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Jiri Grusa: "Glücklich heimatlos" - Einblicke und Rückblicke eines tschechischen Nachbarn

Von Vertrautheit und Fremdheit berichtet auch unser nächster Autor. Der Schriftsteller und Publizist Jiri Grusa, im sogenannten "Brotberuf" aber seit geraumer Zeit Botschafter seines Landes, der Tschechischen Republik, in Österreichs Hauptstadt Wien, hat jetzt ein Buch vorgelegt, das vom Titel her den Charakter einer persönlichen Zwischenbilanz trägt - zumindest für den zweiten Begriff wollen wir dies hoffen: "Glücklich heimatlos". Um Einblicke geht es hier, auch um Rückblicke eines tschechischen Nachbarn. Dies verspricht uns Grusa.

Klaus Kuntze |
    Unter dem sicherlich werbewirksamen Umschlagfoto - Hradsin und Moldau bei Morgensonne - steht zu lesen: Jiri Grusa; "Glücklich heimatlos". Schon stutzt man, weil sich doch mit heimatlos weniger ein "Glücklich" als das Gegenteil verbindet. Den Buchtitel findet man dann über dem letzten Aufsatz der Sammlung wieder, wo er seinen Sinn verrät. Jiri Grusa kennt man hierzulande in erster Linie als den Diplomaten, der die junge Republik Tschechien nach Ende der kommunistischen Herrschaft in Bonn vertrat. Danach, 1997, wurde er Kulturminister in Prag und wechselte dann in die österreichische Hauptstadt, wo er seit 1999 sein Land als Botschafter vertritt. Es war nicht allein das exzellente Deutsch, das Grusa in der Bundesrepublik zu einem willkommenen Gesprächspartner und Kommentator machte; es war ebenso das Interesse am benachbarten Tschechien, mithin an der Frage, wie sich künftig die Beziehungen zu der jungen Demokratie gestalten werden.

    Wir sind eigentlich schon mitten im Buch. Zuvor ist aber noch auf den anderen Grusa aufmerksam zu machen, der in Deutschland nur wenig als Schriftsteller bekannt sein dürfte, als Lyriker wie als Erzähler. Wenig bekannt, weil wenig aus dem Tschechischen übersetzt. Will sagen, in Grusa stößt man auf beides, literarische Qualität wie politisches Engagement, es ist gerade die Qualifikation, die sich Tschechien für einen exponierten Diplomaten leistet. Grusa verfügt über Witz, Charme und erfrischend selbständiges Denken - wie eigene Erinnerung es lebhaft bestätigt. Aber garantiert das schon ein Buch, ein lesbares und lesenswertes? Schon von den insgesamt 25 Titeln her ist dies eine recht unterschiedliche Mischung.

    Das graue Prag. - Toleranz. - Das Dezennium der Dissidenten. -Theresienstadt oder Kultur als Überlebenschance. - Eine Orgel für die Theyn-Kirche. - Menschenrechte als Argument - Havels "Largo Desolato".

    Man kann diese und viele andere Stücke in "Glücklich heimatlos" überfliegen, zumal es sich oft um kurze Gelegenheitstexte, Grußworte oder Vorworte handelt, die spürbar an ein eingeweihtes Publikum gerichtet sind. Neugierig machen doch an einem Grusa die Aufsätze, in denen er unsere beidseitigen Beziehungen thematisiert und problematisiert. Und da wäre er besser beraten gewesen, gewissermaßen monothematisch ein gut komponiertes einheitliches Buch anzubieten. Kommentiert, vor allem mit einem Leitfaden versehen, wenigstens einer Übersicht über die angesprochenen Eckpunkte in der beiderseitigen deutsch-tschechischen Geschichte. So aber, allein gelassen, hat man sich durch allerhand Text zu fressen, um auf ein paar Rosinen zu stoßen.

    Asymmetrie einer Nachbarschaft. - Deutschland und die Tschechen. - Heimat und die Hürden. - Österreich, du edles Haus.- Eduard Benes.

    Da sagen die Titel schon, dass es hier um das schwierige Gebiet geht, "auf dem" - wie Grusa schreibt - "noch immer gut gebaute Tretminen harren, die unsere Ahnen dort versteckt hatten - als Gruß an die Nachkommenschaft". Nehmen wir Eduard Benes, den letztgenannten, die Figur gewissermaßen zu dem deutschen Reizwort "Benesch-Dekrete", wonach Austreibung, Entrechtung und Enteignung folgen. Grusa spricht vom heutigen Tschechien, wo Eduard Benes, der frühere Außenminister und Präsident der Zwischen- und Nachkriegszeit keineswegs unumstritten sei, er habe zwar Bewunderer, jedoch mehr Kritiker.

    Er kapitulierte und brach seinem Volk das Rückgrat. Er schickte unsere Väter entehrt in die erniedrigendste Ära unserer Geschichte. Wer die Jahre 1945 - 47 verstehen will, sollte bemüht sein, den Abschnitt 1938 - 45 zu erfassen. Den Rassenwahn, den "Generalplan Ost" und die "Umvolkung". Dies sind die Vorstufen der Vertreibung. Die Euphorie zwischen 1945 und 1948 war beklemmend .Auch diesmal handelte er mehr als Sekretär denn als Staatsmann, wenn auch der Tschechen. Mit seiner Unterschrift legitimierte er 1948 die kommunistische Machtergreifung. Er rettete zwar die Tschechoslowakei - aber nicht die Demokratie.

    Und Demokratie ist gegenüber Benes ebenso wie hinsichtlich der deutsch-tschechischen oder österreichisch-tschechischen und der tschechisch-europäischen Beziehungen Grusas Maßstab. Eine Demokratie allerdings, die nicht als bloßer Ersatz der kommunistischen Ideologie funktioniert, wie sie ja oft genug mechanisch vom Westen offeriert wurde und wird. Grusa gibt ihr daher nur gepaart mit Freiheit eine Chance.

    Diese Freiheit ist, so scheint mir, keine Verneinung von etwas oder reines Unabhängigsein vom Zwang. Sie entsteht im Kontakt, als Antwort auf Fragen, die du dir selbst stellst. Diese Freiheit ist untheoretisch, sie handelt durch uns. Und wenn wir untätig sind, handelt sie durch andere. Sie ist großzügig, schließt niemanden aus. Kennt keine Erwählten, dafür aber diejenigen, die Mut hatten zu wählen. Sie bilden einen Demos.

    Auch wenn Grusa nach dieser Formulierung selbstkritisch zögert und zweifelt, hält er sich an dieses aufeinander bezogene Paar, Demokratie und Freiheit, um daran Begriffe zu prüfen wie: Volk, Nation, Ethnie, Kollektivität, Auserwähltheit. Gängige Begriffe, hüben wie drüben, in München und in Eger, auf die Identitäten gebaut und Rechte wie Vorrechte begründet werden. Unsere Geschichte ist viel zu kompliziert, sagt Grusa, um derart unumstößliche Wahrheiten frei Haus zu liefern. Wenn es eine Wahrheit gibt dann ist sie komplex und allenfalls als Kontext zu anderen Kontexten zu verstehen, Grusa hat diese Überzeugung in der kommunistischen CSSR Gefängnis und Ausbürgerung gebracht. Seine persönliche Geschichte geht dann da weiter, wo der Ausbürgerung zehn Lebensjahre in der Bundesrepublik folgten. 1996 - und das ist dann die Titelgeschichte "Glücklich heimatlos" - kandidierte er im grenznahen Cheb / Eger für einen Parlamentsplatz. Tschechien, so wirbt er, wählt eine Zukunft, wenn es sich von seiner Lebenslüge seinem Heimat-Idyllismus befreit und auch anderen zubilligt, Rechte zu haben. Wörtlich. Das Recht ist ortlos. Ab und zu spricht es auch Deutsch. Klar, dass nicht Grusa, sondern der patriotische Konkurrent bei der Wahl in Eger siegte. Und Grusa ?

    Die Feststellung, dass es auch Minderheiten gibt, war nicht erhaben, wenn auch demokratisch. Nur wusste ich nicht ganz genau, ob ich glücklich heimatlos bin oder glücklos in der Heimat.

    Jiri Grusa: "'Glücklich heimatlos' - Einblicke und Rückblicke eines tschechischen Nachbarn" ist erschienen im Verlag Hohenheim, Stuttgart, hat zweihundertvierzig Seiten und kostet 18 Euro.