolitik brauchen, die gerade bei sich sehr schnell entwickelnden Feldern, wie der Künstlichen Intelligenz, auch schnell nicht nur Konzepte entwickelt, sondern dann die Fördermaßnahmen auch ins Feld bringt und die Förderung rollen lässt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.