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Je früher, desto billiger

Bildungsforscher wissen längst: Wer Kindern in den ersten Jahren bildet, hilft ihnen am effektivsten. Doch die Realität sieht oft anders aus: Zu wenige Erzieherinnen und Erzieher müssen sich um zu viele Kinder kümmern. Zusätzlich werden Kindergärten mit Bildungsplänen konfrontiert, die sich mit der vorhandenen Zeit und dem vorhandenen Personal nicht umsetzen lassen.

Von Sandra Pfister |
    "Die Kinder werden unterfordert, massiv unterfordert. Gucken Sie sich mal an, was unter den Handtuchhaltern immer ist, da ist der Traktor, da singen die Kinder einfache Abzählreime und so weiter. Dabei findet das wichtigste und größte Hirnwachstum bei den Drei- bis Sechsjährigen statt. Und in der Zeit unterfordern wir die Kinder so. Die müssen Bach hören, und Kandinsky sehen, sich an die komplexen Vorstellungswelten gewöhnen, das wollen Kinder, das können Kinder, aber wir haben unsere Kindergärtnerinnen zu wenig darauf vorbereitet."

    Der ehemalige brandenburgische Bildungsminister Steffen Reiche als Wortführer einer Bewegung, die fordert: Kinder sollen in der Kindertagesstätte nicht nur betreut werden; sie sollen gebildet werden. Das allerdings ist hierzulande noch ein relativ neuer Gedanke, denn bis vor einigen Jahrzehnten galten Kleinkinder noch als Gemüse, das man nur irgendwie großziehen muss.
    Bildung und Erziehung aller Vorschulkinder gelten in Deutschland aber als Privatsache - anders als in Frankreich und den skandinavischen Ländern. Eltern, die es sich leisten können, kaufen bislang private Bildung dazu: Babyyoga, Frühenglisch, musikalische Früherziehung. Ludwig Eckinger, Vorsitzender der auch für Erzieherinnen zuständigen Gewerkschaft GEW, fordert: Der Staat müsse dem boomenden privaten Bildungsmarkt für Kinder ab eins eine gute frühkindliche Bildung entgegensetzen.

    Deshalb gehört auf Merkels Denkzettel für den Bildungsgipfel:

    "Wir fordern politisch ganz eindeutig, dass der Elementarbereich Bildungsbereich wird, und zwar wirklich Bildungsbereich, und nicht Betreuungs- und Sozialbereich, und das Zweite politisch Wichtige ist, tatsächlich die Professionalisierung der Personen, die tatsächlich in diesem Kindergarten arbeiten."

    Auch der Betreuungsschlüssel muss besser werden. Auf fünf Kinder unter drei Jahren sollten zwei Erzieherinnen kommen. Der Psychologieprofessor Rainer Dollase von der Universität Bielefeld führt internationale Standards ins Feld.

    "Ich kann es mir ja ganz einfach machen, ich verschanze mich hinter der internationalen empirischen Bildungsforschung im Elementarbereich, und das allererste wäre natürlich eine Erzieher-Kind-Relation von 1:7. Und der zweite wesentliche Punkt wäre: situierte Lerngelegenheiten schaffen, das heißt die Kinder lernen im Alltagsspiel, lernen im Freispiel und als Erzieherin muss ich mich da einklinken."

    Die Praxis sieht allerdings oft anders aus: Erzieherinnen werden überschwemmt von Bildungsplänen und Bildungsdokumentationen. Wie die Kölner Kindergartenleiterin Natascha König wünschen sie sich mehr Zeit und mehr Personal.

    "Lust haben wir alle, das ist ganz toll, aber wann sollen wir das machen? Es ist so, dass viele Erzieher das zuhause machen, weil die Zeit vorne und hinten fehlt. Vor- und Nachbereitungszeit, schön und gut, aber das intensiv auszukosten, was wir da machen könnten, das ist ja wieder das Engagement, ich mache das heute Abend mal zuhause."

    Aber nicht nur an Zeit, auch an Qualifikation mangelt es. Für seine Arbeit, findet der Kölner Kindergarten-Leiter Hans Jochmann, brauche er eigentlich ein Studium.

    "Ich selbst habe noch nicht mal Abi, ich merke, dass das sehr wichtig wäre für meine Tätigkeit, bestimmte Grundlagen einfach auch erlernt zu haben. Das fehlt mir eben, das muss ich mir relativ mühsam aneignen."

    Erzieherinnen und Erzieher sollten studieren. Das aber kostet Geld. Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund:

    "Sie müssen einfach wissen, wenn Sie jemanden wissenschaftlich ausbilden, bedeutet das drei bis vier Besoldungsgruppen."

    Mittlerweile haben sich einige Studiengänge für Erzieherinnen etabliert. Auch bei der frühkindlichen Erziehung wird er Bildungsgipfel um das Thema Geld nicht herumkommen.