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Jeder Samen zählt

In Niedersachsen geht derzeit eine besondere Ernte zu Ende, und selten war diese Ernte so wichtig wie in diesem Jahr. Förster haben Bucheckern und Eicheln gesammelt. Um die Schäden des Wintersturms "Kyrill" vom Januar dieses Jahres auszugleichen, wird jeder Samen gebraucht.

Von Wolfgang Nitschke |
    Der Nebel hängt zäh in den Bäumen nördlich von Hann Münden im Kreis Göttingen. Von den letzten bunten Blättern der Buchen und Eichen tropft der kondensierte Nebel zu Boden. In diesem Revier in den Bergen des Bramwaldes, die Weser ist nicht weit, arbeitet Förster Klaus Kornau. Unter einer rund 160 Jahre alten Eiche hat er ein etwa fünf mal zehn Meter großes feinmaschiges Netz ausgelegt. Um die Samen zu ernten, muss Förster Kornau nur warten - die Eicheln fallen von allein herunter.

    "Ja, es liegen eigentlich schon gar nicht mehr soviel drauf. Wir haben das meiste schon abgeerntet. Hier sind noch ein paar. Es ist wie gesagt ein bisschen mühselig. Wir haben deswegen auch nur unter den Bäumen gesammelt, die also richtig gut Behang haben. Vorher haben wir mit dem Fernglas geguckt, was hängt denn drauf? Danach eben auch die Netze gelegt, vor allen Dingen eben auch bei der Buchecker, wo wir ja intensiv mit Netzen arbeiten."

    Förster Kornau nimmt ein paar Eicheln in die Hand.

    "An dieser kleinen Eichel sieht man wie so eine Art Schwanz rausguckt, das ist im Grunde schon der Keimling, der versucht, sich in den Boden zu bohren, damit er Kontakt mit Feuchtigkeit und mit Nährstoffen bekommt."

    Bis Ende Oktober, spätestens November bleiben die Netze liegen. Die Samen trennt dann eine Maschine von Blättern und kleinen Ästen, die ebenfalls auf die Netzen gefallen sind. In diesem Jahr tragen Eichen und Buchen in Südniedersachsen nur sehr wenig Samen. Dennoch wird gesammelt - auch auf kleinen Flächen. Schuld daran ist der Sturm "Kyrill," der im Januar über Niedersachsen fegte, sagt Förster Kornau:

    "In einem Normaljahr, wenn wir nicht diesen Schaden durch den fürchterlichen Sturm 'Kyrill' gehabt hätten, hätten wir wahrscheinlich gar nicht gesammelt, weil die Menge, die wir aufgefangen haben, eigentlich zu gering ist, um intensiv in die Saatguternte zu gehen."

    Der Orkan zerstörte am 19. Januar zwischen Nordsee und Göttingen mehr als 2000 Hektar Wald. Allein im Forstamt Hann Münden waren es 400 Hektar. Rund 260.000 Kubikmeter Holz fielen um, ein wirtschaftlicher Schaden von 15 Millionen Euro. Oft waren Fichtenflächen auf exponierten Hochlagen betroffen. Sie sollen jetzt vor allem mit Buchen und Eichen aufgeforstet werden, sagt Förster Kornau.

    "Und dafür brauchen wir eben ganz dringend Saatgut. Jede Eichel, jede Buchecker ist für uns Gold wert, weil sie eben in die Baumschulen geht, ausgesät wird und dann per Vertrag zu uns zurückkommt."

    Die Baumschulen liefern ins Forstamt Hann Münden ausschließlich Bäumchen, die aus Mündener Saatgut gezogen wurden, oder aus Saatgut, das aus der Umgebung stammt. Das bedeutet: Das Forstamt Hann Münden kann nicht ohne Weiteres auf Saatgut aus anderen Gegenden zurückgreifen, um schneller die Sturmschäden zu beheben.

    "Ich kann nicht beispielsweise ein Saatgut, das aus den Hochlagen des Harzes stammt, in den Tieflagen Niedersachsens anbringen, da würde was schief laufen; genau umgekehrt, die wären also für die harten Klimalagen des Harzes gar nicht in der Lage, dort einen vernünftigen Bestand zu bringen."

    In diesem Jahr hat das Forstamt Hann Münden im Süden Niedersachsens 700 Kilo Eicheln und etwas mehr als 100 Kilo Bucheckern gesammelt. Zum Vergleich: In einem Spitzenjahr ernten die Förster rund 20-mal mehr Bucheckern. Nach Kyrill zählt aber jedes Kilo. Aus einem Kilogramm Bucheckern wachsen 150.000 neue Buchenpflanzen, sagt Kornau.

    Die Bereitstellung des richtigen Saat- und Pflanzgutes organisiert in den niedersächsischen Landesforsten die Forstsaatgut-Beratungsstelle im Forstamt Oerrel in der Lüneburger Heide. Dorthin bringt auch Förster Kornau die gesammelten Samen aus Hann Münden. Je nach Sorte werden die Samen dort gekühlt gelagert, in Sand gebettet oder feucht gehalten. Eicheln zum Beispiel werden zunächst von Parasiten befreit und in 41 Grad warmen Wasser gebadet, um den Schwarzfäulepilz abzutöten. Die Eicheln benötigen außerdem einen Kältereiz, um im Frühjahr keimen zu können. Sie überwintern daher bei minus drei Grad im Kühlhaus, damit sie im kommenden Jahr in den Baumschulen ausgesetzt werden können. Nach zwei bis drei Jahren werden die jungen Bäume dann wieder in die Wälder gebracht, woher sie gekommen sind.

    Bis die Lücken in den niedersächsischen Wäldern nach Januar-Sturm "Kyrill" wieder geschlossen sind, werden noch Jahre vergehen - viele Jahre. Die Förster müssen die Flächen, die jetzt aufgeforstet werden, rund 150 Jahre pflegen, bis sie die Bäume wirtschaftlich nutzen können.