Freitag, 19. April 2024

Archiv

Jan St. Werner
Klänge ohne Anfang und Ende

Der Elektromusiker Jan St. Werner erschafft mit seinem neuen Album "Miscontinuum" schwindelerregende Höreffekte. Er selbst beschreibt es als elektronische Goth-Oper. Dabei fühlt sich der Hörer, als ob er außerhalb der Zeit stünde.

Von Raphael Smarzoch | 22.01.2015
    Jan Werner (r) und Andi Toma von Mouse on Mars in Köln (Bild von 2001)
    Jan St. Werner (r) ist vor allem für seine Arbeiten als Mouse on Mars gemeinsam mit Andi Thoma bekannt. (Imago / Sepp Spiegl)
    "Die zwei Begriffe Goth und Oper, das sind natürlich auch so Klischeebegriffe, mit denen ich da spiele. Das ist einerseits nicht wirklich ernst gemeint, andererseits ist es auch nicht ironisch oder sarkastisch, es sind einfach so weit entfernte, große Klischees und Genres, die da so in der Ferne winken, und ich versuche mich an denen zu orientieren, sodass ich möglichst nicht auf sie auffahre oder aufpralle."
    Bereits der Titel des neuen Solo-Albums - "Miscontinuum" – macht deutlich: Jan Werner möchte eindeutige musikalische Zuordnungen vermeiden. Im Vordergrund steht das Experimentieren mit dem Unscharfen und Psychedelischen. Nichts ist so wie es zu sein scheint. Werner taucht ein in düstere Klangfarben, die allerdings nichts zu tun haben mit der schwarzen Romantik der Gothic-Kultur. Aber genauso wenig mit Form und Struktur traditioneller Opern.
    "Es ist bei Miscontinuum so, dass der Gesang keine Texte abbildet oder vermittelt, der Gesang ist selbst Klang und fügt sich wiederum in die Musik ein. Es ist so ein Wechselspiel zwischen den instrumentalen Elementen und den stimmlichen, den vokalen. Die eigentliche Geschichte, denn Oper ist ja auch immer eine Geschichte, eine Narration, die findet bei Miscontinuum zwischen den Musikstücken statt.
    "I switch again. Me as a child. My temple pressed against the cool window glass. Thrilling. All steamed up. Eyes closed. On a journey which for me goes on forever..."
    Mit seiner Musik trifft Jan Werner den Zeitgeist
    Eine schleichende Dramatik entfaltet sich aus diesen narrativen Passagen. Der Erzähler schildert sein Leben in kurzen biografischen Schnipseln. Mal ist er Kind, dann scheint er kurz vor seinem Tod zu stehen, um sich im nächsten Augenblick an einem ganz anderen Ort wiederzufinden. Er reist durch die Zeit, beeinflusst Vergangenes und blickt in die Zukunft, verwebt Eindrücke aus unterschiedlichen Lebensabschnitten. Die Zeit scheint aus den Fugen geraten zu sein.
    "Die Musik ist sehr abstrakt gedacht, sie vermittelt auf ihre eigene abstrakte Weise auch die Idee dieser ganzen Story von Miscontinuum, in der es eben darum geht, dass Zeit nicht wahrgenommen wird als lineare, horizontale Bewegung, keine Hierarchie, die gelesen wird von links nach rechts und Ereignisse ordnet."
    Jan Werner setzt elektronische Techniken ein, mit denen Klänge gestreckt und gegeneinander verschoben werden können. Das führt zu schwindelerregenden Höreffekten, die durch die rhythmischen Impulse der Musik noch verstärkt werden. So vermischen sich unterschiedliche Ereignisse zur selben Zeit, um im nächsten Augenblick wieder auseinanderzudriften. Bald fühlt sich der Hörer wie der Erzähler: als ob er außerhalb der Zeit stünde. Die Musik scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben. Sie könnte ewig weitergehen oder im nächsten Augenblick bereits verklungen sein.
    Im Grunde spiegelt Werner mit seiner Oper ein Phänomen, das wir auch im digitalen Alltag erleben. Im Internet verlieren zeitliche Zusammenhänge an Bedeutung. Man navigiert wie selbstverständlich durch unterschiedliche Zeitzonen, lässt sich treiben und verliert sich im digitalen Informationsmeer, das von Tag zu Tag größer wird. Es zählt nur noch der Augenblick – die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Jan Werners Miscontinuum ist ein strenges elektronisches Experiment, das Elemente der Minimal Music mit denen des Rave verbindet und dabei durchaus eingängig klingt. Und es ist – beabsichtigt oder nicht – ein treffender Soundtrack zum digitalen Zeitgeist.