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Jerusalem Youth Chorus
Juden und Araber singen gemeinsam

Die Nachrichten von arabischen Angriffen auf Israelis und getöteten Palästinensern und Israelis reißen nicht ab. Es gibt aber Menschen wie Micah Hendler. Der junge amerikanische Jude hat in Jerusalem den Jerusalem Youth Chorus gegründet – und da findet sowohl die arabische als auch jüdische Kultur ihren Platz.

Von Silke Fries | 17.11.2015
    Blick auf den Jerusalemer Tempelberg mit Felsendom und Klagemauer
    Vor dem Singen gibt es Gespräche, die von Mediatoren geleitet werden. (picture alliance / dpa/ Marius Becker)
    "Dass jeder hier seine Sprache einbringen kann – hebräisch oder arabisch, zeigt nicht nur, dass jede Kultur hier gleichberechtigt ist. Die Sänger, die nur arabisch sprechen können, sind auch die einzigen, die noch wissen, wie in der arabischen Musik improvisiert wird. Die Palästinenser, die englisch sprechen können, hören eher Pop-Musik und wissen nicht, wie man in der arabischen Musik improvisiert und sie haben ihr kulturelles Gerüst verloren, das unsere Musik so bereichert."
    Und damit meint Micah Hendler auch die israelische Musik. Dass der Chor in diesen Tagen voller schlechter Nachrichten auch eint, davon ist der 26-jährige überzeugt. Micah ist Absolvent der Elite-Uni Yale und vor dem Bürgerkrieg hat er in Damaskus studiert. Er kann perfekt arabisch und hat in Friedenscamps gelernt: Nur eine gemeinsame Sprache, nur gemeinsame Interessen können auch in Krisenzeiten zwei Gruppen an einen Tisch bekommen, die im Alltag kaum Berührungspunkte haben. Dafür aber muss oft erst die Basis geschaffen werden, deshalb gibt es vor dem Singen Gespräche, die von Mediatoren geleitet werden.
    "Heute haben wir uns nur zum Singen getroffen. Normalerweise diskutieren wir die Hälfte der Zeit. Und da geht´s um alles: Da machen wir uns auch die Unterschiede in unserer Gruppe bewusst, packen alles auf den Tisch und bearbeiten sie. Wir schaffen so Raum, wo wir auch lernen können, was uns trennt. Nur so lernen wir, die Unterschiede zu überwinden und sinnvoll zusammenzuarbeiten."
    Dass jeder Neue im Chor vor allem Vorurteile mit in das Gebäude des YMCA in Jerusalem bringt, das ist naheliegend. Das galt auch für die Jüdin Zoey Tabak und die arabische Israelin Georgette Nustas, sie lebt in Ostjerusalem.
    "Ich hatte nie die Möglichkeit, Araber zu treffen. Aber ungelogen: In diesem Chor habe ich die besten Freunde meines Lebens kennen gelernt, und einige davon sind Araber. Wenn ich meiner Familie erzähle, wie sehr ich meine Freunde liebe, dann denken die mittlerweile nicht mehr daran, dass das Araber sind. Sie wissen, für mich sind sie gut."
    "Anfangs war es schwierig, nach all dem, was hier passiert. Die meisten meiner arabischen Freunde sind Moslems. Nur wenige Freunde haben mich unterstützt, sie haben gesagt: Jetzt kannst du ihnen endlich erzählen, wie es uns geht und was wir fühlen. Die anderen Freunde haben gesagt, dass ich das Falsche tue, dass ich nicht mit Juden sprechen soll, weil sie Feinde sind. Aber die meisten haben positiv reagiert, auch meine Eltern – und das ist schön."
    Für Micah Hendler hat sich ein Traum erfüllt: Der Chor wird eingeladen nach Washington, nach Japan und Großbritannien, sie sind aufgetreten vor Politikern und in Fernsehshows. Micah Hendler ist überzeugt, das Richtige zu tun. Auch wenn es Schwierigkeiten gibt, wenn etwa die Viertel in Ostjerusalem gesperrt sind, wie jüngst nach einer Serie von Messerangriffen von Arabern auf Israelis. Dann holen die jüdischen Chorteilnehmer die arabischen schon mal ab.
    "Wir sehen uns mit vielen Problemen konfrontiert. Egal, ob es die Familien unserer Sänger sind, die absolut gegen unseren Chor sind und auch versuchen, ihre Teilnahme zu verhindern. Und natürlich gibt´s auch in der Gesellschaft viele Stimmen, die sagen, keiner sollte an einem jüdisch-arabischen Programm teilnehmen. Aber es gibt jede Menge Gründe, warum die Jugendlichen seit Jahren kommen. Letztendlich aber funktioniert unser Chor durch etwas sehr menschliches: Hier gibt´s eine warme, liebevolle Umgebung, in der einer den anderen akzeptiert. Hier können Teenager sie selbst sein und sie werden für das akzeptiert, was sie sind. Das ist in der israelischen Gesellschaft schwer zu finden. Das bringt mehr als jede politische Rede."
    Und das sieht die jüdische Israelin Shifra Jacobs genauso. Die 17-jährige hatte früher keine Gelegenheit Araber kennen zu lernen – weder in der Schule noch im Freundeskreis. Zu gering waren die Kontaktmöglichkeiten, zu groß die Vorbehalte.
    "Ich kann mir hier eine eigene Meinung bilden über das, was draußen vor sich geht. Meine arabischen Freunde hier sind anders als die, die draußen auf Juden losgehen. Hier im Chor ist jeder normal, und nur weil es draußen auch Extremisten unter den Araber gibt, heißt das nicht, dass alle Araber so sind. Also komme ich weiter hierher."