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Jean Xavier Lefèvre - Konzerte für Klarinette und Orchester

Virtuose Musik für Klarinette und Orchester abseits der ausgetretenen Pfade: Eduard Brunner und das Münchener Kammerorchester haben drei Klarinettenkonzerte von Jean Xavier Lefèvre eingespielt, einem acht Jahre nach Mozart geborenen Musiker aus Lausanne, der allerdings die längste Zeit seines Lebens in Paris verbrachte. Besonders interessant: das Münchener Kammerorchester wird hier geleitet vom "Feuerkopf" der Alte-Musik-Szene, dem Geiger und Ensemblechef von Musica Antiqua Köln, von Reinhard Goebel. * Musikbeispiel: Jean Xavier Lefèvre - 2. Satz: Adagio aus: Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 3 Tudor, das in Zürich ansässige Label, bei dem die vorliegenden Klarinettenkonzerte erschienen sind, weist natürlich darauf hin, dass es sich bei Jean Xavier Lefèvre um einen Schweizer Musiker handelt. In der Tat wurde er 1763 bei Lausanne geboren, zog allerdings schon im Knabenalter nach Paris, um bei Michel Yost, dem damals bekanntesten Klarinettisten Europas, in die Lehre zu gehen. Mit 15 erhält Lefèvre eine Anstellung im Musikkorps der königlichen französischen Garde. Aufsehen erregt er, als er mit 20 erstmals als Solist auftritt und im Rahmen der berühmten Pariser "Concerts spirituels" bei der Aufführung einer konzertanten Sinfonie von Francois Devienne mitwirkt. Das zieht weitere solistische Verpflichtungen nach sich: auch in der "Société de la Loge Olympique" und den "Concerts de la rue de Chésy" kann man ihn hören; 1790 steht er in London zum ersten Mal als Solist auf dem Podium. 25 Jahre lang hat er dann die Stelle eines ersten Klarinettisten im Orchester der Pariser Grand Opéra inne, ab 1795 unterrichtet er außerdem als einer der ersten Lehrer am neugegründeten Pariser Konservatorium, 30 Jahre lang, gibt in dieser Zeit eine Klarinetten-Schule heraus, die in etlichen Auflagen und Übersetzungen ins Deutsche und Russische zu einem Standard-Werk wird. Auch beim Komponisten Lefèvre stand die Klarinette im Mittelpunkt: neben kammermusikalischen Werken und verschiedenen Concertanten Sinfonien hinterließ er als Hauptwerke 6 Konzerte für Klarinette und Orchester. Auffallend ist seine Vorliebe für weite Sprünge in der Solostimme, die durch Triller und weitere Verzierungen noch zusätzlich erschwert werden - so forderte er sich selbst und seine heutigen Nachfolger am Instrument, die der Melodik erst unter Aufbietung erheblicher Virtuosität die nötige Leichtigkeit verleihen. * Musikbeispiel: Jean Xavier Lefèvre - 3. Satz: Polonaise aus: Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 4 Das waren Eduard Brunner und das Münchener Kammerorchester unter der Leitung von Reinhard Goebel mit dem dritten Satz, einer Polonaise, aus dem Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 4 B-Dur von Jean Xavier Lefèvre. Heimat des seit 1950 bestehenden, als eingetragener Verein organisierten Orchesters ist der Münchener Herkules-Saal, wo das Kammerorchester in jeder Spielzeit eine Abonnementsreihe veranstaltet. Darüber hinaus ist man mit etwa 70 Konzerten im Jahr weltweit auf den Konzertpodien vertreten, sei es im Rahmen von Internationalen Musikfestivals oder selbst organisierter Tourneen. Lange war der Name des Dirigenten Hans Stadlmair mit dem Orchester verbunden; seit 1995 ist Christoph Poppen der Künstlerische Leiter des Münchener Kammerorchesters. Seitdem hat sich das Tätigkeitsfeld noch deutlich erweitert, z.B. durch die konzertante Aufführung von Opern, durch Kinder- und Jugendkonzerte und verstärkte Schallplatten-Aktivitäten. Vor allem wurde das Profil geschärft: Nicht die Spezialisierung auf einen bestimmten Abschnitt der Musikgeschichte oder die Verwendung historischer Instrumente war das Ziel; Markenzeichen ist eher eine eigenwillige Programmatik unter den Stichworten "Tradition" und "Innovation": Regelmäßige Uraufführungen und die Präsentation zeitgenössischer Werke werden in konzeptionellen Zusammenhang mit klassischen Werken gestellt, um eine Balance zwischen Traditionspflege und dem Engagement für neue Musik herzustellen. Hilfreich ist dabei die direkte Zusammenarbeit mit Komponisten und das Engagement unterschiedlichster Solisten, und auch am Dirigentenpult stehen außer Christoph Poppen so unterschiedliche Musiker wie Heinz Holliger, Markus Stenz, Hans Zender oder - wie im vorliegenden Fall - Reinhard Goebel. Den kennt die Musikwelt spätestens seit 1978, als er nach und nach bei der DGG mit seinem Ensemble "Musica Antiqua Köln" maßstabsetzende Aufnahmen vor allem im Bereich der deutschen Musik des Barock veröffentlichte - in historischer Aufführungspraxis und auf den entsprechenden Instrumenten. Doch Goebels Karriere als geigender Konzertmeister seines Ensembles endete 1990 nach der Aufnahme von Bibers Rosenkranz-Sonaten abrupt durch eine Handlähmung: nach einigen Wochen des Überlegens entschied Goebel sich dafür, "sein" Instrument noch einmal, nun rechts haltend, neu zu erlernen und seinem Ensemble während der neuerlichen Lehrjahre dirigierend und leitend zur Verfügung zu stehen. David Stern beriet ihn dirigentisch, Christiane Hutcap - eine Assistentin Igor Ozims - gab dem erwachsenen Anfänger Geigenstunden, so dass Goebel bald darauf sein Ensemble wieder vom ersten Pult aus leitete - mit der Geige in der rechten, dem Bogen in der linken Hand. Seit ein paar Jahren tritt Goebel auch verstärkt als Dirigent anderer Orchester in Erscheinung. Neben Projekten mit Originalklang-Ensembles wie dem New York Collegium gilt sein besonderes Interesse der Arbeit mit den sogenannten "modernen" Orchestern. Mit diesen das Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts neu zu erarbeiten und so z.B. Bach und seine Zeitgenossen zurück in die Spielpläne dieser Ensembles zu bringen, ist ihm eine interessante Herausforderung. Aber auch hier reizt ihn vor allem die erstmalige Sichtung und Realisierung eher unbekannter Werke am Rande der Großmeister. Den "bekannten" Mozart und Beethoven in Beziehung setzen zu unbekannteren eigenen oder Werken von Zeitgenossen, dies ist sein Ziel. Was Telemann und Heinichen für Bach sind, nämlich notwendiges Korrelat, das sind Komponisten wie Vogler, Gluck, Salieri und Cannabich für Mozart. Für Goebel sind deren Werke gerade in unserer Zeit, die nicht mehr ungebrochen an "Größe" glaubt, notwendige Zutat zum wirklichen Verständnis des musikalischen Erbes. In diesem Sinne ist auch die vorliegende Einspielung lebhaft zu begrüßen, zeigt sie doch, mit welch großer Virtuosität und vielfältigem eigenen musikalischen Ausdruck das damals ja noch relativ junge Instrument Klarinette von einem kenntnisreichen Komponisten wie Lefèvre eingesetzt werden konnte. * Musikbeispiel: Jean Xavier Lefèvre - 1. Satz: Allegro (Ausschnitt) aus: Konzert für Klarinette und Orchester Nr. 6 Die Neue Platte – heute mit drei der insgesamt 6 Klarinettenkonzerte, die Jean Xavier Lefèvre Ende des 18. / Anfang des 19. Jahrhunderts komponierte. Solist war Eduard Brunner, er wurde begleitet vom Münchener Kammerorchester unter der Leitung von Reinhard Goebel. Die CD entstand in Zusammenarbeit zwischen dem Bayerischen Rundfunk München und der Schweizer Plattenfirma Tudor.

Ludwig Rink |