Freitag, 19. April 2024

Archiv


Jena und die rechte Gewalt

Als der Nationalsozialistische Untergrund und seine Taten aufgedeckt wurden, war schnell klar: Der Kern der Gruppe kam aus Jena. Auch deswegen haben sich sich die thüringische Stadt und ihr Verhältnis zu Rechtsextremen verändert.

Von Solveig Grahl | 06.05.2013
    Ein paar Jugendliche kickern, andere spielen am Computer oder quatschen bei einer Cola mit ihren Freunden. Ein ganz normaler Nachmittag im Jugendklub "Hugo" in Jenas Stadtteil Winzerla. Vor ein paar Tagen hat mal wieder jemand ein Hakenkreuz auf den Mülleimer draußen gesprayt, das erste Mal seit Langem, sagt Thomas Grund. Mehr als 20 Jahre ist er schon Streetworker in Winzerla, arbeitet zwischen den Plattenbauten mit Jugendlichen. Auch damals schon, Anfang der 90er. Nur wenige Meter vom "Hugo" entfernt, im alten "Winzerclub", trafen sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe:

    "Das war ein völlig farbloses Mädchen. Nett, höflich. Hat ihre Zeit mehr damit verbracht zu gucken, welcher Junge gefällt mir denn von der Auswahl hier? Da war Uwe Mundlos der Einzige von ungefähr 50 Leuten, der deutschnational angezogen war. Er war mir von Anfang an suspekt, weil er so ein lächelndes Gesicht hatte, das immer gelächelt hat, selbst wenn er sich gerade total angemacht fühlte."

    Beate Zschäpe war fasziniert von Uwe Mundlos, folgte ihm in die "Kameradschaft Jena", zum "Thüringer Heimatschutz", später dann in den Untergrund. In den Jugendklub kam sie bald gar nicht mehr.

    Jenas rechte Szene war stark in den 90er Jahren: Links orientierte Jugendliche wurden überfallen, Konzerte gestört, Ausländer bedroht. Eine Neonazi-Szene gebe es immer noch in Jena, sagt Matthias Quent, Soziologe und Rechtsextremismus-Experte an der Universität Jena. Doch die sei derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Stadt habe sich sehr verändert in den vergangenen Jahren:

    "Das hat vor allem etwas mit der Sozialstruktur der Stadt zu tun als Leuchtturmregion, rein wirtschaftlich betrachtet, aufgrund des hohen Studierendenanteils, einer hohen Durchlässigkeit im kulturellen Bereich zwischen den verschiedenen Milieus, die es in der Stadt gibt, auch im jugendkulturellen Bereich. Die Stadt heute ist eine andere als 1995."

    Im Jahr 2000 hat Jena ein eigenes Programm ins Leben gerufen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Intoleranz. Ein Großteil der Bevölkerung stelle sich mittlerweile ganz klar gegen öffentliche Aktionen von Neonazis, sagt Harald Zeil vom Jenaer Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus. Was nicht heiße, dass es in der Stadt keine Probleme mehr gebe:

    "Wenn es um Flüchtlingsschicksale geht. Das geht nicht so einfach. Es ist deutlich leichter in der Stadt zu mobilisieren, wenn es gegen ganz deutliche rechtsradikale Umtriebe geht, dann findet man ganz viele Menschen. Aber diese ganz alltäglichen Anknüpfungspunkte, die sind schwerer zu behandeln."

    Ein altes Fachwerkhaus an einer holprigen Straße, die Fenster sind verriegelt, der Putz blättert: Das "Braune Haus" in Jenas Stadtteil Altlobeda ist verwaist. 2009 hat die Stadt die ehemalige NPD- und Kameradschaftszentrale geschlossen, aus baurechtlichen Gründen. Die rechte Szene ruft nun immer wieder zu Spenden auf, um das Haus sanieren zu können, sagt der Soziologe Matthias Quent:

    "Vermutlich hätten sie das sogar stemmen können, wenn nicht der NSU dazwischen gekommen wäre und finanzielle Mittel jetzt eher in Richtung Wohlleben und Unterstützungsnetzwerke für die Verdächtigen im NSU-Fall gesammelt werden würden. Das heißt, sie erzielen keine wirklichen Geländegewinne mehr."

    Das gesteht sogar Patrick Wieschke ein, Landesvorsitzender der NPD Thüringen. Als Universitätsstadt mit vielen Studenten sei Jena ein schwieriges Pflaster für seine Partei, sagt der 32-Jährige. Bei der letzten Landtagswahl 2009 erzielte die NPD in Jena mit zwei Prozent das landesweit schlechteste Ergebnis.

    Im Jugendtreff "Hugo" hat sich Streetworker Thomas Grund einen Kaffee geholt, guckt nachdenklich aus dem Fenster. Vor mehr als 20 Jahren ist er dem späteren NSU-Trio begegnet, nur wenige Meter von hier entfernt. Wenn der Prozess gegen Zschäpe und die anderen losgeht, wird er ihn verfolgen. Auf jeden Fall:

    "Es ist wahnsinnig spannend zu sehen: Wie wird Beate reagieren? Hoffen würde ich, dass sie vielleicht sagt, ok dann werde ich Kronzeugin. Dann bin ich nicht die große Heldin in der Szene, aber dann könnte ich ein bisschen Unrecht wieder gut machen. Das wäre das, was ich mir wünschen würde. Aber wie das Ganze ausgeht, weiß ich nicht."