Zum Beispiel den frisch Gemusterten, die anders als der drogensüchtige Stewa zum Auslandseinsatz einrücken. Stewas Großmutter wurde als mumifizierte Sanitäterin ausstaffiert, ihr Altgesell als hochdekorierter sowjetischer Veteran des großen vaterländischen Kriegs, die Küsterin als Mitglied einer näher nicht definierten Sekte. Diese Küsterin ist angesiedelt zwischen dem großen Leuchtkreuz an der Leichtbauwand, die im zweiten Akt den Ort der Zuflucht für Jenufas Niederkunft einfriedet, und einer Wodu-Figur bei den Kerzen, eingekreist von Vorurteilen. Die schwergewichtige, mit der Stimme wie mit einer Keule zuschlagende Andrea Baker profiliert sich als Frau von jenem Typ, der buchstäblich alles im eigenen Blickfeld sozial regeln muss und bei dieser selbstzugewiesenen Aufgabe über Leichen geht.
Unter Zuhilfenahme von Motiven aus Janáčeks Kindheitserinnerungen an Hukvaldy übersetzte Sebastian Baumgarten die dramatische Kern-Idee des mörderischen Altruismus (der blanker Egoismus ist!), von der schweren mährischen Scholle des 19. Jahrhunderts in die erzwungene Leichtigkeit der postindustriellen Ära; konkret: in die Gegenwart eines postsozialistischen Ost-Tschechien, in dem – wie in vergleichbar entwurzelten Gesellschaftsformationen – Sektenwesen und neuer Aberglaube sprießen. Die Tragödie des rückständigen Bewusstseins kommt in den Kulissen eines internationalisierten TV-Seifenopernmilieus an. Das ist nicht neu, sondern inzwischen probater Kunstgriff des Regie-Theaters – und bedenklich nur durch die Momente der allzu großen Rekonkretisierung. Wo aber die unterschiedlichen Grundsätze gegeneinander an- und ausgesungen werden – und man wünschte, dies wäre besser geschehen – wirft sich die alte Frage nach dem richtigen Frauenleben in der männlich dominierten Gesellschaft noch einmal in neuer Schärfe auf. Deren Insignien sind nicht schwer zu decodieren.