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Jenufa / Ihre Stieftochter

Lauter hysterische Frauen sehen wir auf der Bühne: Eine, die ein Kind trägt, und es verschweigt. Eine andere, die es tötet und sich als Wohltäterin ausgibt. Wieder andere, die die Unglückliche, deren Baby getötet wurde ohne dass sie davon wusste und nun heiratet, bekichern und begaffen.

Georg-Friedrich Kühn |
    Leoš Janáčeks dritte Oper Jenufa brachte dem mährischen Komponisten nach einer Aufführung in Prag in einer glättenden Bearbeitung durch den dortigen Kapellmeister 1916 den späten Durchbruch. Fast ein Jahrhundert schleppte sie die verfälschende Aufführungstradition mit sich herum. Erst in neuerer Zeit entdeckte man die ursprüngliche Werkgestalt der 1908 unter dem Titel Ihre Stieftochter in Brünn uraufgeführten Oper.

    Musikalisch bezieht man sich bei der Neuproduktion der Berliner Komischen Oper auf diese Fassung. Und Kirill Petrenko im Graben lässt die Farben dieser Partitur in all ihrer grellen Schroffheit leuchten, die Gegensätze einander konfrontieren. Es ist musikalisch eine höchst lebendige Aufführung, die freilich die Sänger mit ihrer Voluminosität fast verschluckt.

    Eher im Klischeehaften bleibt die Inszenierung. Willy Decker hat sie erarbeitet in der Ausstattung von Wolfgang Gussmann. Eine von Gram und Ängstlichkeit gebeutelte Jenufa sieht man da allweil, bis das Blatt sich wendet, und die Küsterin, ihre Peinigerin, sich als die wahre Missetäterin offenbart. Sie hat Jenufas Baby im Fluss ertränkt, um die vermeintliche Moral zu retten.

    Die dörflichen Steinewerfer richten sich nun gegen die ältere Frau. Dazu tönt es aus dem Programmheft von der großen moralischen Kraft des Komponisten, die er mit dem Aufgreifen dieses Sujets bewiesen habe. Dass er eher die eigenen misslichen häuslichen Verhältnisse abarbeiten wollte mit einer aus Karrieregründen geheirateten Frau, die er durch jüngere Frauen in wechselnden Liebschaften ersetzte – wie neuere Forschungen offenbarten –, davon wissen die Macher nichts.

    Im Umfeld der Prager Aufführung 1916, die der Janáček feindliche gesonnene Kapellmeister Kovařovic nach der beginnenden Neuformierung des tschechischen Staats nicht mehr verhindern konnte, an der er aber kräftig partizipieren wollte durch Einstreichen der Umarbeitungs-Tantiemen, beging Janáčeks Frau den ersten Selbstmordversuch.

    Wolfgang Gussmanns Bühne zeigt anfangs eine schon herbstlich getönte Sommerlandschaft vor schwarzem Bühnenhintergrund, in der Jenufa verzweifelt irgendwelches Grünzeug einzutopfen versucht. Sie wartet auf den trinkfreudigen Stewa, von dem sie das Kind bekommen soll und das sie nicht legalisieren könnte, sollte er zum Militärdienst eingezogen werden.

    Mit chorischem Holldriooh kehrt Stewa betrunken zurück. Und doch muss sie ihr Kind allein kriegen in einer von Eisblöcken durchsetzten Zimmerlandschaft. Am Ende, wenn alles geklärt und die Küsterin gedemütigt ist, kehrt sie dem Dorf den Rücken und geht mit dem anderen Bewerber um ihre Liebe, Laca, ab ins Freie.

    Beachtliches leisten wiederum Chor und Orchester der Komischen Oper, auch wenn die dörfliche Fröhlichkeit doch sehr arrangiert wirkt. Als Küsterin versucht Karan Armstrong, die Witwe des lange an der Komischen Oper als Oberspielleiter wirkenden Götz Friedrich, ein zumindest darstellerisch geglücktes Comeback. Am überzeugendsten Sinéad Mulhern in der Titelpartie.

    Das Publikum feierte am Ende des durch zwei Pausen unnötig gedehnten Abends das Ensemble einhellig. Ein Triumph des Theaters, wie ihn die Komische Oper dringend bräuchte, war es nicht.