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Jenseits des Krebs

Umwelt. - Pünktlich zum Beginn der Klimakonferenz auf Bali veröffentlichte das Fachblatt Nature Geoscience einen Artikel über ein bislang offenbar unterschätztes Phänomen: Die Tropengürtel der Erde wuchsen in den vergangenen 25 Jahren unerwartet stark – mit gravierenden Folgen für die Menschheit.

Von Dagmar Röhrlich | 03.12.2007
    Ob Satellitendaten, Ballonmessungen oder die Informationen der Wetterstationen – sie alle belegen: Der Tropengürtel der Erde hat sich zwischen 200 und 600 Kilometer weit in Richtung Pole ausgedehnt. Luftlinie ist das immerhin die Distanz zwischen München und Stuttgart oder Hamburg und Wien:

    "So etwas hat sich in keiner der Modellrechnungen zur Klimaentwicklung abgezeichnet. Zwar zeigen sie alle, dass sich der Tropengürtel ausdehnen soll, aber erst gegen Ende des 21. Jahrhunderts und in einem weitaus geringeren Ausmaß. Die beobachteten Verschiebungen der vergangenen 25 Jahre sind sehr viel größer. Es gibt also eine beträchtliche Diskrepanz zwischen dem, was wir messen und dem, was wir erwartet hatten."

    Im Vergleich zu 1980 sei die Tropenzone der Erde heute um mehr als 20 Millionen Quadratkilometer größer, erklärt Dian Seidel von der US National Oceanic and Atmospheric Administration NOAA in Washington DC. Nun gibt es verschiedene Definitionen dafür, was der Tropengürtel eigentlich ist. So benutzen Meteorologen, die mit den tropischen Windsystemen arbeiten eine andere als Ozonforscher.

    "Das deutliche Anwachsen der Tropen zeigt sich jedoch in allen unseren Datensätzen. Weil diese Datensätze voneinander unabhängig sind, konnten wir die Ergebnisse überprüfen."

    Noch lässt sich nicht sagen, ob das Phänomen von vorübergehender Natur ist. Nur so viel ist klar: Derzeit verändern sich die Windmuster der Erde. Wie weit sich die Tropenzone ausdehnen kann, ist wiederum offen. Auf jeden Fall hat ein wachsender Tropengürtel für viele Millionen Menschen gravierende Folgen:

    "Am Äquator steigen feuchte Luftmassen auf, die den feuchten Tropen den Regen bringen. Aber an den Rändern dieser Konvektionszelle sinkt die nun sehr viel trockenere Luft wieder ab, und dort schließen sich die subtropischen Wüstenzonen an. In anderen Datensätzen müsste sich also zeigen, dass diese Trockenzonen entsprechend nach Norden und Süden gewandert sind."

    Veränderungen in diesen Passatzonen nördlich und südlich der Tropen träfen weite Teilen des dicht bevölkerten Mittelmeerraums, Nordmexiko, den Südwesten der USA, Südaustralien, Südafrika und Teile von Südamerika. Dort nimmt derzeit bereits die Trockenheit zu. Falls der Trend andauert, könnten die Probleme mit Wasserversorgung und Landwirtschaft weiter anwachsen:

    "Auch außerhalb der Tropen wird es Veränderungen geben. Die gemäßigten Zonen werden von der Verlagerung der großen Sturmbahnen betroffen sein, die ihnen starke Winde und heftige Regenfälle samt Überflutungen bescheren werden."

    Auch dieser Trend zeichnet sich heute schon ab. Daneben gibt es Effekte, die sich derzeit noch nicht abschätzen lassen:

    "Wir deuten an, dass sich die Verteilung von Spurengasen wie Wasserdampf, Chlor- oder Fluorverbindungen in der Atmosphäre ändert. Diese Verbindungen wechseln zum Großteil in Tropen an der so genannten tropischen Tropopause vom unteren Atmosphärenstockwerk ins obere, also in die Stratosphäre. Wächst der Tropengürtel, wächst auch die Fläche dieses "Lifts", und es gelangen mehr Spurengase hinauf. Das wirkt sich auf die Ozonschicht und den Treibhauseffekt aus. Die Veränderungen des Tropengürtels könnte die Chemie der Stratosphäre und den Strahlungshaushalt beeinflussen."

    Dehnen sich die Tropengürtel dauerhaft aus, rechnen die Forscher mit Kaskadeneffekten – bis hin zur Verlagerung von Meeresströmungen. Das alles muss aber noch näher untersucht werden. Auch der Mechanismus hinter dem derzeit rasanten Wachstumstrend ist noch nicht klar: Der Hauptverdächtige ist der Klimawandel selbst, so Dian Seidel, aber auch Veränderungen in der Ozonschicht oder bei dem Phänomen El Nino könnten eine Rolle spielen.