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"Jetzt wird vor allen Dingen das Dringendste benötigt"

Vietnam ist vom Tropensturm Ketsana in vielen Regionen verwüstet worden. Dörfer sind von der Außenwelt abgeschnitten. Mittendrin ist Marten Mylius von CARE und versucht die Menschen, so gut es eben geht, zu versorgen.

    Silvia Engels: Der Tropensturm Ketsana, er hat ja am Wochenende auf den Philippinen die schlimmsten Überschwemmungen seit mehr als 40 Jahren verursacht. Dort starben 240 Menschen, Hunderttausende wurden obdachlos. Mittlerweile ist der Sturm weiter gezogen, hat sich über dem Wasser verstärkt und ist über Vietnam hinweggezogen. Bislang sollen dort über 30 Menschen gestorben sein. – Am Telefon direkt in Hanoi, der Hauptstadt von Vietnam, erreichen wir den Nothilfekoordinator der Hilfsorganisation CARE in der Region, Marten Mylius. Guten Morgen, Herr Mylius.

    Marten Mylius: Guten Morgen aus Hanoi.

    Engels: Wie haben Sie den Sturm Ketsana erlebt?

    Mylius: Wir haben das aus Hanoi mitverfolgt. Wir wurden ja schon früh gewarnt durch die verheerenden Auswirkungen auf den Philippinen und dann hat der Sturm halt immer weiter an Stärke gewonnen und dementsprechend gab es hier am Sonntag und Montag vermehrt Aktivitäten, um diese Region auf den Sturm vorzubereiten. Es gab Evakuierungen in großem Maßstab, an die zwei Millionen Menschen wurden evakuiert aus der Gefahrenzone, und dann letztendlich gestern Mittag lokaler Zeit ist das Auge des Sturmes auf Land getroffen und hat verheerende Verwüstung angerichtet.

    Engels: Wie muss man sich diese Verwüstungen vorstellen? Sie haben auch gerade Informationen von der Regierung erhalten.

    Mylius: Ja, in der Tat. Ich bin gerade aus einer dringlichen Sitzung mit den Regierungsbehörden und den UNO- und anderen Hilfsorganisationen herausgekommen und da ergibt sich jetzt ein Bild, das im Ausmaß weit darüber hinausgeht, was wir hier normalerweise in Vietnam erleben. Vietnam ist ja häufig von starken Stürmen und Wirbelstürmen betroffen, aber bei den Zahlen, die diesen Morgen von der Regierung vorgelegt wurden, geht es darum, dass 6000 Häuser in der Zentralregion völlig zerstört sind, an die 200.000 Häuser stark beschädigt sind, teilweise die Dächer weggeflogen sind, Straßen sind überschwemmt, weggeschwemmt, es gibt diverse Tote. Das hatten Sie ja schon erwähnt. Von daher stellt sich die Situation für uns relativ schwerwiegend dar und deswegen werden wir jetzt zusammen mit anderen Hilfsorganisationen Nothilfeteams am Morgen aus Hanoi starten und einige, die auch schon vor Ort sind, und dann die Nothilfemaßnahmen dort einleiten.

    Engels: Welches sind diese Maßnahmen? Was können Sie vor allen Dingen tun, um den Menschen zu helfen?

    Mylius: Jetzt wird vor allen Dingen das Dringendste benötigt. Das ist Nahrung, das ist sauberes Wasser. Da verteilen wir Entkeimungstabletten, weil dort sind die Brunnen überflutet. Es regnet auch derzeit immer heftig weiter, obwohl der Taifun weiter nach Laos gezogen ist. Das ganze Wettersystem hat empfindlich viel Regen mitgebracht und es regnet immer weiter. Deswegen sind die Leute, selbst die, die von der Regierung evakuiert worden sind, in Schulen, öffentlichen Gebäuden, aber können nicht wieder zurück. Es ist alles noch überschwemmt. Die Situation wird noch stärker, die Flüsse schwellen an. Wir richten uns jetzt erst mal auf das Notwendigste ein, Nahrung, Wasser, sanitäre Einrichtungen, um die Menschen über die schlimmsten Tage zu bringen.

    Engels: Haben Sie den Eindruck, dass die vietnamesischen Behörden der Lage noch Herr sind, oder sind sie mit dem Ausmaß der Katastrophe überfordert?

    Mylius: Die vietnamesischen Behörden sind ja sehr, sehr effektiv. Die haben großflächig evakuiert. Sie sind jetzt schon mit viel schwerem Gerät vor Ort. Evakuierungen finden derzeit statt. Sie sind dort mit Booten, sogar Panzer sind im Einsatz. Die Armee, Polizei, Rotes Kreuz, alle sind mobilisiert. Nichtsdestotrotz ist das Ausmaß ein wenig stärker, weil auch der Taifun im letzten Moment leicht die Richtung gewechselt hat. Er ist wesentlich weiter südlich aufs Land getroffen als vorhergesehen und die Behörden hatten sich vor allem darauf vorbereitet, dass die tiefer liegenden Küstengebiete verheert werden, was auch der Fall ist. Allerdings zur gleichen Zeit ist eben auch das Hochland sehr stark betroffen worden und dort haben sich die Leute viel weniger darauf vorbereitet und da sehen wir jetzt ganz viele Ortschaften abgeschlossen von der Außenwelt, Elektrizität ist nicht mehr vorhanden und ganz viele Ortschaften verschüttet, Leute, die in den Häusern umgekommen sind. Deswegen sieht man so ein bisschen, weswegen das vielleicht noch im Ausmaß stärker ist, als man das ursprünglich erwartet hatte.

    Engels: Ist denn die Infrastruktur wenigstens noch so intakt, dass den Menschen überhaupt geholfen werden kann?

    Mylius: Momentan, also jetzt in diesem Moment, während wir sprechen, kann man die Region von außen nicht bereisen. Die Flughäfen sind geschlossen, die Nord-Süd-Verbindung von Hanoi nach Ho Chi Minh City ist überschwemmt und beschädigt, der Zugverkehr ist eingestellt, Tausende von Menschen sitzen fest. Da kann man jetzt in diesem Moment nicht hin. Wir rechnen damit, dass im Laufe des Tages morgen die Infrastruktur wieder so weit hergestellt ist, dass wir unsere Teams von außen hinsenden können. In der Zwischenzeit hat man, da man das in Vietnam weiß, schon im Voraus reagiert und viele Teams quasi schon vor Ort im Einsatz, die jetzt nicht von außen eingeflogen werden müssen. Die sind jetzt momentan im Einsatz.

    Engels: Marten Mylius, Nothilfekoordinator der Hilfsorganisation CARE in Vietnam. Vielen Dank für diese Eindrücke und Ihnen alles Gute.