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Jamaika erstmals unter Druck

Es ist ein kleines Land mit 2,7 Millionen Einwohnern, das kontinuierlich die schnellsten Sprinter der Welt produziert. Bei den Männern und bei den Frauen. Das ist für sich genommen schon ungewöhnlich genug. Und dann auch wieder nicht. Denn viele von ihnen werden bei Dopingkontrollen erwischt. Zuletzt gleich fünf auf einmal, darunter der ehemalige 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell.

Von Jürgen Kalwa |
    Eigentlich müsste es in einem solchen Land ein intensives System mit vielen Labortests geben. Doch davon kann nicht die Rede sein. Das bestätigte in der letzten Woche die ehemalige Geschäftsführerin der Jamaikanischen Anti-Doping-Kommission JADCO, die Anfang dieses Jahres im Zwist mit dem Vorstand den Posten wieder aufgegeben hatte. Kein Wunder, schrieb Renee Anne Shirley in der amerikanischen Zeitschrift "Sports Illustrated”, dass man auf Jamaika ständig dazubeiträgt, den Verdacht anzuheizen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehe, "anstatt ihn zu auszumerzen”.

    Gegenüber dem Deutschlandfunk unterstrich Shirley, was im Argen liegt: "Es muss mehr getan werden. Nicht nur was die Dopingtests betrifft, sondern auch, was die Ermittlungsarbeit angeht.” Was schwierig ist. Auf Jamaika, so sagt sie, glauben die Verantwortlichen einfach nicht, "dass man ein Problem hat”.

    So hatte sie bei ihrer Amtsübernahme herausgefunden, dass es in den fünf Monaten vor den Spielen in London nur eine einzige Trainingskontrolle gegeben hatte. Doch als sie versuchte, die Arbeit zu intensivieren, wurde sie vom JADCO-Vorstand behindert. Den seit längerem kursierenden Mutmaßungen, dass es Verbindungen zwischen jamaikanischen Sportlern und dem Mexikaner Angel Heredia gibt, einem der Kronzeugen und Dopingmittellieferanten des BALCO-Skandals, ist bis heute niemand nachgegangen. Sie gab den Posten Anfang 2013 frustriert auf.

    Die Reaktion der WADA auf Shirleys Informationen kam rasch. Auch wenn die Wortwahl verhalten wirkte, wurden erstmals drastische Sanktionen angedroht. Sollte man auf der Insel weiterhin hinter den Anforderungen an einen wirkungsvollen Anti-Dopingkampf zurückbleiben, könnte es zum Komplettausschluss der Sportler kommen. WADA-Sprecher Ben Nichols beschreibt den Verfahrensgang:

    ""Wenn keine Verbesserungsmaßnahmen getroffen werden, kann die WADA ein Land als nicht-konform einstufen. Die Sportverbände entscheiden dann über den weiteren Verfahrensgang.”"

    Die Kehrtwende ist überraschend. Denn noch vor zwölf Monaten, als der ehemalige WADA-Chef Dick Pound Missstände auf Jamaika andeutete, wirkte man in Montreal noch völlig desinteressiert und förderte so die Haltung in Kingston, wo man selbst auf sachlich begründete Vorhaltungen immer nur auf eine Weise reagiert: Man gibt sich indigniert. JADCO behauptete in dieser Woche denn auch erneut, dass die Arbeit "internationalen Standards entspricht”. Assistiert von der für Sport zuständigen Ministerin Natalie Neita-Headley, die betonte, dass man etwaige Probleme selbstverständlich anpacken werde. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren das JADCO-Budget mehrfach aufgestockt. So wurde zumindest ein Argument entkräftet: Mit einem Mangel an Geld haben die Probleme nichts zu tun.