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Jahrhundertfigur des deutschen Theaters

"Bolle" nannten sie ihn in Berlin, aber auch "Striese" und "Schmierendirektor" - für Boleslaw Barlog, den Theaterintendanten und Regisseur, die größten Ehrenbezeichnungen. 1945 im zerstörten Berlin begann er im Schloßparktheater und verordnete sich dann "Theater lebenslänglich" - so der Titel seiner Autobiografie. Als Generalintendant und Regisseur hat der gebürtige Breslauer Theatergeschichte geschrieben.

Von Christian Linder | 28.03.2006
    "Der Anfang ist in allem schwer."

    Bevor alles begann, im November 1945 im zerstörten Berlin, ließ der junge Theaterregisseur Boleslaw Barlog die junge Hildegard Knef dieses Goethewort als Prolog sprechen. Erst danach fing der Theaterabend wirklich an, mit der Aufführung von Curt Goetz' Komödie "Hokuspokus". Ort war das Schloßtheater in Berlin-Steglitz. Wie Barlog es entdeckte, hat er oft und gern erzählt:

    "Es fing alles damit an, dass man auf den Augenblick lauerte, an dem man während der russischen Besatzung die Wohnung wieder verlassen konnte, dann wurde meine Frau verkleidet und dann zogen wir beide los, zu Fuß, es gab keine Straßenbahnen, überhaupt kein Verkehrsmittel, und so wanderten wir durch Berlin. Da kamen wir vorbei an einem alten Theater, das zuletzt nur noch als Kino gedient hatte, das Steglitzer Schloßparktheater, es war ein ausgebranntes Theater, eigentlich eine Ruine, wir gingen rein und fanden es eigentlich spielfertig. Das Dach war noch drauf, die Stühle standen noch drin, und ich dachte: Hier könnte man doch eigentlich Theater spielen."

    So fing das an, und dieser Anfang war wirklich nach dem Goethewort "in allem schwer".

    Barlog: "Der Alltag war ganz schlimm. Wir hatten nichts zu fressen, man ging, wenn man Glück hatte, mit einer gekochten Kartoffel in der hinteren Hosentasche zur Probe. Aber man war besoffen vor Freude, wieder arbeiten zu können."

    "Theater lebenslänglich" hat Barlog später seine Biografie genannt. Geboren in Breslau am 28. März 1906, wuchs er in Berlin auf, entwickelte eine frühe Theaterleidenschaft, war Komparse an der Volksbühne 1930. Während der Nazizeit war er dann beim Film, zunächst als Assistent zum Beispiel Fritz Käutners, bis er auch eigene Filme drehen durfte. "Kleine Mädchen – große Sorgen" oder "Wenn die Sonne wieder scheint" mit Darstellern wie Hannelore Schroth und Elisabeth Flickenschildt; nicht einmal ein Hitler-Gruß sei in diesen Filmen zu sehen gewesen, freute sich Barlog nach 1945.

    Aber dann sofort: Theater. Schloßparktheater, Anfang der 50er Jahre kam noch das Schillertheater, später auch die Werkstattbühne hinzu, und Barlog ließ sich zum Berliner Generalintendanten machen - allerdings nur mit dem Hintergedanken, dass er sich als Intendant selber Regieaufträge zuschanzen konnte. Der Anfang fiel dann, trotz aller schweren äußeren Umstände, doch spielerisch leicht. Barlogs Inszenierungen sind Legende. Die Aufführung von Zuckmayers "Des Teufels General", mit O. E. Hasse in der Hauptrolle, war 1948 einer der ersten Paukenschläge.

    Vor allem die zeitgenössischen Autoren lagen Barlog am Herzen, und so brachte er von Berlin aus den Deutschen Sartre und Anouilh, Pinter und Saunders, Edward Albee oder Samuel Beckett nahe – Beckett lud er sogar nach Berlin ein, seine eigenen Stücke zu inszenieren, und der Glanz dieser Inszenierungen fiel damit natürlich auch auf Barlog. Seine eigenen Regiearbeiten, durch die Schauspieler wie Ernst Deutsch, Berta Drews oder Martin Held, wenn sie nicht schon groß waren, groß gemacht wurden, bestachen vor allem durch ihre Treue zum Werk, wobei gerade diese Werktreue Barlog später vorgehalten wurde.

    Barlog: "Ich traf einmal auf der Straße den berühmten Dirigenten Bruno Walter, der sagte: 'Wie geht es Ihnen?'
    Ich sagte: 'Danke, Herr Walter, nicht so gut.'
    'Warum?'
    'Ich inszeniere Stücke so, wie sie geschrieben sind, und das wird heute nicht mehr honoriert.'
    Woraufhin er sagte: 'Bleiben Sie bitte bei diesem Prinzip und nehmen Sie ein Wort meines großen Lehrers Gustav Mahler mit auf den Weg, der zu mir gesagt hat: 'Walter, es ist sehr leicht, eine Sache interessant zu machen, aber sehr schwer, sie richtig zu machen.' '
    Das Wort habe ich mir hinter die Ohren geschrieben und durchgehalten."

    So gern Barlog als Regisseur agierte, so gern ließ er aber auch andere neben sich zu Wort kommen, zum Beispiel Regisseure wie Fritz Kortner, Karlheinz Stroux oder Rudolf Noelte. So wurde Berlin zu Deutschlands Theaterhauptstadt. Ja, jeder Taxifahrer in Berlin kenne ihn, freute sich Barlog. Das Ende war dann bitter. Zwangspensionierung als Generalintendant 1972. Regieaufträge kamen danach nicht mehr aus Berlin, sondern aus Wien oder München.

    Barlog: "Heutzutage sind die Regisseure im Schwange, die ihre eigenen Gehirnfürze für wichtiger halten als sich um das Wort des Dichters zu kümmern … Der Spatz, der das Trojanische Werk anpinkelt."

    Berlin blieb trotz der Einsamkeit, die er dort nach 1972 erlebte, Barlogs Wohnsitz. 92-jährig ist er im März 1999 gestorben. In den Nachrufen wussten auch die, die Barlogs Arbeit zunehmend kritisch betrachtet hatten, noch einmal ganz genau, dass er eine Jahrhundertfigur gewesen ist, ein "väterlicher Prinzipal", ein "König ohne Reich", "kämpfend, siegend und voller Narben der Niederlagen".