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"Jephta"

Händels Oratorium "Jephta" nutzt einen dramaturgischen Kniff, der einem in der Oper oft begegnet: Der Herrscher, der gelobt, wenn ihm göttlicher Beistand zuteil wird, den nächsten Besten zu opfern, wenn die Sache gelingt. Die Gewissensfrage entsteht, wenn der Nächste sich dann als die Tochter erweist. Solche Nöte weisen auf eine dunkle Zeit der Zivilisationsgeschichte. In Bonn hat nun Dietrich Hilsdorf das Oratorium inszeniert.

Von Frieder Reininghaus |
    Georg Friedrich Händels letztem Oratorium "Jephta" liegt die Nachricht von einer tragischen und besonders grausamen Begebenheit zugrunde, die eines der ältesten Bücher des alten Testaments überliefert: Jephta, Sohn des legendären Richters Gilead in der Zeit der Einwanderung der zwölf Stämme Israels nach Kanaan, wurde von den Kindern der Hauptfrau aus dem Vaterhaus vertrieben und floh ins Land Tob, wo er ein erfolgreicher War-Lord wurde. Als die Israelis im Dauerstreit mit den Nachbarvölkern wieder einmal in arger Bedrängnis waren, erinnerte sich der Ältestenrat und holte Jephta zurück; verpflichtete ihn in einer eigentlich desaströsen Situation als Oberkommandierenden der Streitkräfte.

    Der Haudegen verlangte im Fall eines durchschlagenden Erfolgs seiner Mission auch die Berufung zum politischen Führer – sie wurde ihm zugesagt. Nach der Eroberung des Landes der Amoriter stand der noch schwierigere Feldzug gegen die Ammoniter. Um sich des Höchsten Beistandes zu versichern, schwor Jephta jenen fatalen Eid: "Was zu meiner Haustür heraus mir entgegen geht, wenn ich mit Frieden wiederkomme von den Kindern Ammon, das soll des Herrn sein, und ich will's zum Brandopfer opfern."

    Welch ein Stoff für ein dramatisches Oratorium – mit einer (zunächst absichtvoll bildlos gedachten) spannenden Geschichte von Liebe und Krieg, Willkür und fehlgeleiteter Gottesfurcht.
    Im Zuge der Übertragung des archaischen Textes zum Oratorientext wurde der schreckliche Schluss, an dem die einzige Tochter des Feld Herrn auf dem Altar verbluten muss, durch des Erschein eines Engels als Angelus ex machina abgemildert in die Bestimmung, dass jene Iphis, die sich willig für einen göttlichen Heilsplan hingeben will, nicht sterben muss, sondern gottgefällig in Keuschheit weiterleben darf. Dietrich Hilsdorfs Inszenierung, gestützt auf eine kluge Interpretation Lion Feuchtwangers, entzündete sich an diesem Schluss und kommentiert ihn in mehreren Varianten unter dem Aspekt, dass das Opfer den Gnadenakt als solchen überhaupt nicht akzeptiert.

    Der Vater, der schon das Beil über dem Nacken der Tochter gehoben hatte, ist ebenso froh über das Heranschweben eines übertrieben barocken Rauschgoldengels mit dem "Halt!"-Ruf ist wie die Mutter, der der Verlust des einzigen Kindes drohte (und übrigens auch die Repräsentanten des rechtgläubigen Volkes); entsprechend fällt der Lobpreis des rettenden Gottes aus, den Patrick Henkens mit vollen, leicht geführten und nie forcierenden Tenorstimme ebenso überzeugend erfüllt wie die ganze Titelpartie.
    Die Bonner Oper hat unter Leitung von Jos van Veldhoven ein Sänger-Team von bemerkenswerter Qualität versammelt: neben Patrick Henckens für die Partie des Jephta insbesondere den Charakterdarsteller Martin Tzonev als halbseidenen Halbbruder und politisierender Hoher Priester, Julia Kamenik als Tochter und David Cordier als deren Liebhaber und bemerkenswert. Das Orchester der Beethovenhalle wurde zu recht spitzem und rhetorisch beseeltem Spiel animiert.

    Dieter Richter konzipierte einen orientalischen Mehrzweckbau als Einheitsrahmen für verschiedene Schauplätze – Synagoge kann er ebenso bedeuten wie Versammlungsraum der Ältesten und Ort der Familie. Renate Schmitzer entwarf Kostüme in Anlehnung an die nazerenische Malerei des 19. Jahrhunderts, die ja mit der frühen Händel-Rezeption eine innige Symbiose zu bilden vermag. Ein Steg führt über den Orchestergraben auf die Zuschauerreihen zu: auf dass auch ihnen direkt gepredigt werden kann.

    Trennende Geländer, wie sie zum Beispiel in San Marco die Betrachterströme lenken und die den Touristen zugänglichen Teile des Gebäudes von den Arealen des Kultus trenne – ein glänzend poliertes Messing-Gestänge, wie es ja überhaupt von Alters her zum Trennen von Abteilungen (zum Beispiel denen der Männer und denen der Frauen) in Sakralkbauten verwendet wird. Ein Steg führt über den Orchestergraben auf die Zuschauerreihen zu: Auf dass auch ihnen direkt gepredigt werden kann. Mit dem erscheinen der goldblonden Gottesbotin forciert Hilsdorfs Inszenierung, die insgesamt tadellos wirkt, die Momente der Verfremdung, der Distanzierung von einem als obsolet erscheinenden Oratorientext und treibt zu den Chören sein nachdenkliches Spiel.