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Jelineks "Rein Gold" in Berlin
Wagner-Essay in Tönen

In der Inszenierung des Wagner-Essays von Elfriede Jelinek an der Berliner Staatsoper wird dem Besucher eine Art Ring-Revue mit vielen Anspielungen auf aktuelle Themen geboten. Da geht es um die Kapitalismusdiskussion und den NSU. Ein wirklich kritischer Impuls bleibt aber aus – die Unterhaltung des Publikums steht im Vordergrund.

Von Julia Spinola | 10.03.2014
    So viel an diesem langen, manchmal langatmigen Abend auch geredet und zerredet wird: Es bleibt die Musik, die in Nicolas Stemanns Opernbühnenadaption des Wagner-Essays von Elfriede Jelinek die Hauptrolle spielt. Die Staatskapelle Berlin sitzt auf der Bühne und durchstreift unter der Leitung von Markus Poschner Wagners "Ring" wie in einem Drogenrausch. Dissonanzen verzerren die originalen musikalischen Passagen. Bekannte Motive tauchen wie alte Bekannte aus dem Unbewussten auf, werden aber sogleich verwandelt, ins Moll gewendet, an manchen Stellen gar rückwärts gespielt oder mit Zitaten aus anderen Teilen der Tetralogie kurzgeschlossen und überblendet. Der Komponist David Robert Coleman hat Wagners Partituren als Steinbruch benutzt und in wildem Assoziationsdrang neu zusammengesetzt.
    Hinzu kommen noch Klänge, die aus der Steinzeit der elektronischen Musik stammen. Erzeugt werden sie – eingerichtet und gespielt von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel – auf einem modularen Synthesizer und dem an die "singende Geige" erinnernden Trautonium. Das Ganze hört sich an wie ein verworrener Wagner-Traum, in dem Wotan zum Wagner-Orchester auch schon einmal den alten "Stranglers"-Hit "No more Heros" schmettert oder die aufgedonnerten Rheintöchter lasziv am Flügel lehnen und ein traumverlorenes "Rheingold"-Ständchen geben.
    Anspielungen auf Eurokrise und NSU
    Hat das noch etwas mit Wagner zu tun? Einiges, denn immerhin treibt ja schon Wagner mit seiner Leitmotivtechnik ein bewusstes Verwirrspiel der Ahnungen und Erinnerungen. Aber Wagner ist an diesem Abend nur der Stichwortgeber, nicht die Hauptperson. Das Wort hat Elfriede Jelinek und ihr 2012 bei den Münchner Opernfestspielen erstmals szenisch gelesener Essay. Der nimmt das Abschiedsgespräch zwischen Brünnhilde und Wotan am Ende des dritten Aufzugs der „Walküre“ zum Anlass für eine bandwurmartig-wortreiche Tirade. Reines literarisches Gold findet sich in diesem Text selten, doch als atemlos kalauernder Rundumschlag gegen den Raubtierkapitalismus, den ödipalen Frust, die mediale Volksverdummung, die alltäglichen Familienhöllen und die NSU-Verbrechen entwickelt er eine nicht zu unterschätzende Sogkraft.
    Der Theaterregisseur Nicolas Stemann bedient sich in seiner Inszenierung des szenischen Zertrümmerungsvokabulars der Berliner Volksbühne: Alles zielt auf Brechung, Verfremdung, Demontage. Zugleich unterläuft er diese Ästhetik jedoch wohltuend durch eine gehörige Portion Komik und Selbstironie. Das Jelinek-Manuskript stets fest in den Händen, verausgaben sich die Schauspieler Philipp Hauß, Katharina Lorenz und Sebastian Rudolph in marxistischen Lehrstunden, erbitterten Anklagen, verzweifelten Weltrettungsversuchen, destruktiven Exzessen und Selbstdementi.
    Die stimmgewaltigen Wagner-Sänger Jürgen Linn und Rebecca Teem irren als Wotan und Brünnhilde durch das Geschehen. Nachdem dank klippschulmäßiger Wiederholung jedem hinlänglich klar ist, dass der Kapitalismus seine Kinder frisst und am Ende nur das sich selbst genügende Geld überleben wird, regnet es Euroscheine vom Bühnenhimmel. Das Idyll wird jäh gestört durch drei ebenfalls herabfallende verkohlte Leichen, während der Rosarote Panther der NSU-Videos über die Bühne schlendert. Schließlich brennt auch noch ein Wohnwagen. Doch einen wirklich kritischen Impuls – so er denn überhaupt beabsichtigt war - hat dieser Abend nicht. Eher unterhält er das jubelnde Publikum mit einer Art Jelinek-Wagner-Revue.