Das zweite Problem ist, dass man sich die Festredner nicht aussuchen kann und jeder von ihnen sich aus der Theorie des Meisters das herauspickt und weiterphantasiert, was dem eigenen Weltbild am besten entspricht.
Noch absurder wird es, wenn nun das Karlsruher ZKM zu Jean Baudrillards 75.Geburtstag ein Symposion veranstaltet mit dem Titel "Baudrillard und die Künste", und sich alsbald herausstellt, dass der so Geehrte gar keine Lust hat, über die Kunst zu reden. Die zentrale Podiumsdiskussion begann folgendermaßen:
Die Kunst – ich hätte das Thema nicht gewählt.....(lacht), weil ich nicht ästhetisch oder künstlerisch eingestellt bin, sondern eher, sagen wir, metaphysisch. Wenn man über Kunst spricht, kann man dieses Thema nicht so frontal angehen, man muß es eher von der Seite diskutieren...
Andererseits war das, was in Karlsruhe geschah, aber nur folgerichtig. Baudrillard, der alle herkömmlichen philosophischen Übereinkünfte aufgekündigt hat, inszenierte sich einfach als lebenden Widerspruch. Mit der Kunst habe er nichts am Hut, sie sei eine Art Unterabteilung im System der Dinge, selbstreferentiell wie der Rest der Gesellschaft auch.
Was Baudrillard freilich nicht hindert, selbst als Fotograph tätig zu werden: in der kleinen, vom Merve-Verlag ausgerichteten ZKM-Ausstellung sind einige seiner Bilder zu sehen, farbige Großformate, beiläufige Straßenszenen von kinderwagenschiebenden Passantinnen, immer in der ganz hohen Draufsicht aus Baudrillards Wohnung fotografiert, oder Studien winterlich vereister, mit Kratzspuren versehener Auto-Windschutzscheiben.
Schon Walter Benjamin hat uns erklärt, dass die Kamera eine andere Welt erzeugt als das Auge sie wahrnimmt. Baudrillard nun interessiert sich für die Illusion in der Fotografie: das Foto ist befreit von jeder Realität, Geruch, Geräusch, Bewegung, Handlung der realen Szene sind völlig eliminiert, das Bild bewahrt sozusagen noch das Negativ in sich auf, das das abgezogene Foto schon verraten hat.
Im Zeitalter der Digitalisierung sind das merkwürdige Einsichten, und sie stammen von einem Mann, der unsere Alltagswelt gern als ein riesiges mediales, fernsehtechnisches Fake entlarvt, in dem die Differenz zwischen Ding und Zeichen längst verschwunden ist. Woher wissen wir eigentlich, dass der Golfkrieg stattgefunden hat? Wir kennen ihn nur als Medienereignis. Was wissen wir über Schröders Agenda 2010? Sie ist uns nur als Tagesschau-Inszenierung bekannt. Die Wahrheit ist die Lüge und umgekehrt; die Strategien der Macht sind, so Baudrillards gegen Foucault gerichtete These, längst durch die Fatalität der Verführung abgelöst worden, in der sich die Dinge gegenseitig auslöschen. Nicht der Kunde kauft die Ware, sondern die Ware sucht sich den Kunden aus. Das Objekt hat sich bedauerlicherweise an die Stelle des Subjekts gesetzt, und die Dinge spielen ihr eigenes Spiel.
Wer so argumentiert, kann natürlich auch mit der Gegenwartskunst nichts anfangen.
Diese homogene Umwelt, wo Bild und Realität verschmelzen... darin haben wir die Distanz des Urteils verloren, des Blicks, des Werts, die Distanz des Werturteils. Wir haben das verloren. Wir haben keine Umwertung aller Werte erlebt, sondern eine Ent-Wertung der Werte, auch der ästhetischen Werte. Ich meine, in der Gegenwartskunst kann ich unmöglich ein ästhetisches Urteil haben.
Also: ästhetische Werte kann es nicht mehr geben, weil alles ästhetisiert ist. Politik, Wirtschaft, Werbung, Sport, Mode. Es gibt keine Referenz mehr, keine Regeln, nur noch Definitionen. Oder Simulationen, wie bei Jeff Koons. Eine Badewanne ist dann Kunst, wenn sie vom Künstler zu Kunst definiert und in musealen Zusammenhängen präsentiert wird. Dann aber darf sie nicht mehr als Badewanne benutzt werden, sie muß unnütz sein. Im Umkehrschluß heißt das, dass es kein Publikum mehr gibt, sondern nur noch Künstler.
In diesen theoretischen Zusammenhängen ist es ein rührendes Zeichen von Zuneigung, wenn der Berliner Merve-Verleger Peter Gente seinem berühmten Autor nun eine Ausstellung im ZKM ausrichtet, eine schöne Bücherschau mit ein paar Monitoren, von denen der Meister zu uns predigt. Das berühmte Spiegel-Interview mit Baudrillard zum 11.September, in dem er den Massenmord als eine Art Implosion des westlichen Systems auffasst, habe ich allerdings vergeblich gesucht. Da hätte man sehen können, dass Baudrillards Denken immer ganz nah an der Obszönität entlangbalanciert.
Noch absurder wird es, wenn nun das Karlsruher ZKM zu Jean Baudrillards 75.Geburtstag ein Symposion veranstaltet mit dem Titel "Baudrillard und die Künste", und sich alsbald herausstellt, dass der so Geehrte gar keine Lust hat, über die Kunst zu reden. Die zentrale Podiumsdiskussion begann folgendermaßen:
Die Kunst – ich hätte das Thema nicht gewählt.....(lacht), weil ich nicht ästhetisch oder künstlerisch eingestellt bin, sondern eher, sagen wir, metaphysisch. Wenn man über Kunst spricht, kann man dieses Thema nicht so frontal angehen, man muß es eher von der Seite diskutieren...
Andererseits war das, was in Karlsruhe geschah, aber nur folgerichtig. Baudrillard, der alle herkömmlichen philosophischen Übereinkünfte aufgekündigt hat, inszenierte sich einfach als lebenden Widerspruch. Mit der Kunst habe er nichts am Hut, sie sei eine Art Unterabteilung im System der Dinge, selbstreferentiell wie der Rest der Gesellschaft auch.
Was Baudrillard freilich nicht hindert, selbst als Fotograph tätig zu werden: in der kleinen, vom Merve-Verlag ausgerichteten ZKM-Ausstellung sind einige seiner Bilder zu sehen, farbige Großformate, beiläufige Straßenszenen von kinderwagenschiebenden Passantinnen, immer in der ganz hohen Draufsicht aus Baudrillards Wohnung fotografiert, oder Studien winterlich vereister, mit Kratzspuren versehener Auto-Windschutzscheiben.
Schon Walter Benjamin hat uns erklärt, dass die Kamera eine andere Welt erzeugt als das Auge sie wahrnimmt. Baudrillard nun interessiert sich für die Illusion in der Fotografie: das Foto ist befreit von jeder Realität, Geruch, Geräusch, Bewegung, Handlung der realen Szene sind völlig eliminiert, das Bild bewahrt sozusagen noch das Negativ in sich auf, das das abgezogene Foto schon verraten hat.
Im Zeitalter der Digitalisierung sind das merkwürdige Einsichten, und sie stammen von einem Mann, der unsere Alltagswelt gern als ein riesiges mediales, fernsehtechnisches Fake entlarvt, in dem die Differenz zwischen Ding und Zeichen längst verschwunden ist. Woher wissen wir eigentlich, dass der Golfkrieg stattgefunden hat? Wir kennen ihn nur als Medienereignis. Was wissen wir über Schröders Agenda 2010? Sie ist uns nur als Tagesschau-Inszenierung bekannt. Die Wahrheit ist die Lüge und umgekehrt; die Strategien der Macht sind, so Baudrillards gegen Foucault gerichtete These, längst durch die Fatalität der Verführung abgelöst worden, in der sich die Dinge gegenseitig auslöschen. Nicht der Kunde kauft die Ware, sondern die Ware sucht sich den Kunden aus. Das Objekt hat sich bedauerlicherweise an die Stelle des Subjekts gesetzt, und die Dinge spielen ihr eigenes Spiel.
Wer so argumentiert, kann natürlich auch mit der Gegenwartskunst nichts anfangen.
Diese homogene Umwelt, wo Bild und Realität verschmelzen... darin haben wir die Distanz des Urteils verloren, des Blicks, des Werts, die Distanz des Werturteils. Wir haben das verloren. Wir haben keine Umwertung aller Werte erlebt, sondern eine Ent-Wertung der Werte, auch der ästhetischen Werte. Ich meine, in der Gegenwartskunst kann ich unmöglich ein ästhetisches Urteil haben.
Also: ästhetische Werte kann es nicht mehr geben, weil alles ästhetisiert ist. Politik, Wirtschaft, Werbung, Sport, Mode. Es gibt keine Referenz mehr, keine Regeln, nur noch Definitionen. Oder Simulationen, wie bei Jeff Koons. Eine Badewanne ist dann Kunst, wenn sie vom Künstler zu Kunst definiert und in musealen Zusammenhängen präsentiert wird. Dann aber darf sie nicht mehr als Badewanne benutzt werden, sie muß unnütz sein. Im Umkehrschluß heißt das, dass es kein Publikum mehr gibt, sondern nur noch Künstler.
In diesen theoretischen Zusammenhängen ist es ein rührendes Zeichen von Zuneigung, wenn der Berliner Merve-Verleger Peter Gente seinem berühmten Autor nun eine Ausstellung im ZKM ausrichtet, eine schöne Bücherschau mit ein paar Monitoren, von denen der Meister zu uns predigt. Das berühmte Spiegel-Interview mit Baudrillard zum 11.September, in dem er den Massenmord als eine Art Implosion des westlichen Systems auffasst, habe ich allerdings vergeblich gesucht. Da hätte man sehen können, dass Baudrillards Denken immer ganz nah an der Obszönität entlangbalanciert.