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Jeder sei sein eigener Stromproduzent

Technik. – Strom fließt überall – zumindest könnte er überall dort fließen, wo sich etwas bewegt oder erwärmt. Ein neues Graduiertenkolleg des Instituts für Mikrosystemtechnik an der Universität Freiburg will diese zwar kleinen, aber doch nutzbaren Energiequellen erschließen. In über 20 Forschungsprojekten entwickeln die Forscher technische Mikrosysteme, mit denen sich immer noch mehr Energiequellen nutzen lassen.

Von Klaus Herbst | 05.04.2007
    Das Stromkraftwerk in der Schuhsohle ist ja schon ein alter Hut. Seit fast einem Jahr können sich Jogger einen Miniatur-Schrittzähler mit eingebautem Funksensor kaufen. Dieser sendet die Zahl der Schritte an ein Display am Gürtel. Aber die immer noch eingeschweißte Batterie ist vollkommen überflüssig, sagt Professor Peter Woias. Die Ingenieure am Institut für Mikrosystemtechnik nutzen die Energie, die bei jedem Schritt freigesetzt wird. Ein Generator mit Piezokeramik wandelt nun Bewegung in elektrische Energie um. Auch in Gebäuden wollen die Forscher der Universität Freiburg dieses Prinzip einsetzen. Woias:

    "Wir haben in unseren Wohnungen Lichtschalter vielfach, die in der Regel heute so verdrahtet sind, dass von der Lampe, die geschaltet werden muss, ein dickes Kabel bis zum Lichtschalter führt, dort wieder zurück und wir letztlich durch den Schalterdruck einen Stromkreis schließen, der über die gesamte Distanz läuft. Jetzt ist heutzutage ohne weiteres möglich, aus der Energie Ihres Fingers auf dem Schalter, aus der Energie des Tastendrucks, genügend mechanische Energie in elektrische zu wandeln, um ein kurzes Funktelegramm abzusenden."

    Auch hier ist es vollkommen überflüssig, wertvolle elektrische Energie von außen zuzuführen. Der bloße Fingerdruck erzeugt mehrere Mikrowatt, also genug Strom für das Funktelegramm; außerdem entfallen lange, dicke Kabelstränge mit PVC-Ummantelung und mit ihnen die Energie, die bislang aufgewendet werden muss, um sie herzustellen, einzubauen und zu reparieren. Bis zu 50 Prozent der Kabel könnte man so einsparen. Woias:

    "Eine sehr prominente Anwendung ist die Reifendrucksensorik. Denkbar wäre, hier einen kleinen Generator zu installieren, der aus der Umdrehungsenergie des Reifens, aus Vibrationen, aus Beschleunigungswerten genügend mechanische Energie gewinnt, um einen kleinen Drucksensor mit angeschlossenem Funkmodul zu versorgen. Ich denke, dass wir hier sehr bald praktische Lösungen sehen werden."

    Zumal aus Sicherheitsgründen US-Gesetzgeber Reifendrucksensoren demnächst vorschreiben werden. Aber nicht nur am Autoreifen kommt es ständig zu starken Vibrationen, die sich durch Micro Energy Harvesting, durch das Sammeln von verwertbarer Kleinenergie, in elektrische Energie umwandeln lassen. Gewaltiger Stress sprich mechanischer Beanspruchung und Materialspannung entstehen auch an den tragenden Teilen von Flugzeugen – und Stress ist eine exquisite Energiequelle. Peter Woias:
    "Dann könnten dies zum Beispiel komplette Sensornetzwerke in Flugzeugtragflächen sein, die sich aus der Stressbelastung des Flugzeugflügels genug Energie erzeugen, um den jeweiligen Stresszustand zu melden. Es könnten in Fabrikationsanlagen Sensorsysteme sein, die Überlastung von Maschinen aus Schadensvibration detektieren. In Produktionsprozessen können wir aus Abwärme vielfältig genug Energie gewinnen, um Sensoren an ihrem jeweiligen Ort zu versorgen. Im Endeffekt ist Micro Energy Harvesting ein Baustein auf dem Weg zum allumfassenden Netz. In dem Moment, wo wir wirklich in der Lage sind, kleine Sensorsysteme an ihrem jeweiligen Ort mit Energie zu versorgen, können wir diese auch wesentlich flexibler verteilen."

    Die herkömmlichen Wärmesensoren an Zentralheizungen sind ebenso überflüssig wie das aufwendige Ablesen. Heizungswärme treibt Messsensoren an, und Funkmodule übertragen die Signale an ein Lesegerät – oder über Internet- oder Mobilfunkschnittstelle an einen externen Zentralrechner. Woias:

    "Die Herstellungsenergie für ein Kabel von einem Meter Länge, das ist ein sehr dünnes Kabel, würde ausreichen, um einen solchen Sensor typischerweise etwa 20 Jahre mit Energie zu versorgen. Das heißt wir stecken in Kabelverbindungen ein Mehrfaches der Energie, die wir dann eigentlich über diese Kabel auch führen. Und das ist in vielen Anwendungen sehr, sehr unökonomisch. Micro Energy Harvesting wird sicher nicht unser Energieproblem im Großen lösen, es erreicht aber mit Sicherheit die Lösung vieler Energieprobleme im Kleinen, dadurch dass wir Systeme haben, die völlig neue Eigenschaften haben. Die eben immer eingeschaltet sind, auch nach längerer Ruhepause sofort wieder aktiv sein können. Hier sind die eigentlichen Vorteile des Energy Harvesting, die letztlich zu einer sehr, sehr großen Kostenersparnis und sehr vielen neuen Eigenschaften von Systemen führen werden."

    Bis hin zu innovativen Anwendungen in der Medizin - wer sagt eigentlich, dass ein Herzschrittmacher einen Akku braucht? Eine Beschichtung auf dem Schrittmacher würde wie kleines Kraftwerk Strom aus dem reichlich vorhandenen Blutzucker generieren. Weitere Anwendungsbeispiele werden in den 21 Forschungsprojekten des Freiburger Graduiertenkollegs zusammengetragen.