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Jedes Jahr aufs Neue

Paläontologie. - In unserer Reihe "Schatzkammern der Wissenschaft" möchten wir Ihnen besondere Sammlungen an Exponaten vorstellen, die im alltäglichen Museumsbetrieb oft eher wenig beachtet werden, die aber bei näherer Betrachtung besonders spannend sind.

Von Michael Stang | 29.12.2008
    In der Karl-Güntherstrasse, in einem bürgerlichen Wohnviertel in Jena Ost. Clemens Pasda führt durch ein altes, robust gebautes Gebäude.

    "Das ist auch ein Bunker, war im 2. Weltkrieg hier in der entsprechenden Form genutzt. Das gehört jetzt der Universität Jena. Früher war hier die Sammlung für mittelalterliche Handschriftenkunde drin und das ist jetzt frisch renoviert zur Unterbringung der Sammlung Bilzingsleben."

    Der Umzug war Anfang Oktober. Nach fast 40 Jahren Ausgrabungen der archäologischen Fundstelle wurden sechs Tonnen Knochen und Steine vom 90 Kilometer entfernten Fundplatz Bilzingsleben im Kreis Sömmerda zur Friedrich-Schiller Universität nach Jena gebracht. Jetzt lagern die 350.000 bis 400.000 Jahre alten Fundstücke in Regalen. Die Sammlung bietet einen einmaligen Einblick in einstige mediterran-subkontinentale Bedingungen. Damals gab es in den Berg- und Hügelländern Nordthüringens und des Harzvorlandes Eichen-Buchsbaumwälder und Buchsbaum-Fliedergesellschaften. Zum Teil war es sogar wärmer als heute – dementsprechend vielfältig war die Fauna, die versteinert die Regale füllt, sagt der Professor für Urgeschichte.

    "Und das fängt an von großen Elefantenknochen, über Nashornknochen, wir haben Rinder hier drin, große und kleine Karnivoren – Fleischfresser: Bären, Wölfe - es sind Hirschknochen hier drin und das reicht dann bis hin zu kleinen Reptilienknochen, Amphibienreste und Mollusken, also verschiedene Schneckenformen sind hier drin und auch zum Beispiel Fischreste."

    1969 wurde die Fundstelle entdeckt und ihre Bedeutung für die Ur- und Frühgeschichte erkannt. Es handelt sich um eine Steinrinne, ein spornartiger Vorsprung einer Hochfläche, der von der Wipper umflossen wird, einem Nebenfluss der Unstrut. Seit fast 40 Jahren – mit nahtlosem Übergang der politischen Systeme – graben dort jedes Jahr Geologen, Paläontologen, Archäologen, Paläoökologen und Anthropologen.

    "Es ist also ein Referenzfundplatz für paläontologische Forschungen, also für Forschungen an Tierknochen, hat natürlich ein großes Potential für die Anthropologie, da auch Menschenknochen gefunden worden sind."

    Die reichhaltige Fauna soll nach Ansicht des früheres Ausgrabungsleiter die Existenzgrundlage des deutschen Homo erectus gewesen sein. Die Überreste dieses Frühmenschen sind jedoch rar: trotz intensiver Suche kamen nur einige Schädelbruchstücke zum Vorschein, zudem ein Teil eines Unterkiefers und neun Zähne. Die Hominidenfossilien liegen aber nicht in der Sammlung, sondern werden in Weimar und Halle verwahrt. Obschon nur wenige Knochen von Frühmenschen entdeckt wurden, sind ihre Spuren hingegen nicht zu übersehen.

    "Hier hat man ja Bilzingsleben als einen der wenigen bzw. sogar vielleicht den einzigen Fundplatz interpretiert, an dem ein Jagdlager, eine Station vorliegt mit über 100.000 an Steinartefakten mit einer weit reichenden Interpretation der Nutzung von Tieren und so weiter."

    Clemens Pasda führt durch Regalreihen. In den alten, aber stabilen Holzregalen liegen in Kästen geordnet oben die kleinen Knochen, die großen unten.

    "Also man hat jetzt hier sehr viele Biberknochen, die hervorragend aufgearbeitet sind, es gibt hier aufgearbeitete Elefantenknochen, zum Beispiel Elefantenmolaren hier. Man sieht also allein schon an einem Molar hier wie groß so ein Waldelefant in dieser Zeit gewesen sein muss."

    Der Elefantenzahn weist einen Durchmesser von 20 Zentimetern auf. Ein paar Regale ragen die versteinerten Reste von Hirschen hervor.

    ""Hier haben wir die verschiedenen Geweihe, also es gibt hunderte von Geweihen, die man in unterschiedlichen Bruchformen hier vorliegen hat."

    Diese verschiedenen Brüche an den Geweihe sollen in einem aktuellen Forschungsprojekt eine wichtige Frage beantworten: sind natürliche Umstände oder Menschen für die markanten Bruchspuren verantwortlich?

    Im Keller des "Bunkers" befindet sich das zweite Lager der Forschungsstelle Bilzingsleben. In einer Kammer sitzt der Student Clemens Pasda an einem Schreibtisch und mikroskopiert winzige Schnecken. Im Kelleraum dahinter erkennt man auf stabilen Metallregalen Kistenweise Steine.

    "So, und hier sind jetzt die gesamten Gesteine, auf der Seite die Nicht-Feuersteine, auf der gegenüber liegenden Seite die Feuersteine."

    Aber nicht nur die Masse der hier archivierten Fundstücke wird die Forscher noch lange beschäftigen. In den vergangenen 40 Jahren wurde gerade einmal ein Drittel der Fundstelle freigelegt, sagt Clemens Pasda zum Abschluss.

    "Potential hat das Areal sicher noch für X-Generationen an Wissenschaftlern. Da besteht nicht die Gefahr, dass da eine Autobahn drüber gebaut wird oder eine ICE-Trasse oder so was."
    Im Keller des Instituts füllen die Exponate den letzten verbliebenen Raum.
    Im Keller des Instituts füllen die Exponate den letzten verbliebenen Raum. (Stang)
    Clemens Pasda präsentiert seine Schätze.
    Clemens Pasda präsentiert seine Schätze. (Stang)