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Jenseits im Diesseits

In Köln trifft das Religiöse in besonderer Weise auf das Weltliche. Der Dom, Wahrzeichen der Stadt, hat ein umstrittenes Fenster des Künstlers Gerhardt Richter erhalten, das aber dem konservativen Hausherrn nicht gefällt. Im Stadtteil Ehrenfeld erregt eine geplante Moschee die Gemüter. Kann eine Diskussionsveranstaltung im fernen Berlin, an der Akademie der Künste, zwischen Jenseits und Diesseits vermitteln?

Von Arno Orzessek |
    Es gibt in Deutschland einen Publizisten, der sich in der Lage sieht, der Christenheit und dem Islam den rechten Weg zu weisen - es ist Günter Wallraff, Markenzeichen: Gesinnungstätertum.

    "Ich lass nicht locker. Ich bin ja auch ein mich selbst beauftragender Dialogbeauftragter, ich bin nicht weisungsgebunden. Ich bleib da dran."

    Günter Wallraff riss auch in der Akademie das Kommando an sich, was umso leichter war, als der sonst eloquente Akademie-Präsident Klaus Staeck bei den religiösen Dingen erkennbar wackelte und - zumal mit Blick auf den Islam - oft nach der Rettungsleine des Grundsätzlichen greifen musste.

    "Eine Religion, die nicht zulässt, dass man sie verlässt, ist für mich schon auch totalitär."

    Genau diesen Totalitarismus bekämpft Günter Wallraff. Zum Beispiel im Dialog mit der muslimischen Gemeinde in Köln-Ehrenfeld, die von der Türkisch-Islamischen Union die umstrittene Moschee spendiert bekommt. Wallraff fordert unentwegt, dass sein Freund Salman Rushdie auf dem Moscheengelände aus "Satanische Verse" vorlesen darf - andernfalls kann nämlich das Wallraff-Gütesiegel für modernen Euro-Islam nicht erteilt werden. Günter Wallraff:

    "Ich meine, es ist eine Selbstverständlichkeit. Ein Autor, der nach wie vor mit dem Tode bedroht wird. Ein Buch, was nach wie vor mit dem Bann belegt ist. Ich gebe denen eine Chance, ich mische, warum misch ich mich überhaupt ein? Vielleicht, weil ich wirklich ein Traumtänzer bin."

    Dass sich der - als religiöser Radikalinski beleumdete - Vorsitzende der Gemeinde Ehrenfeld bockig zeigt und auf Verletzung heiliger Bezirke beruft, kann der liquide Wallraff nicht gelten lassen.

    "Sag ich, ich bezahle ein Zelt. Auf meine Kosten. Das stellen wir auf den Parkplatz. Der Parkplatz ist doch kein heiliger Bereich."

    An diesem Punkt der Wallraff-Show meldete sich die philologische Vernunft in Person von Michael Marx, Leiter des Corpus Coranicum an der Berlin-Brandenburgischen Akademie. Anders als Wallraff insinuiere, habe Rushdie keinen weltweit gültigen Gesinnungstest verfasst, sondern einen Roman - meinte Marx:
    "Der literarische Charakter wird irgendwie auch etwas schief wahrgenommen, wenn man das Buch sozusagen zur Feuerprobe von Verfassungstreue macht. Ich weiß nicht, ob man verlangen würde, dass irgendwie "Das Leben des Brian" in katholischen Kirchen jetzt gezeigt werden müsste. Ich finde das geht etwas an der Sache vorbei."

    Marx arbeitet an Dokumentation und Kommentar des Koran-Textes - was bisher verblüffenderweise nicht umfassend geschehen ist. Er hat Corpus Coranicum im Iran, in Syrien, Marokko und der Türkei in aller Ruhe vorstellen können - in Berlin aber wartete Günter Wallraff.

    Marx: "Man sollte gleichzeitig sich auch irgendwie bewusst werden, dass die Beschäftigung mit diesen heiligen Texten, ob das christliche, jüdische oder islamische sind, ... "

    Wallraff: " "Es gibt keine heiligen Texte. Es gibt Texte, die in ihrer Zeit entstanden sind und die wir neu interpretieren müssen. Es gibt keine heiligen Texte."

    Der Abend war jedenfalls kein Triumph der Kohärenz - und wie auch? Das "Jenseits im Diesseits" passte nicht in neunzig Minuten. Zwischen dem Kirchenfenster- und dem Moscheen-Zoff konnte keiner eine belastbare Brücke schlagen. Außer einigen wohlfeilen Beleidigungen, die Wallraff Kardinal Meisner und dem Papst nachwarf, hatte nur Boris Groys Substantielles zur Fenster-Frage zu sagen. Gerhardt Richter bekam dickes Lob für die Gestaltung des Sakralen aus dem Geist des Digitalen - das Fenster als Ikone zur Sichtbarmachung des Unsichtbaren.

    "Hinter dem Fenster ist Gott auf der einen Seite, der sich sehen lässt, und auf der anderen Seite diese Computerprogramme, diese Zufallsprogramme, die ganze digitale Technik unserer Zeit, die im Grunde hinter der Globalisierung steckt, die diese Globalisierung eigentlich ist, ja, das ist diese Digitalisierung."

    Erwartungsgemäß waren alle Podiasten für Moscheenbauten in Deutschland - als Zeichen der Präsenz der muslimischen Minderheit, aber auch als Zeichen für die Realität der Religionsfreiheit.

    Nein, das Aufschlussreiche ergab sich aus der Fragestellung: Welche Worte und Gedanken sind in Gegenwart des Fathwa-freudigen Günter Wallraff überhaupt erlaubt? Welchen Taten erteilt er seinen Segen?

    Wallraff hielt Michael Marx allen Ernstes vor, im Iran keine Dissidenten getroffen habe. Da fuhr Boris Groys dazwischen, der in der Sowjetunion seinerzeit gelitten hat, wenn westliche Wissenschaftler Kontakte abbrachen, weil die KPdSU in Moskau nun einmal die KPdSU war und kein Verein mit Wallraff-Gütesiegel. Das Entscheidende sagte Marx selbst.

    "Ich halte es irgendwie für etwas bedenklich, wenn man also über Islam oder Muslime spricht und das stets tut in einem Klima von Clash, von Zusammenprall von Zivilisationen. Ich meine, den Islam sozusagen schlechthin, den können Sie genauso wenig sehen wie das, was im Computer abläuft. Sie können höchstens Muslime sehen."
    Blick auf das neue Südquerhausfenster (Teilansicht) im Hohen Dom zu Köln.
    Blick auf das neue Südquerhausfenster (Teilansicht) im Hohen Dom zu Köln. (AP)