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Jenseits der ideologischen Befangenheiten

Eine anspruchsvolle Studie zum Kalten Krieg hat Bernd Stöver verfasst. Der Professor an der Universität Potsdam und Mitarbeiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung will die Strukturen dieser Konfrontation jenseits der ideologischen Befangenheiten ausleuchten, will die einfache Dichotomie von Gut und Böse differenzieren, klar machen, dass der Westen den Kalten Krieg zwar im Namen der Freiheit geführt hat, aber in der Wahl seiner Mittel auch nicht zimperlich war.

26.03.2007
    Zu Beginn unseres auf der Leipziger Messe geführten Gesprächs habe ich Bernd Stöver gefragt, wie er seinen Ansatz einordnet.

    Stöver:
    Ich finde persönlich, dass die Wahrnehmungsfrage eine wichtige Rolle spielt für den Kalten Krieg. Die automatisierten Reaktionen beruhen auf einer bestimmten Perzeption, einer bestimmten Wahrnehmung von Wirklichkeit. Allerdings verkennen alle drei Positionen, dass der Kalte Krieg eben auch ein Machtkonflikt, ein schlichter Machtkonflikt gewesen ist, der allerdings mit zwei besonderen Bedingungen ausgestattet war, nämlich a) einer Ideologie, die weltweite - also globale - Gültigkeit beanspruchte und b) Atomwaffen, die in der Lage waren, ab den 60er Jahren die Erde einmal, zweimal oder auch dreimal zu zerstören und damit Lebensgrundlagen der gesamten Welt in Frage zu stellen oder zu zerstören. Das war vorher eben nicht möglich und das macht den Kalten Krieg aus. Also es sind natürlich zwei Ideologien. Ich meine, wenn man den Kalten Krieg verstehen will, muss man sich Ideologie und Atomwaffen anschauen. Man muss sich dann natürlich auch beide Ideologien mit ihren globalen Gültigkeiten oder Gültigkeitsanspruch anschauen. Sonst hätte es ja keinen Kalten Krieg gegeben, wenn nur eine Ideologie bestanden hätte.

    Theißen:
    Sie sagten eben: eine Machtauseinandersetzung - und bei dieser Machtauseinandersetzung waren beide Seiten radikal. Ihr Untertitel heißt ja auch: "Geschichte eines radikalen Zeitalters" - das bezieht sich unter anderem auf die Methoden. Haben die sich wesentlich unterschieden? Sie schreiben beispielsweise, dass in der in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Amerikaner massiv eingegriffen haben in Griechenland, Italien, Frankreich, um die Kommunisten in diesen Ländern einzudämmen. Ist das wesentlich anders als die Politik der Russen in ihrem Herrschaftsbereich?

    Stöver:
    Das totalitäre System Stalins mit seinen Lagern und so weiter ist kein Vergleich, das mal außen vor. Die Frage der Methoden im Kalten Krieg die nähern sich natürlich irgendwie an. Der Geheimdienstkrieg wird ungefähr mit den gleichen Mitteln betrieben: Es gibt Umsturzversuche, wo die Amerikaner zum Beispiel in Albanien, in Jugoslawien versuchen ein anderes Regime zu installieren. Es gibt das gleiche von sowjetischer Seite, dass in Mittelamerika versucht wird, bestimmte Regime zu installieren, die dann für die USA gefährlich werden können. Vergleichen heißt im Übrigen - und das kann man immer nur wiederholen - nicht gleichsetzen. Das Falscheste wäre, jetzt nochmal neue Fronten aufzumachen anhand dieses Versuchs, den Kalten Krieg tatsächlich zu historisieren und über fünfzig Jahre sich in der Gesamtheit anzuschauen. Mein Versuch ist tatsächlich der, außerhalb der Ideologien sich den Kalten Krieg anzuschauen, und ich würde immer sagen, auf ein ideologisches Zeitalter kann man eigentlich nur unideologisch antworten. Es gibt eine ernstzunehmende These aus den USA, die aus den 90er Jahren stammt, die besagt, wir seien alle irgendwie Verlierer des Kalten Krieges gewesen, indem wir viel zu viel Energie, viel zu viel Geld in diesen Konflikt hineingesteckt haben: Wir haben alle Lebensqualität eingebüßt - aber nicht nur Lebensqualität, das klingt immer sehr pathetisch. Wir haben alle nicht das Leben führen dürfen und so weiter - das stimmt ja so auch wiederum nicht. Aber was man eindeutig nachweisen kann, ist, dass das Geld, was in Waffen geflossen ist und in viele andere Sachen, die mit dem Kalten Krieg, mit dem Kampf im Kalten Krieg, zu tun hatten, an anderer Stelle gefehlt haben.

    Theißen:
    Das ist die eine Erklärung. Auf der anderen Seite leuchtet mir eine Geschichte ein, die der Ostberliner Dramatiker Heiner Müller immer gerne erzählt hat, eine kleine Fabel. Müller hat gesagt: Die Funktion des stalinistischen Funtionärs ist es, zwischen dem räuberischen Löwen und der schönen Antilope zu stehen. Und jetzt, wo der stalinistische Funktionär weg ist, frisst der Löwe die Antilope auf. Also das heißt, der Abbau von sozialen Leistungen und ähnliches mehr ist doch auch eine Folge des Ende des Kalten Krieges.

    Stöver:
    Ja, ich meine zwangsläufig. Wenn alles für einen Konflikt eingesetzt wird, dann fließen im Grunde genommen auch Sozialleistungen nach bestimmten Kriterien, die sich an den Fronten des Kalten Krieges auch orientieren können.

    Theißen:
    Ich meinte das eher umgekehrt: In der Phase des Kalten Krieges wurde doch auch Legitimation und Zustimmung dadurch hergestellt, dass auf der einen Seite die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik verkündet wurde und auf der anderen Seite permanent die Renten erhört wurden und so weiter und so fort. Und das ist weg.

    Stöver:
    Das meine ich ja. Da geht es um die innere Legitimation. Leistungen werden natürlich zum einen dazu benutzt, a) den eigenen Machtbereich zu stabilisieren, b) den anderen Machtbereich möglicherweise auch aufzuweichen. Also bei der Kulturpolitik im Kalten Krieg sieht man es genauso: das Radio zum Beispiel sollte nach innen stabilisieren und in die andere Richtung destabilisieren - jedenfalls wurde der Versuch gemacht.

    Theißen:
    Ich will nochmal zurück auf eher europäische oder deutsche Verhältnisse. Also diese Historisierung, dieses ideologie-freie analysieren von Systemen und ihren Funktionsweisen führt ja mitunter zu erschreckenden Erkenntnissen und irritiert auch liebgewonnene Erklärungsmuster. Wenn Sie darüber schreiben, dass der Kalte Krieg natürlich auch innenpolitische Auseinandersetzungen strukturierte, fällt mir eine kleine Geschichte ein, die Hans Ulrich Wehler immer wieder erzählte. Sie spielt in den 50er Jahren, Anfang der 50er Jahre. Wehler war in Köln an der Uni, sollte ein Referat halten über Staatsbegriffe bei Max Weber und Karl Marx. Die Werke von Marx waren in Köln nicht aufzutreiben, die hat er sich in Ostberlin besorgt, ist an der Grenze erwischt worden, sechs Wochen später wurde Wehler vorgeladen beim Rektor der Kölner Universität. Der wiederum hatte einen Brief von Max Adenauer bekommen, der damals Staatssekretär im Innenministerium in Düsseldorf war, wo Adenauer den Rektor der Uni aufforderte, Wehler rauszuschmeißen, weil er sich diese gefährlichen Bücher besorgt hat.
    Das ist ja eigentlich eine Geschichte, die alle Elemente hat, die ansonsten Stasi-DDR-Geschichten haben. Das ist ja ziemlich erschreckend, wenn man sich das wieder ins Bewusstsein ruft.

    Stöver:
    Es gab Hunderttausende, die zwischen der Bundesrepublik und der DDR gewechselt sind. Es sind ungefähr 600 000 Menschen aus der Bundesrepublik in die DDR eingewandert; zum Teil waren es Rückwanderer, die schonmal aus der DDR gekommen sind, zum Teil sind es aber auch Leute gewesen, die in der Bundesrepublik als Verräter betrachtet wurden. Und das ist, glaube ich, das, worauf Sie hinauswollen, diese strikte Strukturierung: hier sind die Freunde, da sind die Feinde. Wir befinden uns in einer Art Kalten Bürgerkrieg, in dem man genau weiß, der gehört zu uns, der gehört zu den anderen, oder möglicherweise gehört er zu den anderen, aber er ist nicht vertrauenswürdig; wir wissen zwar nicht wo er ist, wo er sich selbst positionieren würde - und da reicht es dann möglicherweise schon, dass man das falsche Buch in Tasche hat. Aber das ist, glaube ich, eher eine Geschichte aus den 50er Jahren, das hat sich relativ rasch geändert. Aber selbst in den 60er Jahren, denken Sie an die 68er, die natürlich als fünfte Kolonne zum Teil betrachtet worden sind. Denken Sie an Dutschke, der von beiden Seiten als Verräter angesehen wurde, sowohl von der DDR-Seite als auch von der ...

    Theißen:
    Oder Benno Ohnesorg, den Sie ja als Opfer des Kalten Krieges interpretieren.

    Stöver:
    Oder auch die vielen Opfer, die ansonsten zwischen beiden Fronten irgendwie in die Mühlen geraten sind, ohne dass sie überhaupt eine Ambition hatten, dazwischen zu kommen. Es ist ja zum Teil mit Zufällen verbunden gewesen.

    Theißen:
    Selbst beim Terrorismus sagen Sie, das sind Elemente, die von beiden Seiten eingesetzt worden sind: die Kampfgruppe gegen Unmenschlichtkeit - schreiben Sie ja - kann man auch als terroristische Organisation beschreiben.

    Stöver:
    Ich meine, wenn man das aus DDR-Perspektive, und wir versuchen ja oder ich versuche ja, von beiden Seiten zu sagen, die Argumente zusammenzutragen, um dann auch urteilen zu können. Natürlich, aus der Perspektive: - wenn man das jetzt mal ganz wertfrei betrachten würde - es gibt eine Organisation, die in ein anderes Land oder auf ein anderes Gebiet geht, dort Scheunen anzündet, versucht Ernten zu zerstören und so weiter. Da würden wir heute sagen, das sind doch Terroristen. Das hängt eben davon ab, wie sozusagen die Intentionen verteilt sind. Wer auf der einen Seite Freiheitskämpfer ist, ist auf der anderen Seite ein Terrorist.

    Theißen:
    Soweit das Gespräch mit Bernd Stöver. Sein Band "Der Kalte Krieg, Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947 - 1991" ist bei C. H. Beck in München erschienen, 528 Seiten, Euro 24,90