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Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik
Gesellschaftliche Entwicklung braucht digitale Souveranität

Digitalisierung könne die Gesellschaft voranbringen, aber die Diskussion darüber müsse auf technischer Basis und mit einer Folgeabschätzung geführt werden, hieß es auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik. Digitale Souveränität sei aber nur durch Emanzipation von der Plattformökonomie möglich.

Von Peter Welchering |
Auf dem Display eines Smartphones sind die Logos von Apple, Amazon, Netflix, Facebook und Google zu sehen.
Die vier großen der Digitalwirtschaft: Google, Facebook, Apple und Amazon. Ihre Plattformen bestimmen, wie Digitalisierung aussieht (picture alliance/TT NEWS AGENCY / Helena Landstedt)
Hannes Federrath: "Wir haben wirklich eine unglaubliche Anmeldungszahl für diese Konferenz 1600 Personen. Die virtuelle Durchführung zeigt nicht nur, dass wir viele Menschen erreichen können, sondern sie können eben auch an einem beliebigen Ort diese Tagung wahrnehmen. Eigentlich, kann man sagen, ist das ein Riesen-Asset. Und wer könnte so etwas nicht besser veranstalten als wir?"
Manfred Kloiber: Ein Riesen-Asset, oder anders gesagt, ein riesen Pfund nennt Professor Hannes Federrath, der Präsident der Gesellschaft für Informatik die virtuelle Jahrestagung. Es war übrigens die fünfzigste. Und ausgerechnet die Jubiläumsveranstaltung fand in dieser Woche nicht wie geplant in Karlsruhe sondern als virtuelles Ereignis statt. Für die Informatiker geht von dieser virtuellen Veranstaltung auch eine wichtige gesellschaftliche Botschaft aus, welche Peter Welchering?
Welchering: Kurz zusammengefasst die Botschaft: Wenn wir Digitalisierung ganz konkret umsetzen und dabei über die Folgen dessen, was wir tun, nachdenken, dann bringt Digitalisierung uns, die Gesellschaft tatsächlich voran. Aber wir müssen weg von bloßen Sonntagsreden über Digitalisierung, und wir müssen die Digitalisierungsdiskussion auf einer technischen Basis mitsamt einer realistischen Folgeabschätzung führen. Denn nur dann wird klar, was einzelne Digitalisierungsprojekte leisten können und was nicht.
So fanden auf der virtuellen GI-Jahrestagung gleich mehrere Workshops zum Thema Digitalisierung der Lehre statt. Da wurde über konkrete Lernplattformen inklusive Videokonferenzen gesprochen, aber eben auch über die dahinterliegenden didaktischen und systematischen Methoden zum Beispiel des Blended Learning. Das war auf der GI-Jahrestagung bezogen auf die Lehre an den Hochschulen. Viele Ergebnisse sind aber auch anwendbar auf die konkrete Unterrichtsgestaltung in den Schulen, in denen genau das aber nicht stattfindet.
Das wiederum hat unterschiedliche Gründe. Ein ganz wesentlicher Grund liegt darin, dass wir viel zu oft eben nicht souverän mit Digitalisierung umgehen. Auch deshalb hat die Debatte über digitale Souveranität diese GI-Jahrestagung bestimmt. Aber digitale Souveranität wurde da sehr viel breiter gefasst, als das in den bisherigen politischen Diskussionen der Fall ist.
Kloiber: Die Akzente für diese Diskussion wurden auf der Eröffnungsveranstaltung der Jahrestagung gesetzt und in den nachfolgenden Tracks aufgegriffen. Unsere Zusammenfassung.

Martin Hubschneider: "Was ist das Wichtige in der digitalen Souveränität? Datenschutz, Selbstbestimmung, Technologie-Kompetenz - das gilt insbesondere auch in Unternehmen -, Resilienz, Redundanz, eine digitale Infrastruktur, eine vertrauenswürdige Vernetzung und Adaptivität."
In seiner Keynote zur Eröffnung der 50. GI-Jahrestagung mutete Martin Hubschneider, der Vorstandsvorsitzende CAS Software, seinen Zuhörern eine Menge zu. Er spannt einen weiten Bogen: Von der Kritik des digitalen Überwachungskapitalismus, wie die Harvard-Professorin Shoshana Zuboff sie vorträgt, bis hin zu Vorschlägen einer Reform der Unternehmensorganisation bei digitalen Plattformen.

Damit wir in Europa souverän mit der Digitalisierung umgehen können, müssen wir selbst bestimmen können, welche digitale Infrastruktur in welcher Weise wir bauen wollen - angepasst an die jeweiligen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Adaptivität als Merkmal digitaler Souveranität bedeutet demzufolge, dass wir in der gegenwärtigen Pandemie die digitalen Infrastrukturen beherrschen, die wir brauchen, um die Pandemie bekämpfen zu können. Zum Beispiel eine Corona-Warn-App. Die kann zwar helfen, muss aber dann von einer selbstbestimmten Gesellschaft auch selbstbestimmt entwickelt werden. Und das wird schwierig, wenn Internet-Konzerne wie Apple und Google über die wesentliche Schnittstelle dieser Warn App bestimmen. Genau das aber ist eine Konsequenz der Plattformökonomie.

Martin Hubschneider: "Aus meiner Sicht bedroht die Plattformökonomie sowohl unsere Marktwirtschaft, wie wir sie kennen, als auch unsere Gesellschaft. Da entstehen gut gesicherte Monopole, und es ist faktisch öffentliche Infrastruktur. Alles gehört zur fast öffentlichen Infrastruktur inzwischen."
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, Informatikerin und GI-Mitglied, stimmte Hubschneider weitgehend zu und zog daraus die politische Konsequenz: "Am Ende glaube ich aber tatsächlich, dass es für die Zivilgesellschaft insbesondere notwendig ist, dass wir Netzwerke auch anbieten, dass wir Infrastruktur anbieten, die Kollaboration und Kommunikation ermöglicht in sicheren Räumen. Denn die sind durch die kommerziellen Anbieter, insbesondere aus den unterschiedlichen Überseegebieten eben nicht gegeben. Das ist ganz bestimmt eine politische Aufgabe."

Um aber diese politische und gesellschaftliche Diskussion führen zu können, dürfen wir uns bestimmte Verkürzungen und Zuspitzungen nicht mehr leisten. Digitalisierungsprozesse müssen von der technischen Basis her möglichst präzise definiert und dann debattiert werden. Sprachliche Präzision und technische Kompetenz sind notwendig, um Digitalisierungsprozesse genau beschreiben und dann umsetzen zu können. Was ungenau beschrieben wird, führt zu ungenauen und mitunter löchrigen Konzepten. Sie scheitern dann oft auch in der Umsetzung. Informatikerinnen und Informatiker sind gefordert, klare Anforderungsanalysen zu liefern.

Kloiber: Nun unterscheidet sich natürlich eine Anforderungsanalyse eines IT-Systems von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Anforderungen, denen sich zum Beispiel ein konkretes Digitalisierungsprojekt stellen muss. Wie wollen sich die Informatikerinnen und Informatiker denn da einbringen, Peter?
Welchering: Zunächst tatsächlich durch klassische Methoden des Requirement Managements. Wie das aussieht, konnte man in den Veranstaltungen zur intelligenten Mobilität und zum autonomen Fahren sehen. Wenn man die Anforderungsanalyse von vernetzten Autos und deren Vernetzung mit Verkehrsmanagementsystemen auch in der Datenanalyse ernst nimmt, dann kommt die Diskussion sehr schnell auf den Punkt: Wir brauchen eine Regelung, wer welche Daten, die das vernetzte Auto produziert nutzen darf, wer auf die Fortschreibung der Datenbasis aber auch einen Anspruch hat.
Wer zum Beispiel jetzt 40.000 bis 60.000 Euro für ein Elektro-Auto zahlt, will das einige Jahre fahren. Deshalb muss in einem solchen Fall nicht nur geregelt werden, wer welche Daten in welcher Weise verarbeitet, sondern es muss auch der Anspruch des Kunden, des Autobesitzers reguliert werden, wie lange ihm der Automobilhersteller Betriebssystem-, Sicherheits-Updates, Software-Updates zur Verfügung stellt. Denn davon hängt in einem solchen Fall ab, wie lange er das Auto fahren kann. Die politische Diskussion wurde über die Regulierung der Verkehrsdaten, Fahrdaten usw. geführt. Dieser Aspekt der Updates ergibt sich aber durch eine Anforderungsanalyse sehr klar.
Kloiber: Kann man das auch auf Bereiche wie digitale Lehre, digitalen Unterricht übertragen?
Welchering: Das ist tatsächlich auf der Jahrestagung auch passiert. Und auch da kann die gesellschaftliche Debatte von solch einer Anforderungsanalyse profitieren. Denn die dreht sich dann nicht nur darum, welche Features eine Lernplattform Lehrenden, Studierenden, Schülern bieten muss, sondern auch, welche Anforderungen von einem Unterrichtskonzept her an diese Lernplattform gestellt werden. Welche konkreten Funktionen einer Lernplattform brauchen zum Beispiel Schüler einer sechsten Klasse im Mathematikunterricht? Das muss vom Unterrichtskonzept her gelöst werden. Nur dann können Schüler und Lehrer souverän mit solch einer digitalen Lernplattform umgehen.
Kloiber: Nun hängt ja dieser souveräne Umgang mit digitalen Plattformen nicht an der Definition von Funktionen ab, sondern sehr stark auch davon, wem die Plattform gehört.
Welchering: Und genau das haben die Informatiker und Informatikerinnen durchaus in den Blick genommen. Die Plattformbetreiber müssen sich der Gesellschaft gegenüber verantworten, lautete etwa so eine Forderung. Das machen Google, Facebook und andere nicht. Deshalb müssen wir in Europa unabhängig werden von diesen Plattformbetreibern und eigene digitale Plattformen schaffen. Da aber haben wir während der vergangenen Jahre ziemlich viel versäumt.
Kloiber: Mit Gaia X soll ja eine europäische Plattform entstehen. Das müssten die Informatiker doch dann sehr begrüßen?
Welchering: Im Prinzip ja, es kommt darauf an, wie die ganz konkret ausgestaltet wird. Wer wird die Feature, das Design von Gaia X bestimmen? Die Politik? Oder doch stärker die Unternehmen, die das Geld einbringen? Plattformenbetreiber, so hat etwa Martin Hubschneider gefordert, sollten Unternehmen im Selbsteigentum sein, also eben keine großen Kapitalgesellschaften. Digitale Plattformen sollten von Unternehmen betrieben werden, die den Mitarbeitern, Kunden und Partner gehören, lautete seine Empfehlung. Und auch das begründete er mit den Ergebnissen einer Anforderungsanalyse. Was sollen digitale Plattformen leisten? Sollen sie aus ehemals selbstständigen Unternehmen abhängige Franchisenehmer werden lassen? Das ist zum Beispiel mit vielen Hotels als Partner von Plattformen wie Booking.com passiert. Das widerspricht aber marktwirtschaftlichen Prinzipien, argumentiert Hubschneider. Er und seine Mitstreiter fordern deshalb eine viel stärkere Regulierung von digitalen Plattformen, weil sie direkt zur öffentlichen Infrastruktur gehören.
Kloiber: Bedeutet das dann letztlich nicht, dass die Politik über digitale Plattformen entscheidet und nicht das Unternehmen, das sie betreibt?
Welchering: Da gab es unterschiedliche Konzepte, die da auf der Jahrestagung diskutiert wurden. Aber in einem Punkt stimmten die überein: Monopole oder Oligopole darf es in der öffentlichen Infrastruktur nicht geben. Digitale Plattformen müssen gesellschaftlich kontrolliert werden. Das muss keine Kontrolle der Politiker sein. Wie mit solchen ursprünglich für die Entwicklung von IT-Systemen entwickelten Anforderungsanalysen und den dahinter stehenden Methoden dann bei der Entwicklung von gesellschaftlich relevanten Digitalisierungsprozessen gearbeitet wird, das müssen wir dann mal sehen. Eine interessante Ergänzung zu den bisherigen politischen und gesellschaftlichen Ansätzen ist das allemal.