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Jan Bosse inszeniert, Rocko Schamoni schreibt Musik

Jan Bosses Inszenierungen sind modern aber texttreu, eher schrill als melancholisch, lieber macht er zu viel als zu wenig. Gestern hatte er mit Shakespeares "Was ihr wollt" am Hamburger Thalia Theater Premiere.

Von Michael Laages |
    Happy End? Ausgeschlossen. So fundamental hat der Tausch der Geschlechter und Identitäten schlussendlich alle in die Irre geführt, dass hier nur Scherben übrig bleiben können; und kein Glück. Jedenfalls dann, wenn die fatale Konstruktion von Shakespeares trauriger Komödie möglichst ernst genommen wird – ein junges Mädchen will, nach glücklich überstandenem Schiffbruch, in die Dienste eines vor eitlem Liebeskummer nur so triefenden Fürsten treten und verkleidet sich dafür als Junge; und dieser "Junge" muss bei der nach zwei Schicksalsschlägen todtraurigen Grafentochter von nebenan um Liebe werben für den Fürsten. Logisch, dass die sich in ihn, den Jungen, verliebt, oder besser: in das Bild vom Jungen; während der (besser: die, im Kerls-Kostüm) eigentlich längst ihrem Auftraggeber verfallen ist.

    Das kann nicht gut gehen, und es geht auch nicht gut aus; und nur weil Shakespeare kurz vor Ultimo auch noch den ebenfalls nicht ertrunkenen und optisch beinahe baugleichen Bruder der gestrandeten Viola aus der Theater-Trickkiste zaubert, rumpeln die gängigen "Was Ihr wollt"-Aufführungen halbwegs logisch ins doppelte Paar-Finale. Jan Bosse und die Dramaturgin Gabriella Bussacker wollten es für die Arbeit in Hamburg grundsätzlich anders – Bruder und Schwester sind hier nicht nur ein und dieselbe Figur, sondern obendrein auch noch ein Mann. Damit wird das Glück endgültig unmöglich – und verstoßen von beiden denkbaren Partnern, bleibt dieses doppelt geschlechtliche Wesen letztlich allein und verlassen; Männlein und Weiblein im Walde, beides zusammen.

    Es macht bis zum Schluss beträchtlichen Spaß, dem Darsteller Mirco Kreibich in diesem halsbrecherischen Doppel-Akt zu folgen; das ist kein Kleidchen-wechsel-dich-, kein Frack-und-Fummel-Spiel, das ist ein existenzielles Drama. Als es um alles, das heißt: um beides geht zum Schluss, als er in beiden Ausstattungen gefragt und gefordert ist, in der Begegnung der Geschwister, spricht er die Schwester auf Zehenspitzen, den Bruder auf vollem Fuß. Und mehr Unterscheidung braucht’s auch nicht; schon die umgehängte Kunst-Brust wirkt von Beginn an ein bisschen zu gewollt. Aber Bussackers und Bosses grundsätzlicher Gedanke trägt; wie am Thalia Theater überhaupt eine vor allem sehr kluge Aufführung gelungen ist.

    Auftrittsbeifall (und das ist immer etwas Besonderes!) gibt’s für’s Bühnenbild – Stéphane Laimé hat einen Traum- und Alptraum-Garten auf die Bühne gebaut; und die Assoziationen wuchern schnell zu anderen Shakespeare-Wäldern: dem von Arden in "Wie es Euch gefällt" und dem vor Athen, in dem das "Sommernachtstraum"-Delirium beginnt. Auch Laimés Wald ist tendenziell ziemlich delirant – Monsterfrösche gibt’s hier und ein Einhorn, Schling-Gewächse und Schoko-Shit in Kuhfladen-Format, halluzinogene Fliegenpilze schließlich für den schnellen Rausch; und dann setzt sich der allgegenwärtige Pianist auch eine Eichkatzen-Maske auf. Flucht ist nicht möglich, alle bleiben immer anwesend und führen einander alle Irrungen und Wirrungen, auch die Slapstick-Einlagen des Rüpel-Paares Rülp und Bleichenwang, demonstrativ vor; kein Geheimnis nirgends. Jeder Gag wird als Gag deklariert, und nach jeder Sauerei mit Banane, Wasser oder Schoko-Schmiere wird ordentlich aufgewischt: Spielmacher (und eigentlicher Star des Abends) ist auch in dieser Saubermacher-Rolle Karin Neuhäuser als Narr, in dieser Fassung erweitert um ein paar andere Rollen, etwa die des Schiffshauptmanns Antonio oder die von Frau Gräfins Haus-Zofe Maria, die den eitlen Gecken Malvolio bekanntlich mit einem fingierten Brief zu dem dämlichen Gecken macht, der er auch vorher schon war. In ein Fallgruben-Fangnetz, wie im Urwald üblich, wird er gegen Ende zur Beruhigung in die Bäume gehängt ... ungut und ernst geht hier jeder Spaß zu Ende, und in den letzten Prügeleien mit dem anderen, dem Bruder-Ich der zarten Liebenden Viola, holen sich die Rüpel reichlich blutige Nasen.

    Alle szenischen Abgrenzungen zwischen diesen mindestens zwei sehr verschiedenen Spielebenen sind aufgehoben; und die Narren-Figur schaltet und waltet in dieser mehrgeschlechtlichen Versuchsanordnung ähnlich furios androgyn wie Kreibichs Zwillingspaar. Mit diesen Konstruktions-Ideen kommt die Hamburger Aufführung ziemlich weit; und sie hat ein starkes Ensemble: mit Bibiana Beglau und Alexander Simon, Bruno Cathomas, Jörg Pohl und Jens Harzer. Was ihr fehlt, ist ein bisschen Gegenwart, ein bisschen Alltäglichkeit – aber das wäre dem Neo-Konservativen Bosse womöglich zu "originell" gewesen. Viel Jubel gab’s, und gegen den ist wirklich nicht viel einzuwenden.