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Jan Josef Liefers und Radio Doria
"Etwas machen, was Lebensfreude vermittelt und verbindet"

Jan Josef Liefers will mit seiner Band Radio Doria auf dem neuen Album "2 Seiten" das Zusammensein feiern - dem gesellschaftlichen Klima in Deutschland zum Trotz. Was ihm heute in der Politik fehle, sei jemand wie Martin Luther King, der sagt: Ich habe einen Traum!, so Liefers im Dlf.

Jan Josef Liefers im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
    Mann in schwarzem Jackett mit kurzen schwarzen Haaren in Tonstudio hinter einem Mikro, nach oben schauend
    Jan Josef Liefers im Dlf: "Das gefällt mir auch an der AfD nicht, dieses ewige Nach-Hinten-Gegucke" (Deutschlandradio / Alexander Haas)
    Sigrid Fischer: "2 Seiten", das Titelstück aus dem neuen Album von Radio Doria, der Band von und mit Jan Josef Liefers. Und er ist jetzt bei uns im Studio. Guten Tag bei Corso – Kunst & Pop.
    Jan Josef Liefers: Ja, hallo, guten Tag.
    Fischer: Guten Tag. Herr Liefers, vor drei Jahren, Anfang September, kam ja das erste Radio Doria-Album heraus.
    Liefers: Ja. "Die freie Stimme der Schlaflosigkeit", hieß das.
    Fischer: Ist das ein Zufall, dass das immer Anfang September ist oder hat das mit Ihrem Lebens-Arbeits-Rhythmus zu tun?
    Liefers: Ist mir gar nicht aufgefallen, ehrlich gesagt, ist dann wohl Zufall - oder Schicksal, wer kann das sagen?
    Fischer: Könnte sein, Sie sagen: Och nö, im Herbst habe ich immer nicht so viel zu tun, da kann ich dann auf Tour und so.
    Liefers: Im Gegenteil, das ganze Gegenteil ist der Fall, das ganze Jahr über ist relativ viel zu tun, aber komischerweise nach dem Sommerurlaub, also im Herbst, schiebt sich alles so zusammen und alle drehen so am Rad und alle flippen so aus, dass eigentlich das zweite Halbjahr gefühlt sich so anfühlt wie zwei erste halbe Jahre zusammengenommen.
    "Wir haben viel über Bord geschmissen"
    Fischer: Verstehe. Sie haben uns jedenfalls, damals waren Sie auch Gast bei uns, haben Sie so gesagt, ach, Sie dachten eigentlich mal - nach dem Bandprojekt davor, das ist ja das Gleiche, aber es hieß halt anders - Sie seien auserzählt, und da wär jetzt mal genug gewesen. Wo kommen jetzt dann doch die ganzen Ideen für die neuen Geschichten her? Fliegen die so zu?
    Liefers: Nein, zufliegen, kann ich nicht sagen. Also speziell hier. Ich meine, es war klar, dass wir ein zweites Album machen wollten, das stand auch ungefähr so im Raum, wann. Aber es gab Startschwierigkeiten, und zwar lagen die zum Teil in mir und zum Teil aber auch in der Zeit. Was sozusagen im letzten Jahr - in den letzten anderthalb, zwei Jahren - so passiert ist in unserer Welt. Und auch in Deutschland. Das Klima hat sich extrem geändert, das ist sehr rau geworden, sehr kühl. Und trotzdem erhitzt - merkwürdiger Widerspruch. Und für mich war es nicht so leicht, den Anfang zu finden, irgendwie den Faden aufzunehmen.
    Flüchtlinge kamen nach Deutschland, auch Terror kam nach Europa. Und die Gesellschaft drohte, droht auch immer noch, auseinanderzufallen an dieser Frage. Komischerweise haben wir viel über Bord geschmissen in dieser Zeit, unter anderem auch eine eigentlich ganz gut entwickelte Kultur im Umgang mit verschiedenen Meinungen und verschiedenen Ansichten. Auf einmal wurde die Meinungsfreiheit für alles mögliche hergenommen, auch für Beleidigungen und Beschimpfungen jeder Art. Und das war auf jeden Fall kein Klima, in dem man einfach mal so …
    Fischer: … ein locker-leichtes Album macht. Und für das Konzept von Leichtigkeit – ihr wolltet ein leichtes Album, das sollte doch schon leicht sein, ne?
    Liefers: Ja, noch mal so schön Popmusik macht. Ja, das war dann umso mehr so, weil ich dachte: Genau das ist das, was am meisten fehlt.
    Fischer: Den Kontrapunkt setzen.
    Liefers: Genau. Also statt jetzt noch mit in dieselbe Kerbe reinzuschlagen und zu sagen: "Ja, ihr!" – "Nein, ihr!" – "Nein, ihr!" – "Pfui Teufel und uähuähuäh!", haben wir gesagt, dann versuchen wir doch etwas zu machen, das gerade fehlt, was das Zusammensein feiert, und was die Beziehungen untereinander wertschätzt, hochhält, was Lebensfreude vermittelt und verbindet - statt etwas zu machen, was immer noch weiter trennt und auseinandertreibt.
    "Am Ende ist ja sowieso alles politisch"
    Fischer: Aber ich verstehe richtig, das Album ist - und soll auch - politikfrei sein? Also ich höre es so zumindest. Klar, man kann hier und da mal was reindeuten …
    Liefers: Erstaunlich, das geht mir überhaupt nicht so. Ich finde nicht, dass Sie besonders viel reindeuten müssen und aus dem Kaffeesatz lesen müssen. Naja, gut.
    Fischer: Muss ich noch mal hören vielleicht? Da gibt es jetzt schon so Zeilen, zum Beispiel: "Wann wird's endlich mal wieder so, wie's früher nie war?" Das, finde ich, ist so ein Satz, ne?
    Liefers: Sehen Sie, am Ende ist ja sowieso alles politisch, was man macht.
    Fischer: Ja.
    Liefers: Ob man jetzt etwas tut – oder selbst, was man nicht tut - hat eine politische Komponente. Und ich bin eben jemand, der eher so gestrickt ist, dass … ich bin eher für etwas. Und ich sage eher, wofür ich bin, als dass ich sage, dagegen bin ich.
    Fischer: Ja, Sie sind …
    Liefers: … ansonsten bin ich für, immer für Menschen, die in die Zukunft schauen. Das alles, was nach hinten guckt, das Rückwärtsgewandte, das gefällt mir auch an der AfD nicht, dieses ewige Nach-Hinten-Gegucke. Und sagen: Ja, wir wollen eigentlich wieder, dass es so ist, wie es früher war. Deswegen haben wir auch das Lied geschrieben, "Wann wird's endlich wieder, wie's früher nie war?" Es war nämlich nie so, wie man heute denkt, dass es früher gewesen ist. Und das macht gar keinen Sinn, die Uhr rückwärts drehen zu wollen. Jeder, der das macht, scheitert über kurz oder lang. Und es macht auch viel mehr Spaß, sich darüber Gedanken zu machen, wie es mal sein wird – was mir heute sehr fehlt, auch in der Politik, ist jemand, der sich so ähnlich wie Martin Luther King hinstellt und sagt: "Ich habe einen Traum." Alles, was jemals beginnt, beginnt mit einem Traum und einer Vorstellung davon, wie die Welt sein soll in 40-50 Jahren, und was wir heute tun müssen, damit sie so wird - das vermisse ich am meisten.
    Wir haben noch länger mit Jan Josef Liefers gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Fischer: Sie haben sich mal hingestellt, wissen Sie, im November '89, und haben so eine Vision von einem demokratischen Sozialismus da mal so formuliert. Da sind wir ganz weit weg von, glaube ich, immer noch. Aber Sie haben schon noch Visionen, ne?
    Liefers: Wir sind schon sehr beschäftigt, wir verwalten irgendwie die Gegenwart so, und wenn es darum geht, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen, dann gucken wir auch gerne nach hinten, ne? Und ich sehe keine politische Kraft im Moment, die - für mich überzeugend - den Blick nach vorne wirft, über diesen zeitlichen Tellerrand der nächsten, jetzt anstehenden, Wahl hinaus.
    Fischer: Wäre aber wichtig,ne? Wäre wichtig, Visionen zu haben.
    Liefers: Fände ich gut, ja.
    Es gibt viel Freudvolles über den Iran zu erzählen
    Fischer: Wäre gut. Sie sind ja, bevor Sie angefangen haben mit dem Album, wie man dann lesen konnte, um den Kopf frei zu kriegen, aber dann denke ich: Fährt man in den Iran, um den Kopf frei zu kriegen? Ja, es war eher eine musikalisch inspirierte Tour sollte das werden, ne?
    Liefers: Ja, also das war … das ist ja unsere Kernkompetenz sozusagen, am Anfang einer Plattenproduktion uns mit Musik zu beschäftigen. Aber was man vor allem auch bemerkt hat - jeder von uns, jeder in der Band - war mal wieder, dass man ein Land nicht mit seiner Regierung und seiner Politik unbedingt verwechseln sollte. Es gibt sicherlich viele Menschen, die mit gutem Grund sagen könnten, dass der Iran heute eine Art islamische Diktatur oder so was ist, also es gibt viel Freudloses zu berichten. Aber es gibt viel, viel mehr Freudvolles zu erzählen. Das haben wir ja gemerkt in unseren zehn, vierzehn Tagen, die wir dort waren. Wir haben unglaublich viele fröhliche, tolle, gute, großartige, lustige, gastfreundliche Menschen erlebt und unter anderem eben auch viele Musiker.
    Fischer: Ja. Auf dem Album spielt ein syrischer Musiker mit - und zwar bei dem Stück, was wir eben gehört haben, bei "2 Seiten".
    Liefers: Er singt mit, ja.
    Fischer: Singt mit. Sie waren in Syrien auch mal, vor drei Jahren. War das die Verbindung vielleicht - oder wie kam das?
    Liefers: Dort haben wir uns nicht kennengelernt. Ich habe Anas kennengelernt, nachdem er Syrien verlassen hat. Ist auch auf dem typischen Fluchtweg hierher gekommen, zusammen mit seiner Band. Allerdings fehlte der Schlagzeuger, der wurde in Syrien erschossen. Und der lag dort vor dem Proberaum, und das war der Punkt, wo die gesagt haben: Wir können hier nicht länger bleiben. Und sind dann hergekommen und ich konnte dann so ein bisschen dazu beitragen, dass die Band zusammen - spielbereit zusammen - in Berlin blieb, und als ich ihm das Lied vorgespielt hab, hat er einfach angefangen, mitzusingen. Und das haben wir aufgenommen, das fand ich toll. Und so entstehen manchmal Dinge.
    Fischer: Super. Reinhard Mey ist übrigens auch dabei.
    Liefers: Ja.
    Fischer: Das ist ja auch eine tolle Sache, also dass der auf einmal mit Ihnen im Duett da singt. Sind Sie so ein Bewunderer immer gewesen, oder?
    Liefers: Ja, also ich habe größten Respekt vor Reinhard als Musiker, der hat unglaublich viel geschrieben, unglaublich viel gemacht. Ein ganz großer Künstler gewesen und ist es immer noch. Und in diesem Falle war es einfach so, kam es so aus diesem Lied heraus. Weil: Ich habe das erste alleine gesungen, es gibt auch eine Version mit mir alleine, und beim Singen habe ich schon immer gedacht: Mensch, eigentlich müsstest Du … das ist ein Lied über eine … das ist ein Beziehungslied, wenn du willst - aber nicht so klassischerweise "Mann/Frau" oder "Liebe", ein Liebeslied, eine Liebesbeziehung, sondern könnte genausogut eine Freundschaft betreffen und alle haben abgewunken, haben gesagt: macht der Reinhard nie, Reinhard hat sich so zurückgezogen, konzentriert sich nur noch auf seine Sachen.
    Das Kino von heute: durchwachsen
    Fischer: Hat er dann doch gemacht.
    Liefers: Und dann habe ich ihn gefragt und er war sofort dabei. Er hat gesagt: Ich finde, das ist ein ganz tolles Lied. Und ich bin sehr froh darüber, dass er es gemacht hat, unter anderem auch, weil das dem Song - Reinhard ist in dem Alter, in dem mein Vater jetzt wäre, wenn er noch leben würde - dadurch, dass er da mitsingt, gibt er dem Song noch mal eine Tiefe, die er ohne ihn, also nur mit mir, nicht hatte.
    Fischer: Wissen Sie, Jan Josef Liefers, natürlich wissen Sie … wir haben eigentlich 20-jähriges Jubiläum von "Knockin' on Heavens Door", ich bin neulich beim Zappen ganz spät abends da drin noch mal hängengeblieben, der Film, wo Sie als Krebskranker mit Til Schweiger noch mal ans Meer wollen und in so kriminelle Geschichten geraten. Das war '97, das war kinotechnisch gesehen eine ganz gute Zeit in Deutschland, fand ich. Wie empfinden Sie das gerade so, das Kino? Sie sind gerade im "Pubertier" zu sehen, ein Erfolg, mögen die Leute. Aber wie empfinden Sie das gerade so aus der Schauspielersicht? Ist das interessant?
    Liefers: Wie immer: durchwachsen. Also ich habe nicht den Eindruck, dass es bergab geht oder bergauf. Es wird ja im Wechsel von ein paar Jahren alles beerdigt und dann doch wieder exhumiert. Und dann ist es doch noch am Leben. Und im Moment? Gerade ist Bully Herbig mit seinem Bullyparaden-Film, hat grad die 1,5 Millionen geknackt, also …
    Fischer: Aber "Knockin'" war so was anderes, ne? War so ein bisschen ein kleinerer, feinerer Film. Also das war so eine Aufbruchzeit damals für sowas, fand ich, Tom Tykwer kam und so.
    Liefers: Es hängt immer sehr stark mit den Menschen zusammen, die es machen.
    Fischer: Richtig.
    Liefers: Und damals war Til Schweiger schon ein bekannter und erfolgreicher Schauspieler und hat sich entschlossen, selber Filme zu produzieren. Und das war der erste, den er selbst gemacht hat. Und dieser, ich sage mal, dieser Spirit – oder dieser Unternehmergeist - gleichzeitig mit diesem Traum vom Kino zusammen, das hat zu dem Film geführt, den ich bis heute, tatsächlich, da stimme ich Ihnen zu, auch mit zu den besten zähle, die er je gemacht hat.
    Ein Tatort-Kinofilm aus Münster
    Fischer: Richtig, genau, finde ich auch. A propos, letzte Frage: Kommt er noch, der Tatort-Kinofilm aus Münster? Oder ist das immer noch im Planungsstadium? Man liest immer wieder was, aber nie konkret.
    Liefers: Ja, ich glaube, das ist im Moment, würde ich sagen, ist das eine von diesen Ideen und auch Träumen oder Vorstellungen gewesen, die nicht zustandekommen. Die gibt es ja auch. Und trotzdem: an sich schön. Aber ich glaube, dass wir eine andere Möglichkeit finden werden. Und wir drehen ja jedes Jahr zwei Münster-Tatorte, zwei neue – und es soll dann in einem Jahr einen dritten geben, wo man sozusagen den Aufwand mal ein bisschen erhöht und, ich sage mal, so eine Hybridversion macht - aber das wird im Fernsehen laufen, denke ich.
    Fischer: Na klar. Jan Josef Liefers und Radio Doria. Das neue Album heißt "2 Seiten", es ist auch schon raus, kann man schon kaufen. Konzerte dazu gibt es ab Oktober einige und dann nächstes Jahr?
    Liefers: Die richtige Tour ist im März im nächsten Jahr.
    Fischer: Und, wie gesagt, im Kino sieht man ihn gerade noch mit "Das Pubertier". Vielen Dank für den Besuch bei Corso und viel Erfolg natürlich mit all diesen Projekten.
    Liefers: Sehr gerne, vielen Dank. Jo, dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.