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"Jeder, nur nicht England“

Je nachdem, ob in Schottland, Wales, Nordirland oder England, kann man sich im Vereinigten Königreich furchtbar in die Nesseln setzen, wenn man sich über ein Tor von David Beckham freut. Denn jede der vier Nationalitäten hat ihre eigene Nationalmannschaft. Und die nicht für die Weltmeisterschaft in Deutschland qualifizierten Schotten sind zum Beispiel gar nicht gut auf die Engländer zu sprechen. Martin Zagatta berichtet.

    Enttäuschung, dass der Ball nicht ins Tor gegangen ist - und zwar in das der Engländer. Die meisten Fußballfans, die die WM im schottischen Glasgow verfolgen, machen keinen Hehl daraus, dass sie ihren südlichen Nachbarn nicht gerade die Daumen drücken.

    "Ich hoffe, die verlieren - ich will nicht, dass die gewinnen."

    "Nein, ich habe die Engländer noch nie leiden können."

    Kurze, aber eindeutige Antworten auf eine Frage, die fast schon als Zumutung empfunden wird:

    "Ich bin doch Schotte, ich kann England nicht ausstehen."

    In nicht wenigen schottischen Pubs gibt es Freibier bei einem Tor gegen die ungeliebten Nachbarn. Das Motto "Jeder, nur nicht England", das sie "ABE" nennen - "Anyone but England", hat hier schon Tradition. Die Rivalität auf der Fußballinsel scheint aber noch angeheizt zu werden, dadurch dass sich Schottland gar nicht erst qualifiziert hat für diese WM. Die Trikots der jeweiligen England-Gegner gehen weg wie warme Semmeln, berichten Händler. Dem zugereisten Alan Robinson, der es gewagte hatte, die rotweiße England-Flagge zu hissen, wurden die Fenster eingeschlagen in seinem Haus in der Nähe von Glasgow. Und auch andere Engländer, die schon länger in Schottland leben, haben der BBC ihr Leid geklagt.

    Richtig schockierend sei das – wie bei jedem England-Spiel Stimmung gemacht werde gegen die Engländer. Das sei wohl witzig gemeint, sagt Geoff aus Sheffield, aber er sei dabei in einem Pub auch schon derart beleidigt worden, dass er die Nase voll gehabt habe, dass er vorzeitig gegangen ist.

    Eine 60-köpfige Reisegruppe aus London hat ihre schon gebuchte Schottlandreise jetzt abgesagt, aus Protest dagegen, dass auch Jack McConnell, der Chef der schottischen Regionalregierung, erklärt hat, die englische Mannschaft nicht zu unterstützen. Da gehe es um Fußball, nicht um Politik, verteidigt sich der Labour-Politiker.

    Für Unabhängigkeitsbestrebungen, auf die Subventionen aus London zu verzichten, gibt es bisher keine Mehrheit im Norden Großbritanniens. In der erregten Fußballdebatte jetzt wird aber auch schon mal an Ereignisse wie 1296 erinnert, an die Annektierung Schottlands durch den englischen König Edward I. Tony Blairs Schatzkanzler Gordon Brown, selbst ein Schotte, sah sich schon zu der Feststellung veranlasst, dass die Zeiten des Kampfes gegen England längst vorbei seien. Seinem Appell, hinter der einzigen britischen Mannschaft bei dieser WM zu stehen, ist allerdings wenig Erfolg beschieden. "Unsere Herzen", so sagt der schottische Tennisprofi Andy Murray, "schlagen für jede Mannschaft, die gerade gegen England spielt."

    Ein vielstimmiges Nein. Die meisten Fans in Glasgow bleiben dabei, die englische Mannschaft nicht zu mögen, auch wenn das inzwischen zum Politikum geworden ist. Selbst die Kommission für Rassengleichheit hat sich zu schon zu Wort gemeldet und warnt davor, Engländer zu diskriminieren. Das könne sogar eine Sünde sein, mahnt Pater Willie McFadden vom schottischen Priesterseminar, und die Schulbehörde droht mit Unterrichtsausschluss, sollte der Schottennachwuchs englische Mitschüler beleidigen. Zeit vielleicht - so wird im "Daily Telegraph gespottet" - höchste Zeit, UNO-Friedenstruppen nach Schottland zu schicken.