Beatrix Novy: In Neu-Delhi findet gerade das Katha-Festival statt, da geht es um Literatur. Unser Autor Navid Kermani ist dort, auch um aus seinen eigenen Werken zu lesen. Ich habe ihn nach seinen Eindrücken in Neu-Delhi gefragt.
Navid Kermani: Ich kann ja nur von diesem einen Literaturfestival sprechen. Das findet statt in einem sehr modernen Kongresszentrum. Es kommt mir vor ein bisschen mehr wie ein Jahrmarkt als ein Literaturfestival, wie ich es bis jetzt gekannt habe. Es sind unheimlich viele junge Menschen da, es sind 500 Studenten aus dem ganzen Land, die Stipendien bekommen haben, damit sie hier teilnehmen, und entsprechend ist das Publikum auch aus allen Schichten und eben vor allem sehr jung. Mein Gefühl ist, dass es eher ein Happening ist. Es hat mich erinnert an den Weltjugendtag in Köln, vielleicht ein bisschen kleiner, vielleicht ein bisschen weniger religiös. Aber dieses Gefühl, zusammen zu sein, und es kommt eigentlich gar nicht so sehr darauf an, weshalb man zusammen ist sondern einfach, dass die Menschen aus verschiedenen Ländern und vor allem auch aus verschiedenen sozialen Schichten hier fünf, sechs Tage lang zusammen sind. Insofern sind die Veranstaltungen selbst mindestens genau so wichtig wie das, was draußen stattfindet.
Novy: Worum geht es denn bei dieser Selbstverständigung? Wohin richtet sich das, nach Indien oder nach Asien?
Kermani: Es sind zwei Richtungen, die ich hier ausmachen kann. Einmal, ganz klar, nach Indien selbst, und vor allem ganz klar im Sinne von den Studenten, den jungen Leuten, es gibt auch ein Kinderfestival. Das Festival ist entstanden aus einer sozialen Bewegung, wo man jungen Leuten, Kindern aus Slumgebieten Bildung ermöglicht hat. Und es hat begonnen mit einem Literaturpreis für junge Leute und daraus ist eben dieses Riesen-Festival entstanden. Aber diese soziale Wurzel, die ist immer noch sehr spürbar. Es wird sehr viel diskutiert, es gab auch Demonstrationen, wiederum von Slumbewohnern, als der Minister hier war, für bessere Wasserversorgung. Ich glaube, die ausländischen Gäste und auch die großen indischen Intellektuellen, die hier sind, bieten die Bühne für die Aktivitäten dieser NGOs selbst.
Das andere, was ich hier gespürt habe, ist, dass es ganz klar auch um das asiatische Selbstbewusstsein geht. Es gibt so gut wie keine Menschen aus dem Westen, also drei, vier, die man hier und dort sieht, ansonsten auf allen Podien sind die Leute von Usbekistan, aus China, aus Indonesien, aus Iran sind sehr viele da, aus Tibet und viele Inder eben. Und es wird zwar die ganze Zeit geredet von Demokratie, von Frauenrechten, von sozialer Gleichberechtigung, vom Humanismus, also all den Werten, die der Westen gerne als westlich deklamiert und für sich beansprucht. Aber diese Werte werden hier vorgetragen, sehr selbstbewusst von Menschen aus ganz verschiedenen asiatischen Kulturen.
Novy: Und auch die iranische Präsenz ist ziemlich vorherrschend?
Kermani: Na, vorherrschend wäre übertrieben, aber es ist doch sehr auffällig. Also einerseits - es gibt hier ein Filmfestival, wo sehr viele iranische Filme gezeigt werden und zum anderen gab es einen Grafik-Wettbewerb, also Buchgrafik, und da haben Iraner die ersten drei Preise gewonnen. Man ist offenbar sehr neugierig, auch ich werde selbst immer wieder angesprochen auf die Verhältnisse im Iran, weniger auf die Entwicklung in Deutschland. Vielleicht auch deshalb, weil man vom Iran weniger weiß oder weniger erfährt und zugleich beinah Nachbar ist. Aber die Aufmerksamkeit für Iran ist hier sehr groß.
Novy: Die Autoren aus dem indischen Raum oder aus dem asiatischen Raum, die wir hier kennen, sind die auch dabei? Zum Beispiel Arundhati Roy, Salman Rushdie.
Kermani: Nein, von denen ist merkwürdigerweise keiner da. Ich muss auch gestehen, dass ich die meisten indischen Autoren und Intellektuellen nicht kannte vorher, obwohl sie wohl im Land selbst zu den bekanntesten gehören. Ich selbst saß auf dem Podium mit dem Enkel von Gandhi, der sehr anschaulich erzählt hat von den letzten Jahren seines Großvaters. Aber die indische regionalsprachige Literatur steht im Vordergrund. Es sind glaube ich, wenn ich es richtig im Kopf habe, über zwanzig Regionalsprachen, die hier vertreten sind. Auch das ist wohl ein Aspekt dieses Festivals, obwohl eigentlich ein Großteil der Kommunikation auf Englisch stattfindet. Auch in der indischen Kommunikation werden sehr stark die Regionalsprachen betont und vor allem die Vielfalt dieses Landes, die Multikulturalität des Landes. Es gab am Eröffnungsabend ein Konzert einer Sufi-Gruppe, die sehr stark betont hat, auch in ihrer Musik, dass, so wie sie es im Gesang genannt haben, die Leute zwar in Moscheen, in Kirchen, in Hindu-Tempeln beten, aber die Tauben auf allen Heiligtümern gleichermaßen ihre Hinterlassenschaft dort hinablassen.
Novy: Dieses Zurückfinden zur ethnischen und regionalen Identität, spiegelt auch das in irgendeiner Weise den Aufstieg Indiens wieder, der ja eigentlich einer der städtischen Kultur ist?
Kermani: Zumindest einen Aufstieg oder das Bewahren eines indischen Selbstbewusstseins, auch diese Multikulturalität, die hier gefeiert wird, das Zusammenleben von Hindus, von Muslimen, das ist zwar einerseits immer Teil der offiziellen indischen Ideologie gewesen, aber wenn man sich erinnert, dass bis vor kurzem eine hinduistisch-fundamentalistische Regierung geherrscht hat, die ganz andere Töne angeschlagen hat, dann ist es doch wieder nicht ganz so selbstverständlich. Und ich glaube, dass Indien sehr viel im Augenblick auch darauf besteht, und vor allem indische Intellektuelle darauf bestehen, dass Indien eben eine Nation ist, die aus vielen einzelnen Nationen besteht, und das wird hier sehr stark zelebriert.
Navid Kermani: Ich kann ja nur von diesem einen Literaturfestival sprechen. Das findet statt in einem sehr modernen Kongresszentrum. Es kommt mir vor ein bisschen mehr wie ein Jahrmarkt als ein Literaturfestival, wie ich es bis jetzt gekannt habe. Es sind unheimlich viele junge Menschen da, es sind 500 Studenten aus dem ganzen Land, die Stipendien bekommen haben, damit sie hier teilnehmen, und entsprechend ist das Publikum auch aus allen Schichten und eben vor allem sehr jung. Mein Gefühl ist, dass es eher ein Happening ist. Es hat mich erinnert an den Weltjugendtag in Köln, vielleicht ein bisschen kleiner, vielleicht ein bisschen weniger religiös. Aber dieses Gefühl, zusammen zu sein, und es kommt eigentlich gar nicht so sehr darauf an, weshalb man zusammen ist sondern einfach, dass die Menschen aus verschiedenen Ländern und vor allem auch aus verschiedenen sozialen Schichten hier fünf, sechs Tage lang zusammen sind. Insofern sind die Veranstaltungen selbst mindestens genau so wichtig wie das, was draußen stattfindet.
Novy: Worum geht es denn bei dieser Selbstverständigung? Wohin richtet sich das, nach Indien oder nach Asien?
Kermani: Es sind zwei Richtungen, die ich hier ausmachen kann. Einmal, ganz klar, nach Indien selbst, und vor allem ganz klar im Sinne von den Studenten, den jungen Leuten, es gibt auch ein Kinderfestival. Das Festival ist entstanden aus einer sozialen Bewegung, wo man jungen Leuten, Kindern aus Slumgebieten Bildung ermöglicht hat. Und es hat begonnen mit einem Literaturpreis für junge Leute und daraus ist eben dieses Riesen-Festival entstanden. Aber diese soziale Wurzel, die ist immer noch sehr spürbar. Es wird sehr viel diskutiert, es gab auch Demonstrationen, wiederum von Slumbewohnern, als der Minister hier war, für bessere Wasserversorgung. Ich glaube, die ausländischen Gäste und auch die großen indischen Intellektuellen, die hier sind, bieten die Bühne für die Aktivitäten dieser NGOs selbst.
Das andere, was ich hier gespürt habe, ist, dass es ganz klar auch um das asiatische Selbstbewusstsein geht. Es gibt so gut wie keine Menschen aus dem Westen, also drei, vier, die man hier und dort sieht, ansonsten auf allen Podien sind die Leute von Usbekistan, aus China, aus Indonesien, aus Iran sind sehr viele da, aus Tibet und viele Inder eben. Und es wird zwar die ganze Zeit geredet von Demokratie, von Frauenrechten, von sozialer Gleichberechtigung, vom Humanismus, also all den Werten, die der Westen gerne als westlich deklamiert und für sich beansprucht. Aber diese Werte werden hier vorgetragen, sehr selbstbewusst von Menschen aus ganz verschiedenen asiatischen Kulturen.
Novy: Und auch die iranische Präsenz ist ziemlich vorherrschend?
Kermani: Na, vorherrschend wäre übertrieben, aber es ist doch sehr auffällig. Also einerseits - es gibt hier ein Filmfestival, wo sehr viele iranische Filme gezeigt werden und zum anderen gab es einen Grafik-Wettbewerb, also Buchgrafik, und da haben Iraner die ersten drei Preise gewonnen. Man ist offenbar sehr neugierig, auch ich werde selbst immer wieder angesprochen auf die Verhältnisse im Iran, weniger auf die Entwicklung in Deutschland. Vielleicht auch deshalb, weil man vom Iran weniger weiß oder weniger erfährt und zugleich beinah Nachbar ist. Aber die Aufmerksamkeit für Iran ist hier sehr groß.
Novy: Die Autoren aus dem indischen Raum oder aus dem asiatischen Raum, die wir hier kennen, sind die auch dabei? Zum Beispiel Arundhati Roy, Salman Rushdie.
Kermani: Nein, von denen ist merkwürdigerweise keiner da. Ich muss auch gestehen, dass ich die meisten indischen Autoren und Intellektuellen nicht kannte vorher, obwohl sie wohl im Land selbst zu den bekanntesten gehören. Ich selbst saß auf dem Podium mit dem Enkel von Gandhi, der sehr anschaulich erzählt hat von den letzten Jahren seines Großvaters. Aber die indische regionalsprachige Literatur steht im Vordergrund. Es sind glaube ich, wenn ich es richtig im Kopf habe, über zwanzig Regionalsprachen, die hier vertreten sind. Auch das ist wohl ein Aspekt dieses Festivals, obwohl eigentlich ein Großteil der Kommunikation auf Englisch stattfindet. Auch in der indischen Kommunikation werden sehr stark die Regionalsprachen betont und vor allem die Vielfalt dieses Landes, die Multikulturalität des Landes. Es gab am Eröffnungsabend ein Konzert einer Sufi-Gruppe, die sehr stark betont hat, auch in ihrer Musik, dass, so wie sie es im Gesang genannt haben, die Leute zwar in Moscheen, in Kirchen, in Hindu-Tempeln beten, aber die Tauben auf allen Heiligtümern gleichermaßen ihre Hinterlassenschaft dort hinablassen.
Novy: Dieses Zurückfinden zur ethnischen und regionalen Identität, spiegelt auch das in irgendeiner Weise den Aufstieg Indiens wieder, der ja eigentlich einer der städtischen Kultur ist?
Kermani: Zumindest einen Aufstieg oder das Bewahren eines indischen Selbstbewusstseins, auch diese Multikulturalität, die hier gefeiert wird, das Zusammenleben von Hindus, von Muslimen, das ist zwar einerseits immer Teil der offiziellen indischen Ideologie gewesen, aber wenn man sich erinnert, dass bis vor kurzem eine hinduistisch-fundamentalistische Regierung geherrscht hat, die ganz andere Töne angeschlagen hat, dann ist es doch wieder nicht ganz so selbstverständlich. Und ich glaube, dass Indien sehr viel im Augenblick auch darauf besteht, und vor allem indische Intellektuelle darauf bestehen, dass Indien eben eine Nation ist, die aus vielen einzelnen Nationen besteht, und das wird hier sehr stark zelebriert.