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Jede Menge Situationskomik

Die Coen-Brüder haben in Hollywood mit einer neuen Art des Erzählkinos Zeichen gesetzt. Der Jüngere, Ethan Coen, hat aber auch erkannt, dass man absurde Geschichten prima auf der Bühne erzählen kann. "Offices" heißt das neue Stück, das gerade im Atlantic Theater in New York läuft. In einer kafkaesken Version zeichnet er ein erkaltetes, sinnentleertes und unendlich müdes Amerika.

Von Andreas Robertz |
    Als Ethan Coen letztes Jahr mit "Almost an Evening" sein Debüt als Dramatiker gab, wurde die Serie von kleinen Szenen des bekannten Filmemachers schnell zum Geheimtipp unter Manhattans Theatergängern. Man wollte sehen, ob der Mann, der zusammen mit seinem älteren Bruder Joel das Genre des Film Noir mit Filmen wie "Fargo”, "O Brother, Where Art Thou?" oder zuletzt, Oscar gekrönt, "No Country for Old Men” für Hollywood neu definiert hat, auch im Theater Genregrenzen sprengt.

    Sein neues Stück "Offices", drei Einakter in der Regie von Neil Pepe, eröffnet nun mit einem 11-köpfigen Ensemble im großen Haus des Atlantic Theaters. Angeführt wird das Ensmble von F. Murray Abraham, der vielen als Salieri in "Amadeus" oder Inquisitor Bernardo Gui in " Der Name der Rose" in Erinnerung geblieben sein dürfte. Aber "Offices" lebt weder von glänzenden Charakterprofilen noch durch die Mischung aus morbider Komik, absurden Details und exzessiver Gewalt, die die Filme der Coen-Brüder auszeichnet. Der Abend besticht vielmehr durch seinen trockenen Humor, einen reduzierten Charlie-Brown-Stil und durch in Gedanken verlorene Gestalten, die oft einfach gar nichts sagen.

    Im ersten Stück "Peer Review" sehen wir einen Büroangestellten, der aus Angst gefeuert zu werden, eine Verschwörungstheorie über seine Kollegen und die ungreifbare Institution entwickelt, die dazu führt, dass er entlassen wird. "Homeland Security" handelt von einem hohen Regierungsbeamten, der seine Aktentasche mit wichtigen Geheimdokumenten verlegt hat. Aus Angst und Ohnmacht beginnt er jeden in seiner Familie und am Arbeitsplatz zu tyrannisieren. Als die Tasche plötzlich wieder in seinem Büro auftaucht und er misstrauisch ein offenes Fenster untersucht, fällt er heraus und stürzt zu Tode.

    Und in "Struggle Session" erleben wir den absurden Werdegang eines gerade entlassenen Büroangestellten, der, nachdem dessen Abteilungsleiter wenig später ebenfalls entlassen wird, als neuer Abteilungsleiter wieder angestellt wird. Vor lauter Glück bietet er einem Bettler, der ihn getröstet hatte, einen Job in seiner Abteilung an, muss ihn dann aber wieder wegen Inkompetenz entlassen. Weil er es nicht ertragen kann, jemanden gefeuert zu haben, kündigt er kurz darauf, während der Bettler zu dem Entschluss kommt, dass das Büroleben nichts für ihn ist.

    In allen drei Stücken bieten sowohl die Gedanken- und Gefühllosigkeit als auch die übersteigerte Panik der Protagonisten jede Menge Situationskomik. Ethan Coen interessiert sich in "Offices" dabei nicht so sehr für die ausgefeilte Machtpsychologie des Systems "Büro", sondern für die absurde Tragik völlig unschuldig wirkender Menschen, die in diesem System leben. Sie alle haben die Illusion, sie würden die Situation kontrollieren, sind dabei aber Gefangene einer erschreckenden Normalität. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der Massenentlassungen im Land - allein in Lower Manhattan verloren im letzten halben Jahr mehr als 60.000 Bank- und Versicherungsangestellte ihren Job - trifft Ethan Coen mit seinen unfertig wirkenden Szenenabfolgen die Gefühle der Ohnmacht, Panik und der Bedeutungslosigkeit, die viele der vor kurzem noch gut Verdienenden ergriffen haben. Allerdings auch die absurde Komik, die diese Situation oft provoziert. Zum Beispiel finden in New York seit geraumer Zeit äußerst beliebte "Pink Slip Parties" statt, in denen der gerade gefeuerte Hedgefondbanker mit dem gerade gefeuerten Anlageberater zu sehr günstigen Preisen ihr letztes Geld vertrinken können - "pink slip" ist in Amerika der umgangssprachliche Ausdruck für die Entlassungspapiere, die anscheinend immer in einem rosafarbenen Umschlag kommen.

    In einer Mischung aus "Brasil" und "Warten auf Godot" beschreibt Ethan Coen seine kafkaeske Version eines erkalteten, sinnentleerten und unendlich müden Amerikas, das so gar nichts mit der Euphorie der Obama-Kampagnen zu tun hat. Und die leicht hysterische Country Musik während der Szenenübergänge schreit einem entgegen, dass es eigentlich doch schon immer so war - in Amerika.