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Japan Syndrome
Kunst und Politik nach dem Atom-GAU von Fukushima

Zehn Tage lang geht das Festival Japan Syndrome der Frage nach, wie sich die japanische Gesellschaft nach Tsunami und Fukushima verändert hat. Im Berliner HAU gibt es Theaterstücke, Filme und Diskussionen zum Thema. Beeindruckender als das Theater zeigen sich im Rahmen des kleinen Festivals durchgängig die Installationen.

Von Eberhard Spreng | 28.05.2014
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    Der GAU in Fukushima hat die japanische Gesellschaft verändert. (picture alliance / dpa)
    Zwölf Monitore auf Stelen. Jugendliche antworten auf jeweils sechsundzwanzig Fragen: Was sie sich wünschen etwa, oder wohin sie gerne gehen würden. Mit seinem "Referendum Project" will Akira Takayama der Frage nachgehen, wie sich so etwas wie ein politischer Wille überhaupt konstruieren ließe. In den Wochen nach der Katastrophe in Fukushima hatte ihn die völlig intransparente Situation der japanischen Politik, das Gefühl eines Machtvakuums erschüttert. Er fuhr insbesondere die Ostküste der Insel entlang und sammelte über mehrere Jahre insgesamt .1000 Interviews, von denen er in Berlin 54 präsentiert.
    "Ich wollte Mittelstufenschülern eine Stimme verleihen, die man sonst nicht hört. Ich verstehe 'Referendum Project' auch wie eine Archiv-Arbeit. Es geht um die verquere Geschichte der japanischen Moderne die Frage, ob sich das heutige Japan hinter den Stimmen der Jugendlichen ahnen lässt."
    Im oberen Foyer des Hebbeltheaters zeigt eine Installation eine Regalwand voller Plastikflachen. Sie stehen, in Zweierreihen, gefüllt mit Wasser. Der Lehrer einer Grundschule in Fukushima hatte herausgefunden, dass so, die in seine Schule einfallende Strahlung um die Hälfte verringert werden kann. Während Behörden weitgehend untätig blieben, sammelten Lehrer Schüler und Eltern rechteckige Plastikflaschen, befüllten sie und errichteten so eine improvisierte Strahlenschutzwand.
    Machtlosigkeit und Überlebenswillen
    Ein Dokument des Überlebenswillens ist Hikaru Fujiis Film "Project Fukushima!", eine von zwei Langzeitbeobachtungen des Filmemachers, die das HAU im Rahmen seines Filmprogramms präsentiert. Bewaffnet mit diversen provisorischen Perkussionsinstrumenten spielt ein riesiges Volksorchester inmitten des Publikums des "Festival Fukishima" vom August 2011. Künstler und Musiker experimentierten hier mit neuen Formen der Verbindung von Kunst, Politik und Sozialarbeit. Ein gigantisches Tuch wurde aus Stoffresten zusammengenäht und für das Festival über dem verstrahlten Rasen ausgebreitet; zugleich naiv und bildmächtig zeigen sich hier heroische Machtlosigkeit und Überlebenswillen.
    Einen metaphorischen Zugang zum Thema der Zerstörung sämtlicher Lebensvoraussetzungen versucht Toshiki Okada in "Current Location". Sieben junge Frauen sitzen auf kurzen Schulbänken, staken verlegen über das Spielfeld und raunen von einem Fluch, das über ihrem Dorf liegen soll. Eine unheilvolle Wolke deute das Ende an. In dieser Atmosphäre apokalyptischer Verheißungen geraten die Akteurinnen in Streit über die Stichhaltigkeit der Visionen. Okada untersucht wie in einem Mikrokosmos die japanische Gesellschaft und ihre Konflikte.
    Vollends auf leere Handreichungen und alltägliche Rituale reduziert sich das Geschehen in Takuya Murakawas "Zeitgeber", in dem sich ein Krankenpfleger mit einem Schwerbehinderte nur verständigen kann, indem er einzelne Silben spricht und dabei auf die Augen seines Patienten achtet. Silbe für Silbe setzen sich so die Worte zusammen, die für die Wünsche des Patienten stehen. Die Besonderheit der Aufführung: Eine junge Dame aus dem Publikum musste sich zu Beginn freiwillig für die Rolle des Schwerbehinderten bereit finden.
    Schleichende Veränderungen im Alltag
    Beeindruckender als das Theater zeigen sich im Rahmen des kleinen HAU-Festivals durchgängig die Installationen: Das Titelgebende "Japan Syndrome – Berlin Version #3" empfängt den Zuschauer im HAU 2 mit einem dunklen, in Kurven geführten Gang, dessen Wände von zahllosen herabhängenden Kunststoffbannern gesäumt werden. Jede enthält jeweils ein Datum und den Ort eines Atombombentests, sowie das Land, das ihn durchführte. So verging im Jahr 1962 kaum ein Tag ohne eine atomare Explosion. Plötzlich begreift man, dass der Atomkrieg, von dem immer nur als Drohung, als Abschreckung die Rede war, in einer anderen Form über Jahrzehnte tatsächlich stattgefunden hat und weiter stattfindet. Davon eingefasst, drei tief liegende Videoflächen, auf denen in theatralen Re-enactments typische Szenen aus dem Japan der Zeit nach dem März 2011 zu sehen sind: Gespräche über die schleichende Veränderungen im Alltag in der Folge von Fukushima, Gespräche über das Fortschreiten der Ungenießbarkeit, Unerreichbarkeit, Unbewohnbarkeit.
    In jeder Beziehung deprimierend war eine Diskussion unter dem Titel "Ende der Komfortzone? Kunst und Politik nach Fukushima". Die geladenen japanischen Festivaldirektorinnen berichteten von einem Klima der Einschüchterung, mit dem öffentliche Stellen versuchen, die kulturelle Auseinandersetzung mit den Folgen der Katastrophe zu unterbinden. Zensur? Nein! Aber ein offener Unwillen, eine Atom-Debatte aufkommen zu lassen. So scheint Japan in einer doppelten Katastrophe gefangen: den ungelösten atomaren Folgen von 3/11 und der nicht zu überwindenden politisch-gesellschaftlichen Verhaftung in einer mörderischen Technologie.