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James Dean am Klavier

Er war einer der wenigen klassischen Musiker, die das Zeug zum Kultstar hatten: der Kanadische Meisterpianist Glenn Gould. Ein unvergleichlicher Bach-Interpret, ein intellektueller Exzentriker und Medien-Visionär, ein Ausnahme-Virtuose, der sich dem traditionellen Konzertbetrieb ebenso verweigerte wie dem einschlägigen Repertoire seines Instruments.

Von Michael Stegemann | 25.09.2007
    Es wird für immer "sein" Werk bleiben: Die Goldberg-Variationen von Bach, mit deren Schallplatten-Aufnahme für die Columbia der kanadische Pianist Glenn Gould 1955 quasi über Nacht weltberühmt wurde. Geboren am 25. September 1932 in Toronto, war Gould damals 23 Jahre alt: Ein Exzentriker, der beim Spielen laut mitsang und mitdirigierte. Ein glamourös-fotogener Jung-Star, den die Medien als "James Dean am Klavier" umschwärmten. Ein Provokateur, der etwa Beethovens letzte Klaviersonaten "zu lang" fand und erklärte, seiner Meinung nach sei Mozart "eher zu spät als zu früh" gestorben. Vor allem aber: ein Pianist von schier unglaublicher Perfektion, Transparenz und Intelligenz.

    "'Man spielt nicht mit den Fingern Klavier, sondern mit dem Kopf', lautete Goulds Credo. Von Anfang an zog er die Arbeit im Studio dem öffentlichen Auftreten vor – die Möglichkeit, ein Werk in fünf, zehn oder zwanzig verschiedenen Fassungen aufzunehmen, um dann aus diesem Material die ideale Interpretation auszuwählen oder zu kompilieren. Konzerte hasste er ebenso wie Konzertbesucher und ihren 'Gladiatoreninstinkt'"

    Die einzig logische Konsequenz aus dieser Abneigung war sein definitiver Ausstieg aus dem Konzertbetrieb: Nach einem letzten Recital im April 1964, er war 31 Jahre alt, ist Glenn Gould nie wieder öffentlich aufgetreten.

    "Ich könnte mir nicht vorstellen, wieder zu diesem Leben zurückzukehren, das ich acht oder neun unerfreuliche Jahre lang geführt habe. Sie waren vielleicht eine wichtige Erfahrung, aber ich wollte weg davon - je eher desto besser -, und dann war es endlich so weit. Ich glaube, es wäre ein entsetzlicher Rückschritt, wenn ich wieder anfangen würde, Konzerte zu geben."

    Fortan kommunizierte Gould nur mehr über die Medien Fernsehen, Rundfunk und Schallplatte mit seiner 'Gemeinde' - ein Mythos, eine Legende zu Lebzeiten. Ebenso radikal wie sein Concert Drop-Out war Goulds Repertoire: Immer wieder Bach, und Mozart und Beethoven, aber keinen der einschlägigen Klavier-Komponisten des 19. Jahrhunderts – Schubert, Schumann, Chopin, Liszt oder Rachmaninow. Stattdessen Richard Strauss, Ernst Krenek und Paul Hindemith, Georges Bizet und Jean Sibelius... und Arnold Schönberg.

    Eine seiner letzten Aufnahmen war 1981 eine Neuproduktion der Goldberg-Variationen.

    "Im übrigen, ich bin ja gar kein Pianist. Ich bin ein Mann der Medien, ein Komponist und ein kanadischer Schriftsteller, der in seiner Freizeit Klavier spielt!"

    Tatsächlich schrieb und produzierte Gould mehr als 100 Rundfunk- und Fernseh-Sendungen für die CBC, die Canadian Broadcasting Corporation: Features, Komponistenporträts und Radio-Sketche, Hörspiele und "Dokudramen". Überhaupt war er entschlossen, irgendwann nicht nur das Konzertieren, sondern auch das Klavierspielen definitiv aufzugeben, um sich nur mehr dem Dirigieren, Komponieren und Schreiben zu widmen.

    "Wissen Sie, mein Vertrag mit der Columbia reicht ein wenig über meinen 50. Geburtstag hinaus, aber ich bin nicht kleinlich. Dennoch wird es - wenn der Vertrag ausläuft –-einen grundsätzlichen Orientierungswechsel geben, genau wie vor zwanzig Jahren. Im Moment möchte ich lieber noch nichts darüber sagen. Ich habe immer an die Veränderung geglaubt, weil es zu viele Dinge gibt, die ich noch unternehmen möchte."

    Doch dazu kam es nicht mehr: Am 4. Oktober 1982 – eine gute Woche nach seinem 50. Geburtstag – starb Glenn Gould in Toronto an den Folgen eines Gehirnschlags.