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Joachim Fest: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde

Dieses Buch vereint die Porträts von Personen, mit denen mich mancherlei Umstände im Lauf der Jahre zusammenführten. Ohne mir in jedem Fall Rechenschaft darüber abzulegen, beeinflussten sie mein Denken und die Maximen, denen es folgte.

Von Stefan Berkholz | 31.01.2005
    Das Spektrum dieser Personen, die Joachim Fest als seine nahen und fernen Freunde bezeichnet, ist überraschend groß. Es reicht von Hannah Arendt bis zu Ulrike Meinhof. Der Maler Horst Janssen gehört ebenso dazu wie der Literatur- und Musikkritiker Joachim Kaiser. "Begegnungen" hat der ehemalige Chefredakteur des NDR und Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fünfzehn Skizzen überschrieben, in denen er über sich und seine Freundschaften Auskunft gibt. Hören Sie die Rezension von Stefan Berkholz.

    Das vorliegende Buch ist keine Autobiographie, aber es trägt autobiographische Züge. Man bekommt Joachim Fest ganz gut in den Blick, erkennt ihn in diesen fünfzehn Personenskizzen, die er stets im Dialog mit Gedanken und Aussagen des anderen verfasst hat. In der Vorbemerkung heißt es:

    Was hier vorgelegt wird, sind Porträtskizzen, die, jede für sich, auf eine Reihe von Momentaufnahmen zurückgehen. Natürlich enthalten sie auch Angaben zum biographischen Hintergrund oder zum Werk und dessen Bedeutung. Doch vieles blieb notgedrungen nur Schattenriss, manch anderes musste fortbleiben (...). An die Stelle der Werkbeschreibung tritt im Folgenden meist das persönliche Erleben. (...) Zu sagen ist auch, dass die Notizen, die den vorliegenden Skizzen zugrunde liegen, meist im unmittelbaren Anschluss an die Zusammenkünfte entstanden. (...) Da ein Bildnis immer auch Züge des Porträtisten aufweist, enthält dieses Buch nicht zuletzt einige Striche zu einem Selbstporträt.

    "Begegnungen" nennt Joachim Fest seine biographischen Essays. Es sind vor allem Porträts von langjährigen Weggefährten oder Freunden, Berufskollegen in erster Linie, unabhängige, freie Köpfe. Im ersten Absatz seines "Kurzen Tuschs auf Arnulf Baring" gibt Joachim Fest seine Definition von Freundschaft:

    Freundschaften gibt es nur als "alte Freundschaften". Besteht eine Verbindung aus Zuneigung und wechselseitigem Respekt lange genug, hat sie zudem über die Jahre hin manche der unvermeidlichen Eintrübungen überstanden, können Monate vergehen, ohne dass man zusammenkommt. Man muss nur wissen, dass der andere da ist, dass man auf ihn und sein Wort rechnen kann. Erst durch verlässliche Dauer verdient sich eine Beziehung den Begriff der Freundschaft.

    Von solchen langjährigen "Zuneigungen" ist in dieser Sammlung die Rede. Was die Texte eint, ist die durchgehende stilistische Noblesse. Joachim Fest versteht es meisterhaft, seine Betrachtungen in elegante Formen zu bringen, und man kann nur ahnen, wie viel Mühe ihm diese akkurate Arbeit macht. Die Porträts schwanken zwischen anekdotischer, psychologischer Analyse des Porträtierten wie im Fall von Hugh Trevor-Roper; intellektueller, eher abstrakter Beschreibung wie bei Johannes Groß oder beunruhigter und beinahe ratlos wirkender Annäherung wie im Fall von Sebastian Haffner. Hier bemerkt Fest einmal:

    Eigenartig zu denken, überlegte ich auch, was seine Landsleute an ihm so sehr schätzten: An vorderster Stelle gewiss seine rhetorische Brillanz. Dann aber auch die Radikalität seiner Auffassungen mitsamt der Neigung, selbst im Abseitigen weiterzulaufen; die Vorliebe für das Denken im sozusagen freien Raum und ohne die ewig schweren Kettengewichte der Realität an den Füßen - darin erkannten sie sich wieder. Und zuletzt, immer aufs Neue, stimmten sie auch im Bewusstsein der großen Brüche überein, mit dem Ableugnen oder Vergessen dessen, was gestern gewesen war. Alles zusammen, dachte ich weiter, macht zu einem Gutteil jene "deutsche Labilität" aus, von der so häufig gesprochen worden ist. Sebastian Haffner hat sie, kritisch wie kaum ein anderer, beschrieben. Fast ebenso oft ist er selber ihr erlegen.

    Man erfährt aus diesen Porträts die Eckpfeiler von Fests Gedanken: seine Lust am Disput und seine geistige Unabhängigkeit; seine tief verwurzelte Skepsis und die Überzeugung, Geschichte verlaufe nicht folgerichtig, sondern zufällig, willkürlich, widersprüchlich. Hitler ist das Trauma für seine Generation, die geprägt ist durch den Krieg und die Verwüstung und den Untergang einer Welt. Und so findet Fest sich einig mit Wolf Jobst Siedler in dem, was es heißt, konservativ zu sein:

    Zwar werde jeder Verständige einräumen, dass es rund zweihundert Jahre lang die Aufgabe der Intellektuellen gewesen sei, die Dinge voranzutreiben, gedankenlos mitgeschleppte Annahmen und Strukturen in Frage zu stellen und Schranken aller Art wegzuräumen. Doch müsse man sehr blind sein, um nicht zu sehen, dass unterdessen das Gegenteil vonnöten sei: das Bewahren und das Weitergeben der von den Turbulenzen der Epoche verschonten Restbestände des zivilisierten Daseins - damit nach so vielen Untergängen nicht alles und jedes von jenem Sturm weggerissen werde, der dem Engel der Geschichte, einer berühmten Metapher zufolge, ins Gesicht bläst.

    Wie ein roter Faden zieht sich durch diese Texte die wiederholte Abrechnung mit einer Zeit des Aufbruchs, den Jahren der Studentenbewegung. Fest und die meisten seiner Weggenossen halten nichts von Utopieentwürfen - oder genauer gesagt: Entwürfe solcher Art dürfe man zwar ruhig haben und auch im Geiste bewegen, den Willen zur Umsetzung solcher Träume aber sollte man tunlichst unterdrücken, ist sich Fest sicher. In Begegnungen mit dem Journalisten Johannes Groß versicherten sie sich:

    Es gab, so war er sich mit seinen Freunden einig, vor allem eine Überlegung, die das Gewesene bewahrenswert machte: der Blick auf die Weltveränderer, die ewigen Quälgeister der vermeintlich schönen neuen Welt. Ebenso gedankenleer wie pietätlos machten sie sich über alles Bestehende aus keinem anderen Grunde her, als weil es, einer Verfügung des Zeitgeists zufolge, das 'schlechte Bestehende’ war. Wie die neue, bessere Welt beschaffen sein sollte, durfte nicht gefragt werden. In Wahrheit, hat Johannes Groß gelegentlich angemerkt, machte sich in den Umtrieben des von der Gesellschaft mit soviel nachsichtiger Sympathie betrachteten Aufbruchs der sechziger Jahre nur jener Zerstörungsdrang Luft, der seit Generationen das stärkste Bedürfnis der Moderne war.

    Joachim Fest ist den Irrtümern von Personen auf der Spur, er ringt um Erkenntnisse, tastet sich von Zweifel zu Zweifel, betrachtet intensiv die Brüche in der Geschichte. Von eigenen Irrtümern ist bei Fest wenig oder kaum die Rede. Die Texte sind Dokumente einer festgefügten geistigen Welt, unverrückbar, selbstgewiss, hoch- und frohgemut - und leicht melancholisch geprägt. Es ist ein Rückblick auf ein vergangenes Jahrhundert, ein geistiges Testament für eine ganze Generation, auch zum Widerspruch herausfordernd.


    Stefan Berkholz über: Joachim Fest: "Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde".
    Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 384 Seiten, 19,90 Euro.